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Gerold Kunz in Chicago

Ein Geschenk von Licht

Die Glasscheiben sind mit einem emaillierten Punktraster überzogen. (Bild: Gerold Kunz)

Das Spertus Institut wurde 2008 von den Chicagoern zum besten Gebäude des 21. Jahrhunderts erkoren, obwohl die mit gefalteten Glasflächen versehene Fassade eigentlich fremd in ihrer Umgebung ist. Die Wahl für Glas für das Jüdische Institut wird von Kritikern hier als Zeichen des Vertrauens verstanden, das nach 9/11 in den USA an einem Tiefpunkt angelangt war.

Das «Spertus Institute for Jewish Learning and Leadership» hat 2007 seinen Neubau an der South Michigan Avenue am Grant Park bezogen. Die Chicagoer Architekten Krueck + Sexton wurden schon im Jahr darauf für dieses Werk mit zehn Auszeichnungen geehrt. Noch im gleichen Jahr hatten die Leser des Chicago-Readers den Glasbau zum besten Gebäude, das bis anhin im 21. Jahrhundert gebaut wurde, erkoren.
Und der Architekturkritiker Blair Kamin wertet die Wahl für Glas für ein jüdisches Institut zudem als ein Zeichen des Vertrauens, das nach den Ereignissen von 9/11 in den USA an einem Tiefpunkt angelangt war.

Für meine Augen hingegen wirkt die leichte, mit gefalteten Glasflächen versehene Fassade auf den ersten Blick fremd in ihrer Umgebung, die aus Massivbauten und Lochfassaden besteht. Gründe genug, sich mit dem Bau näher auseinanderzusetzen.

Quersichten im Gebäude

Das zehngeschossige Gebäude wird als Schule, Museum und für Veranstaltungen genutzt. Die Besucher werden von einem dreigeschossigen Atrium empfangen, in dem die Rückwand des Auditoriums der Blickfang ist. Die folgenden vier Geschosse sind Büro- und Unterrichtsräume. Die oberen drei Geschosse werden von verschiedenen Öffnung durchdrungen, so dass Quersichten durch die Ebenen möglich sind. Und im zehnten Geschoss gibt eine von Glasflächen umschlossene Terrasse den Ausblick auf den Lake Michigan frei.

In ihren ersten Studien wollten Krueck + Sexton das Auditorium im Boden einlassen und die Eingangshalle bis weit nach oben ziehen. Von Beginn an suchten die Architekten nach Lösungen mit einer Glasfassade, weil das Gebäude nur von Osten Tageslicht einfangen kann. Eine alle Geschosse durchdringende Halle sollte Tageslicht auch in die tief im Gebäude liegenden Räume leiten.
Das Volumen respektiert die Höhen der angrenzenden Gebäude. Auch die Lösung mit der gefalteten Glashaut entstand aus der Analyse der Nachbarbauten, die mit Erkern und Zierelementen ebenfalls über eine belebte Fassade verfügen.

Vergangenheit in der Architektur der Gegenwart

Blair Kamin, der mit einem Pulitzerpreis geadelte Architekturkritiker der Chigaco Tribune, sieht im Spertus Institut einen Edelstein, der in die Reihe von ehrwürdigen Altbauten platziert wurde. Vom Institutsgebäude lasse sich anschaulich lernen, wie sich die Vergangenheit in der Architektur der Gegenwart ausdrücken könne, nämlich «durch einen intelligenten Gegenpol als durch einen harten Kontrast oder eine billige Imitation», wie Kamin schreibt. Das Gebäude sei ein «Triumpf der Architektur und ein Geschenk von Licht, und dies von einer Bauherrschaft, die viel Dunkelheit erlebt habe».

Diese Betrachtungsweise konnte ich beim Besuch des Gebäudes nachvollziehen. Noch heute zeigt sich der Bau in seiner originalen Gestalt. Einzig die Angebote wurden reduziert. Aus Kostengründen wurde der Betrieb des Cafes aufgegeben und das Museum lässt sich nur auf Anmeldung besichtigen. Im Innern überzeugt die sorgfältige Behandlung der Glashaut und der inneren Oberflächen.
Mit Ausnahme des Auditoriums wurde gänzlich auf Farbakzente verzichtet, die Metallprofile sind in Grau gehalten und die Glasscheiben aussen mit einem weiss emaillierten Punktraster überzogen. Diese nüchterne Architektursprache macht aus dem Gebäude jenen Lichtfänger, den die Architekten zu realisieren sich aufgemacht hatten.

Billige Imitation

Von aussen ist es nicht das Spertus Institut, das stört, sondern das erst vor kurzem mit einer flachen Glashaut renovierte Nebengebäude des Columbia Colleges. Bei der Eröffnung des Spertus hatte dieses Gebäude noch eine vorgehängte Stahlglas-Fassade, die dank den Metallprofilen über eine angemessene Tiefenwirkung verfügte. Bei der inzwischen erfolgten Renovation wurde nun die Vorhangfassade durch eine neue Glashaut ersetzt, die, wie beim Spertus, flächenbündig auf die Profile gesetzt wurde.
Damit hat sich nicht nur die Glasfläche dieser Zäsur verdoppelt, sondern auch die Bedeutung des Spertus reduziert. Die Architekten versuchten mit einem Punktraster das Abbild des Vorgängerbaus wiederzugeben, was aber nicht funktioniert.

Statt das Spertus als den «Edelstein in der Reihe von ehrwürdigen Altbauten» zu akzeptieren, haben die für die Restaurierung des Columbia Colleges verantwortlichen Planer mit ihrem Verhalten eine «billige Imitation» des erfolgreichen und beliebten Nachbarn geschaffen, die dem Spertus Institut aber auch der Häuserzeile an der Parkfront schadet.

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