Welche Geheimnisse ein 6000 Jahre alter Kaugummi hütet
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Wer einen Kaugummi auf den Boden spuckt, macht sich in der Schweiz seit März 2024 strafbar. Nicht um eine Straftat, sondern um eine kleine wissenschaftliche Sensation handelt es sich hingegen bei einem ausgespuckten Kaugummi aus Cham: Er ist rund 6000 Jahre alt und verrät uns viel über seinen damaligen Kauer.
Gleich vorweg: Jungsteinzeitliche Kaugummis schmeckten weder nach Erdbeeren noch nach Pfefferminz, obwohl beides in seiner wilden Form bereits damals auf dem Speiseplan stand. Auch liessen sich damit keine Blasen machen. Die Steinzeitkaugummis schmeckten rauchig und brannten leicht auf der Zunge, bestanden sie doch aus Birkenpech.
Dieses schwarze, klebrige Material wird durch das Erhitzen von Birkenrinde auf rund 400 Grad unter Sauerstoffausschluss hergestellt. In der Jungsteinzeit geschah das in gut abgedichteten Tontöpfen. Das so gewonnene Pech wurde vor allem als Heissleim zur Befestigung von Steinklingen in Holzgriffen oder zum Flicken zerbrochener Gefässe genutzt.
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Ein Gesundheitskaugummi mit Tücken
Warum aber kauten die Menschen damals solche Pechkaugummis? Mehrere Gründe sind denkbar. Zum einen wird Pech mit der Zeit hart. Durch das Kauen und die Wärme im Mund wird es wieder weich und geschmeidig und eignet sich erneut als Klebstoff. Ein anderer Grund könnte das Betulin sein, einer der Hauptbestandteile von Birkenpech: Es wirkt antiseptisch und kann so Entzündungen im Mundraum lindern.
In späteren Zeiten wurde Birkenpech nachweislich zur Behandlung von Hautkrankheiten und zur Zahnreinigung eingesetzt. Zudem fördert das Kauen die Konzentration und den Speichelfluss, wobei Letzterer auch die Mundflora verbessert. Kauen kann zudem das Hungergefühl lindern, was je nach Ernteausgang von Vorteil gewesen sein könnte. Dennoch sollte man heute auf das Kauen von Birkenpech verzichten: Es ist nämlich krebserregend.
Dem Kauer auf der Spur
Wer aber war der Kaugummikauer von Cham? Forscherinnen und Forscher der Universität Kopenhagen untersuchten im Rahmen des Projekts «Alpgen» die aDNA (ancient bzw. alte DNA), die sich im Kaugummi über die Jahrtausende erhalten hatte. Dabei fanden sie nicht nur heraus, dass der Kauer ein Mann war, sondern auch, dass er vor dem Kaugummikauen ein Egli gegessen hatte. Auch dessen DNA hatte sich im Kaugummi erhalten.
Weitere Untersuchungen sind geplant. Von ihnen erhofft man sich Erkenntnisse über den Gesundheitszustand des Mannes und mögliche Viren in seinem Mund. Das ist bei einem 5700 Jahre alten Kaugummi aus Syltholm (Insel Lolland, Dänemark) bereits gelungen.
Darin wurden nicht nur Bakterien nachgewiesen, die eine chronische Kieferentzündung verursachen können, sondern auch Streptococcus pneumoniae (verantwortlich für viele Lungenentzündungen) und das Epstein-Barr-Virus (verursacht Pfeiffersches Drüsenfieber). Es liessen sich sogar Rückschlüsse auf das Aussehen der steinzeitlichen Dänin ziehen: Sie hatte die für die damalige Zeit und Region typischen blauen Augen und dunkle Haut.
Ein Fischer vom Zugersee
Die Egli-DNA verrät es uns: Der Chamer Kauer ass Fisch. Das passt gut zur Fundstelle «Cham-Eslen» im Zugersee, aus welcher der Kaugummi stammt. Archäologinnen und Archäologen vom Amt für Denkmalpflege und Archäologie Zug konnten rekonstruieren, dass dort in der Jungsteinzeit eine Fischerhütte stand.
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Zahlreiche Fischknochen und -schuppen (darunter viel Egli) und rund 1200 Netzsenker aus Stein, die Fischernetze beschwerten und senkrecht im Wasser hielten, sprechen für die Bedeutung der Fischerei vor Ort. Gut möglich, dass der Kaugummikauer aus einem der Pfahlbaudörfer im Uferbereich stammte und zum saisonalen Fischfang nach Eslen paddelte.
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Wie die Pfahlbauer zu Littering standen, wissen wir nicht. Jedenfalls darf man aus archäologischer Sicht für einmal froh sein, dass der Kaugummi nicht ordnungsgemäss entsorgt, sondern einfach ausgespuckt wurde. Sonst wären uns all diese Informationen vorenthalten geblieben. Wer sich das besondere Fundstück selbst anschauen möchte, kann dies im Museum für Urgeschichte(n) Zug tun, wo es in der Vitrine zum jungsteinzeitlichen Cham-Eslen zu sehen ist.
- Ausstellung im Museum für Urgeschichte(n)
- Artikel «A 5700 year-old human genome and oral microbiome from chewed birch pitch»
- Website alpgen.eu