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Stadt-Land-Graben in Luzerner Medien vor 80 Jahren

Das schrieben Luzerner Medien zur Grenzschliessung 1942

1942 begann man in der Schweiz mit der Anbauschlacht – die Versorgungsknappheit wurde gerne als Argument für die restriktive Flüchtlingspolitik genutzt. (Bild: Karl Manz / AURA)

Im Sommer 1942 entscheidet die Schweiz, ihre Grenzen für Flüchtlinge zu schliessen. Für viele verfolgte Juden gleicht dies einem Todesurteil. In der Luzerner Presselandschaft wird der Beschluss heftig diskutiert.

«Eine furchtbare Verantwortung». Unter diesem Titel veröffentlichen die «Luzerner Neuesten Nachrichten» LNN am 21. August 1942 einen Bericht der «National-Zeitung». Der Artikel untersucht den Beschluss des 13. August 1942. An diesem Tag entscheidet Heinrich Rothmund, Chef der eidgenössischen Polizeiabteilung, die Schweizer Grenzen für alle Flüchtenden zu schliessen.

Der Entscheid spaltet das Land. Die Asyldebatte ist Gesprächsthema Nummer eins. Auch medial wird die Flüchtlingsaufnahme intensiv diskutiert. Die verschiedenen Zeitungen des Kantons Luzern nehmen dabei teils komplett unterschiedliche Positionen ein.

Stadt-Land-Graben in den Luzerner Medien

In der medialen Berichterstattung lässt sich ein klarer Stadt-Land-Graben erkennen. Während die urbaneren Zeitungen grossteils Verständnis zum Schicksal der Flüchtenden bekunden, begrüssen die ländlichen Publikationen den Entscheid von Rothmund überwiegend. Sie argumentieren mit Ressourcenknappheit. In manchen Fällen kommt es auch zu Antisemitismus, während die städtischen Zeitungen fehlende Humanität beklagen.

Antisemitische Berichterstattung

Der «Luzerner Landbote», die «Sempacher Zeitung» und der «Katholische Volksbote» zählen damals zu den Zeitungen, welche sich nicht gegen die Schweizer Flüchtlingspolitik aussprechen. Sie äussern sich nur dann zum Flüchtlingswesen, wenn gefällte Beschlüsse aus ihrer Sicht zu wenig restriktiv sind. Ihre kritische Haltung gegen die Aufnahme von Flüchtenden begründen sie mit Knappheitsängsten. Besonders die Lebensmittelversorgung sehen die Befürworter der restriktiven Flüchtlingspolitik gefährdet. Doch es lassen sich auch eindeutig antisemitische Tendenzen erkennen.

Ende November 1942 erscheint sowohl im «Katholischen Volksboten» als auch in der «Sempacher Zeitung» ein Artikel von Siegfried Emmenegger. Der ehemalige Pfarrer ist seit 1938 Redaktor der beiden Zeitungen. In seinem Artikel schreibt er über das «Flüchtlingsproblem». «Eingeschlichene, reiche Juden dürfen weder an unseren Hochschulen als Studenten sich breitmachen noch unseren Geschäftsleuten noch mehr schaden als bis anher», wettert der Pfarrer.

Verfolgung war bekannt

Wie ein Artikel der liberalen «LNN» vom 22. August 1942 zeigt, ist der Öffentlichkeit zu dieser Zeit bewusst, dass Jüdinnen vor der deutschen Verfolgung fliehen. In einem kritischen Ton wird der Asylbeschluss thematisiert. Auch wird verdeutlicht, dass zu diesem Zeitpunkt bereits das Wissen von einer Deportation der jüdischen Bevölkerung gen Osten besteht. Heinrich Rothmund selbst gibt später zu, dass die Schweizer Behörden im Juli 1942 bereits über die deutschen Pläne zur Massenvernichtung informiert waren. Die Schweizer Bevölkerung hatte dieses Wissen nicht, dennoch war der Öffentlichkeit bewusst, dass Juden einer immensen Gefahr ausgesetzt waren. Der Flüchtlingsstrom war dabei ein wichtiges Indiz, welches die verzweifelte Lage erkennen liess.

In diesem Kontext liest sich die Aussage von Emmenegger umso erschreckender. Wohlwissend, dass Millionen von Menschen in akuter Gefahr schweben, konzentriert er sich auf Vorurteile, um die restriktive Asylpolitik zu legitimieren.

Diese Mischung aus Antisemitismus und xenophoben Ängsten wird auch in der Analyse anderer Luzerner Zeitungen sichtbar. An Emmeneggers Aussagen kommt jedoch niemand heran. Der weitere Diskurs lässt sich eher durch ein höfliches Umgehen der tragischen Situation charakterisieren.

Karl Wick und das «Vaterland»

Auch Karl Wick, Leiter der Abteilung Kulturpolitik der CVP-nahen «Vaterland», äussert sich am 26. August zur Asyldebatte. Sein Beitrag trägt den Titel: «Grenzen der christlichen Nächstenliebe?» Sein Artikel lässt sich in zwei Abschnitte gliedern. Im ersten bekundet er Sympathie zu den öffentlichen Empörungen über die Grenzschliessung. Den zweiten Teil eröffnet er mit den Worten: «Und dennoch». In Folge schliesst er, dass jede Hilfestellung eine Grenze habe. Die Kritik an den Polizeibehörden hält er für unverhältnismässig. Wenn dabei die «ungemein schwere Arbeit unserer Behörden noch mehr erschwert wird», werde eine Grenze überschritten.

Wick wird in Quellen oft als überzeugter Gegner der Nazis dargestellt. Die Gelegenheit, sich für die Opfer der Nazis auszusprechen, lässt er an diesem 26. August jedoch verstreichen.

Kritische Luzerner Medien

Heftige Kritik an der Grenzschliessung kommt von verschiedenen Luzerner Zeitungen. Die «LNN» druckte am 25. August das Communiqué einer Gruppe junger, progressiver Katholiken ab. Am Vortag hatte Rothmund die polizeilichen Massnahmen vor der «Schweizerischen Zentralstelle für Flüchtlingshilfe» verteidigt.

Im Communiqué kritisieren sie die Asylpolitik heftig. Die Aufnahme von Flüchtlingen sei eine Frage, die das ganze Volk betreffe, nicht nur die Behörden. Auch die christliche Nächstenliebe wird als Argument für eine Aufnahme der Flüchtlinge aufgeführt.

Die Lebensmittelknappheit thematisieren sie ebenso. Während Zeitungen wie der «Luzerner Landbote» oder die «Sempacher Zeitung» diese nutzen, um die Flüchtlingsaufnahme zu legitimieren, wird die Angst vor der Ressourcenknappheit im Artikel hinterfragt. «Aber wenn auch die Versorgungslage der Schweiz einmal bedrohlicher werden sollte, wäre es dann wirklich so schlimm, wenn wir mit diesen Ärmsten auch unsere letzten Bissen teilten (…)?»

Berichterstattung weitgehend ohne Einfluss

Die Rolle der «LNN» als parteilose Zeitung verdeutlicht sich in ihrer Berichterstattung. So publizieren sie auch Beiträge, welche sich kritisch mit der Aufnahme von Flüchtlingen beschäftigen. Im Artikel «Das Flüchtlingsproblem», verfasst von der «Mittelpresse», wird für eine Ausbremsung des «Flüchtlingsstroms» argumentiert.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Luzerner Presselandschaft in der Thematik gespalten war. Die Aufnahme von Flüchtenden spaltete die Meinungen. Verschiedene Argumentationen wurden gebraucht, um Positionen zu bestärken oder abzuschwächen. Der Luzerner Pressediskurs hatte jedoch keinen Einfluss auf die Aufnahme von Flüchtlingen. Das Leiden der jüdischen Bevölkerung überwog die staatliche Angst vor der Ressourcenknappheit nicht.

Verwendete Quellen
  • Literatur: Huber, Max (1989): Geschichte der politischen Presse im Kanton Luzern 1914–1945. Rex-Verlag.
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Ob Hintergründe zu alten Gebäuden, Geschichten zu Plätzen, stadtbekannte Personen, bedeutende Ereignisse oder der Wandel von Stadtteilen – im «Damals»-Blog werden historische Veränderungen und Gegebenheiten thematisiert.
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