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Max Huwyler

An die Adresse der Stimm- und Wahlherde

Plakate im Kanton Luzern im Jahr 2007. (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Unter allen, kaum zu rechtfertigenden Grossrisiken der Evolution war der Mensch das grösste.

Unter allen, kaum zu rechtfertigenden Grossrisiken der Evolution war der Mensch das grösste.

Ich nehme einen Gast in den Blog. Felix Renner ist ein leidenschaftlicher Kürzest-Prosaist, ein Aphoristiker. Ein nach aussen still wirkender Zeitgenosse, ein Grübler und Graber. Er ist ein präziser Formulierer, er geht den Wörtern und den sogenannten Sachverhalten auf den Grund. Der Aphorismus ist nichts für Schnelleser. Renner hat unter verschiedenen Pseudonymen in grossen Tageszeitungen publiziert und tut es noch immer im «Nebelspalter».

Vor politischen Wahlen schiesst in der Wahlwerbung einiges an Kurzprosa ins Kraut. Der Aphoristiker geht an die Wurzeln. Auch an die Wurzeln der Wörter. Er lotet deren Doppelsinn aus. Er spitzt zu mit oft überraschenden Pointen.

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Die implizite Quintessenz mancher Wahlpropaganda ist die freche Behauptung, eine Amöbe verfüge über Rückgrat.

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Sie waren ihrer Partei gehorsam bis zum Denkverzicht, wie wollen sie jetzt im Interesse der Öffentlichkeit ungehorsam sein?

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Nur wer vor der Wahl in ausreichendem Masse hochgejubelt wird, bietet der mediengeilen Öffentlichkeit eine zuverlässige Garantie für seinen einigermassen spektakulären Prestigezerfall nach der Wahl.

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Unsere Demokratie ist weitgehend nichts anderes als die tägliche, sehr kostspielige, aber auch sehr erfolgreiche Konditionierung der überwältigenden Mehrheit der Stimm- und Wahlherde für die illegitimen Ziele ihrer Leithammel.

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Worst-Case-Szenario künftiger eidgenössischer Wahlen: Es werden über 50 Prozent Newcomer nach Bern geschickt, die bei jeder früheren Wahl durchgefallen wären.

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Am Wahltag wird der Mist geführt, zwischen den Wahlen wird er gebaut.

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Nachdem immer mehr «Volksvertreter» ihr Mandat dazu missbrauchen, für Grosskonzerne und Verbände zu lobbyieren, sollten wir uns bei jeder Wahl daran erinnern, dass wir nicht nur wahl- sondern auch abwahlberechtigt sind.

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Für die hartnäckige Arbeit am politischen Konsens gibt es nur eine Zauberformel: Die hartnäckige Arbeit am politischen Konsens.

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Felix Renner, geboren 1935 in Zug. Nach Jahren als Journalist bei der NZZ arbeitete er als Jurist für die Staatskanzlei des Kantons Zug. Er ist promovierter Jurist. Kann sein, dass ihn die präzise Sprache schon als Student fasziniert hat. Was ihn allerdings irritiert und umtreibt, ist die Art, mit der gescheite Leute zuweilen die Sprache biegen im Dienst einer versteckten Macht. Bedenket: Es ist Wahlzeit, Zeit der Kurzbotschaften der anderen Art.

Die hier zitierten Beispiele sind dem Band «Erfolgsgesellschaft im Stresstest» entnommen, seienem siebten Aphorismenband. Erschienen ist das Buch 2013 im Universitätsverlag Dr. N. Brockmeyer, Bochum.

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