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Zuger Fundstücke aus der Bronzezeit

Mondhörner: im Boden gefundene UFOs

Abb. 1: Ein sogenannt «barrenförmiges» Mondhorn aus Boswil, Kanton Aargau. (Bild: Kantonsarchäologie Aargau, Béla Polyvas.)

Nein, hier geht es nicht um unerklärliche Phänomene im All. UFOs gibt es auch unter dem Boden. Archäologinnen bezeichnen so Funde, deren Funktion sie nicht entschlüsseln können – «Unidentifizierte Fund Objekte» also. In diese Kategorie gehören die «Mondhörner». Zwei Gruben aus dem Kanton Zug mit Mondhornfunden bringen neue Aspekte in die Diskussion um die rätselhaften Tonobjekte aus der Spätbronzezeit.

Mondhörner sind Gegenstände aus Ton oder Stein mit zwei symmetrischen, gebogenen Enden. Den Namen verdanken sie ihrer Form, die an eine Mondsichel und auch ein Tierhorn erinnert (Abb. 1). Mondhörner sind typisch für die Spätbronzezeit (ca. 1300 bis 800 v. Chr.) und kommen nördlich der Alpen zwischen Ostfrankreich und Westungarn vor. Die Schweiz liegt im Herzen ihres Verbreitungsgebiets, hier sind schon über tausend Stück bekannt. Es gibt sie auch in spätbronzezeitlichen Fundstellen der Zentralschweiz, beispielsweise in Sursee, Zellmoos oder Zug, Sumpf (Abb. 2).

Abb. 2: Mondhörner aus der spätbronzezeitlichen Siedlung Zug-Sumpf. Viele Mondhörner sind einseitig mit Leisten, Rillen, Loch- und Punktmustern verziert. (Bild: Museum für Urgeschichte(n) Zug, Res Eichenberger.)

Nützlich, schön oder heilig?

Doch für welchen Zweck sind die Mondhörner hergestellt worden? Dieses Rätsel haben die Archäologen auch nach 170 Jahren Forschung nicht gelöst. Die Form der mysteriösen Tonobjekte beflügelt die Fantasie seit deren erster Entdeckung 1851. So sind Mondhörner schon als Dekoration für die Wohnung, Nacken- oder Kopfstütze, Schmuck auf dem Dachgiebel, Träger einer Lichtquelle und Halterung für ein Regal oder Gefäss interpretiert worden.

Verbreitet ist auch die Ansprache als Feuerbock. Dieser wird unter brennende Holzscheite gestellt, um die Luftzufuhr zu verbessern, oder dient als Auflage für Bratspiesse. Und besonders gerne werden Objekte ohne klare praktische Funktion in der Archäologie als «kultisch» angesprochen. Manche interpretieren die Mondhörner gar als astronomische Messgeräte. Diese Deutung ist jedoch sehr umstritten. In einigen Dörfern wie beispielsweise im neuenburgischen Hauterive-Champréveyres hat man sechs und mehr Mondhörner pro Haus gefunden. Es stellt sich die Frage, ob der Bedarf an astronomischen Messgeräten in der Bronzezeit wirklich so gross war?

Auch die archäologischen Fundumstände helfen nicht bei der Deutung, denn sie sind sehr unterschiedlich. Mondhörner finden sich vor allem in Siedlungen, dort häufig in Gruben, aber kaum in Gräbern. Mal liegen sie im Hausinnern um die Herdstellen, mal ausserhalb der Gebäude. An manchen Orten gibt es mehrere Mondhörner pro Haushalt, an anderen nur wenige Exemplare pro Dorf. Manche, aber nicht alle haben Brandspuren und fast immer sind sie zerbrochen – vielleicht mit Absicht?

Der Trend geht in Richtung Kult

Mondhörner gehören zu denjenigen Funden, die wir nicht verstehen, weil Vergleichbares im heutigen Alltag fehlt. Und anders als etwa beim tönernen Kochtopf oder beim Steinbeil, die wir zwar nicht mehr verwenden, aber noch verstehen, ist die Kette der Überlieferung bei den Mondhörnern unterbrochen. Keine der Interpretationen überzeugt bisher uneingeschränkt. Während die archäologische Forschung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr rational geprägt war, sind heute religiöse Interpretationen durchaus wieder zulässig.

Aktuell wird das Mondhorn daher als Bildträger kultischen Inhalts und als liturgisches Gerät für Rituale angesehen, in denen möglicherweise auch die Astronomie eine Rolle spielte. Diese Rituale ganz zu entschlüsseln wird uns wohl nie gelingen – ganz abgesehen davon, dass sie sich vielleicht auch von Region zu Region unterschieden.

Zwei Zuger Gruben mit mysteriösem Inhalt

Im Unterfeld bei Steinhausen wurde 1996 eine flache Mulde aus der Spätbronzezeit (um 950 v. Chr.) entdeckt, die Scherben von gegen 150 Gefässen und Fragmente von zwei Mondhörnern enthielt (Abb. 3 und 4). Vergleichbare Gruben gibt es vom Elsass bis nach Österreich, sie werden heute als Überreste von Fest- oder Kultmahlen interpretiert. Man stellt sich vor, dass nach bestimmten Mahlzeiten das gesamte Geschirr und die Kultgeräte rituell entsorgt wurden. Die Grube bei Steinhausen wäre demzufolge Zeugin einer liturgischen Handlung, die mit der Entsorgung aller Gegenstände endete und zu der auch Mondhörner gehörten.

Eine ganz andere Grube mit ebenfalls bemerkenswertem Inhalt stammt aus dem Äbnetwald bei Cham. Bei Rettungsgrabungen stiess die Zuger Archäologie dort 2018 auf eine grosse spätbronzezeitliche Grube von etwa eineinhalb Metern Tiefe (Abb. 5). Ein treppenartiger Abgang führte zum tiefsten Punkt der Grube. Ablagerungen zeigen, dass die mit Steinen umrandete Grube eine Zeit lang mit Wasser gefüllt war. Ebenso besonders wie die Grube selbst waren auch die Funde darin.

Abb 5.: Cham-Oberwil, «Äbnetwald»: Die spätbronzezeitliche Grube zu Beginn deren Freilegung. Vorne rechts ist die nach vorne gekippte Steinstele erkennbar. (Bild: Amt für Denkmalpflege und Archäologie Zug, Simon Meier.)

Bis auf einen kleinen Topf handelt es sich dabei nämlich ausschliesslich um archäologische «UFOs»: einen Rillenstein, eine stilisierte menschliche Stele aus Sandstein und ein zerbrochenes in der Grube verteiltes Mondhorn (Abb. 6). Die Interpretationsvielfalt ist bei den Rillensteinen ebenso gross wie bei den Mondhörnern. Sie wurden schon als Gewicht zum Beschweren von Fischernetzen, als Quetscher für Nüsse und Knochen, als Schleudersteine oder als Werkzeug für die Bearbeitung von Bronze angesehen, doch ihr tatsächlicher Zweck ist unklar.

Auch die Bedeutung der Stele in Menschenform (Menhir) – bislang ein absolutes Einzelstück – erschliesst sich uns nicht vollumfänglich. Was wohl im 9. Jahrhundert v. Chr. rund um diese Grube vor sich ging? Handelt es sich bei unseren «UFOs» um Opfergaben für Wassergottheiten oder um liturgisches Gerät für eine Art Taufe? Es bleibt noch viel Raum für Interpretationen.

Abb. 6: Cham-Oberwil, «Äbnetwald»: Funde aus der spätbronzezeitlichen Grube (900–800 v. Chr.): Rillenstein, Steinstele, Mondhorn und ein Keramikgefäss. (Bild: Museum für Urgeschichte(n) Zug, Res Eichenberger.)

Die Besucherinnen im Museum für Urgeschichte(n) Zug können sich bald selbst ein Bild machen. Vom 1. August bis zum 24. Oktober widmet sich eine Sonderausstellung den mysteriösen Tonobjekten. «Mondhörner – Rätselhafte Kultobjekte der Spätbronzezeit» versammelt Funde aus verschiedenen Schweizer Sammlungen und führt in ihre Vielfalt ein. Zu sehen sind auch die Objekte aus der Grube im Äbnetwald und weitere Zuger Mondhörner. Mehr Information: www.urgeschichte-zug.ch.

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