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Eigentumswohnungen statt Lehrlingsheim in Ebikon

Abgebrochen und kein Ersatz in Sicht

Das 1954 erbaute Lehrlingsheim in Ebikon. (Bild: gek)

In Ebikon wurde vor wenigen Wochen das 1954 erbaute Lehrlingsheim abgebrochen. Der Le-Corbusier-Mitarbeiter Gisbert Meyer entwarf es in einer Zeit, als die Architektur eine soziale Ausrichtung erfuhr. Statt eines Ersatzes folgen nun Eigentumswohnungen.

Bauen trägt eine grosse Verantwortung gegenüber Mitmenschen und Nachwelt. Das geht heute mehr und mehr vergessen. Ein Beispiel dafür war das Lehrlingsheim in Ebikon, das vor wenigen Wochen abgebrochen wurde. Es war mit sozialem Bewusstsein erbaut worden.

Die Betreiber hofften, dass sich im Zusammenleben der 29 Lehrlinge in der Hausgemeinschaft die Charaktere der Bewohner für die spätere Zukunft positiv formten.

Besonderes Finanzierungsmodell

«In seinen Räumen verbindet das Heim Arbeit, Erholung, Besinnung und Spiel, Ordnung und Freiheit zu einem geschlossenen Lebensstil», hiess es 1952 in einem Spendenaufruf, mit dem die Hoffnung verbunden war, «dass wir für das notwendige und sehr zeitgemässe Werk mindestens hundert Freunde finden, welche mit uns zusammen hunderttausend Franken der Bausumme auf zehn Jahre als zinsfreies Darlehen sichern».

Nicht nur dieses Finanzierungsmodell, das wie eine Vorwegnahme eines Crowdfunding unserer Tage erscheint, auch die soziale Ausrichtung ist zeitgemäss geblieben. Was damals in den Händen der Pallottiner lag, eines christlichen Ordens, der das benachbarte Studienheim St. Klemens betrieb, ist heute Gegenstand politischer Debatten.

Strikte Hausordnung

Beim Lehrlingsheim ging es auch um bezahlbaren Wohnraum. «Für die volle Tagespension werden dem Lehrling nur sechs Franken berechnet; das Heim wird also kein Gewinngeschäft.»

Einen Aufpreis bezahlten die jungen Menschen im strikten Befolgen der Hausordnung, die alle Belange des Alltags regelte: «Im Erdgeschoss stellen die heimkehrenden Lehrlinge erst die Velos ein, legen im Trockenraum ihre nassen Kleider ab, wechseln im Schuhraum die Schuhe, finden nach Wunsch die Duschen und steigen dann in die Wohnräume hinauf.»

Paternalistisches Prinzip

Der Architekt des Lehrlingsheimes, Gisbert Meyer, in den späten 1920er-Jahren Mitarbeiter im Studio Le Corbusiers in Paris, lieferte für das Heim einen funktionalistischen Grundriss, der neben Einer- und Dreierzimmern auch einen Speisesaal, ein Oratorium, Bastelräume und Räume für Heimmutter und Hausvater bereithielt.

Letzterer trage «die Obsorge, dass sich jeder eine gesunde Ordnung, guten Umgang, währschaften Charakter anerzieht». Das formulierte paternalistische Prinzip machte sich auch die Architektur zu eigen. Meyers Gebäude zeigte sich als solider Putzbau mit Satteldach und Lochfenstern.

Dem zweigeschossigen Bau war seine spezielle Funktion nicht anzusehen. Nur der zur Strasse ausgerichtete Kopf mit Speisesaal und Oratorium zeichnete das Gebäude gegenüber gewöhnlichen Wohnbauten aus. Einzig die grosse Verglasung nach Westen («hinter dem grossen Fenster befindet sich ein lichtvoller Speiseraum») setzte dem Gebäude den Stempel der Moderne auf. Und die sorgfältig ausgestalteten Details machten aus dem eher bescheidenen Bau ein charaktervolles Gebäude.

Architektur trotz Ökonomie

Mit seiner unprätentiösen Architektur war Meyer auf der Höhe seiner Zeit. Für einen Sozialbau war in den Nachkriegsjahren Ökonomie ein Gebot der Stunde. Dennoch wollte Meyer nicht auf Architektur verzichten.

Die Gliederung des längsrechteckigen Gebäudevolumens, die Platzierung am Parzellenrand, die Anbindung an den Quartierweg, die Ausrichtung der Zimmer nach Westen und die Ausbildung von allgemeinen und privaten Bereichen aber auch das grosszügige Raumangebot machten das Gebäude zum Massstab für eine Zeit, die auf soziale Fragen mit einer angemessenen Architektur zu antworten wusste.

Schade, ist dieser Zeuge nun verschwunden und ein Ersatz seiner Ideale, zumindest auf dem Grundstück, wo er bis vor Kurzem stand, nicht in Sicht. Stattdessen entstehen hier Eigentumswohnungen für die Mittelschicht: «Perfekt für all jene, die etwas abseits der Stadt, aber trotzdem zentral wohnen möchten», wie es auf der Internet-Bautafel heisst.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Hans Peter Roth
    Hans Peter Roth, 11.08.2020, 12:23 Uhr

    Interessanter Artikel! Es bleibt die Frage, wie das soziale Projekt der Pallottiner zu einem Spekulanten-Objekt verkommen konnte?

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