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Martina Clavadetscher

Input

Den fauchenden Tiger bringe ich dann auch noch irgendwo unter. (Bild: Emanuel Ammon/ AURA)

Einen literarischen Text verfassen ohne Ideen ist schwer. Dafür gehe ich bei meinem Umfeld auf Ideensuche. Die Ergebnisse aber sind mager.

Das Kind spielt im Wohnzimmer. Ich bin auf Ideensuche und schleiche mich an.
Über was soll ich eine Geschichte schreiben?
«Über einen Tiger», meint das Kind.
«Und was tut dieser Tiger?»
«Kchchchchch!», faucht das Kind in voller Lautstärke.
«Okay, ich werde darüber nachdenken», verspreche ich.
Doch das Kind ist längst mit einem Legopolizisten beschäftigt.

Also frage ich den Nachbarsjungen, über was ich einen Blog schreiben soll.
«Über was was…?», fragt er mit Stirnrunzeln zurück.
«Das ist eine Art Geschichte. Über was soll ich schreiben?»
«Über einen Menschen.»
«Und was soll dieser Mensch tun?»
Tiefes Nachdenken folgt.
Das erste Kind flüstert dem Nachbarsjungen etwas ins Ohr. Beide Gesichter erhellen sich.
«Der Mensch soll Schokolade essen.»
Sie grinsen. Ich vermute, sie versuchen mich zu ärgern.
«Und…», will ich weiter wissen.
Doch sie diskutieren bereits mit grosser Konzentration über ein grünes Faltpapiermonster, das offenbar Kinder fressen könne. Ich realisiere, ich bin unerwünscht.

Also rufe ich eine Freundin an und frage, über was ich schreiben soll.
«Über den Herbst vielleicht», sagt sie lakonisch. Stille folgt.
«Wie die Blätter fallen, Kastanien, Wildsaison, meinst du diese Sachen?»
«Weiss ich doch nicht, das ist dein Job!»
Ich erwidere, dass sie diesbezüglich Recht habe, aber sie hätte schliesslich Herbst gesagt.
Es sei eben gerade Herbst, erklärt sie. Das beschäftige und betreffe alle Menschen.
Das sei eine Tatsache, gebe ich zu, sei aber im Moment nicht sehr hilfreich, weil leider viel zu Allgemein.
Um einen Streit zu vermeiden, sagt die Freundin, sie hätte wirklich zu tun.
«Ich doch auch, ich auch» antworte ich schnell und verabschiede mich.

Ich starre auf mein Handy. Was soll’s, ich wage einen letzten Versuch.
Neue Nachricht erstellen. Ich tippe: Null sieben neun und irgendwelche Zahlen.
Dann frage ich eben Herr oder Frau Zufall per SMS nach einem Geistesblitz.
Über was soll ich eine Geschichte schreiben. Fragezeichen. Senden.
Na also. Ungewöhnliche Methoden verändern die Welt! 
Ich warte. Keine Antwort.
Erst Stunden später surrt das Handy.
Die Nachricht: «Wer bist du?!»
Über was ich bitte schreiben soll, hake ich nach. «Was beschäftigt dich?»
Keine Antwort mehr.
Ich gebe meine Umfragerei auf.

Abends fasse ich die mageren Inputs des Tages zusammen.
Folgende Anordnungen sind möglich.
Erstens: Ein fauchender Tiger begegnet einem Menschen, der im Herbst Schokolade isst. Der Mensch fragt: Wer bist du?
Zweitens: Es ist Herbst. Ein fauchender Tiger fragt: Wer bist du? Doch der Mensch isst nur (wortlos) Schokolade.
Drittens – und mein persönlicher Favorit: Es ist Herbst. Der Mensch isst Schokolade und fragt sich selbst: Wer bist du?
Voilà, das geht doch schon ziemlich Richtung Literatur.
Den fauchenden Tiger bringe ich dann auch noch irgendwo unter.
 
Nachtrag: Am nächsten Tag kommt das Kind ins Büro und verkündet voller Freude, es wisse nun genau, über was ich eine Geschichte schreiben soll. Über ein Fussballspiel!
Na toll…
 

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