Markus Schärli will für Fluss kämpfen

«Gesetze nützen nichts, wenn sich die Reuss nicht wehren kann»

Markus Schärli hat eine Bachelorarbeit zu Rechtspersönlichkeit von Naturwesen geschrieben. An der Reuss will er sie in die Praxis umsetzen. (Bild: mas)

Markus Schärli möchte der Reuss zu ihrem Recht verhelfen. Weil der Fluss, wenn er Schaden erleide, nicht klagen könne, brauche er das Persönlichkeitsrecht. Dazu will Schärli eine Initiative lancieren. Im Interview erzählt er, wie die Idee funktionieren solle.

zentralplus: Markus Schärli, Sie haben extra für die Reuss einen Verein gegründet. Was bedeutet Ihnen der Fluss?

Markus Schärli: Ich gehe oft an der Reuss spazieren und in ihr schwimmen. Eine besonders spezielle Beziehung zum Fluss habe ich nicht, aber sie ist Teil meines Lebens wie für jeden Luzerner.

zentralplus: Nun möchten Sie dem Fluss Persönlichkeitsrechte verleihen. Weshalb?

Schärli: Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens setzt der Natur- und Tierschutz weltweit vermehrt darauf, Natureinheiten und Wesen zu Persönlichkeitsrechten zu verhelfen. Das finden wir sinnvoll, und wir sind Teil dieser Bewegung. Zweitens: Heute ist es so, dass ein Wesen oder eben ein Fluss gar keine Möglichkeit hat, sich zu wehren, wenn es oder er geschädigt wird. Es gibt wohl Gesetze, die den Schutz der Reuss gewährleisten sollten, aber bei Verstössen kommt es meistens lediglich zu ein paar Bussen und mehr nicht. Es besteht keine Möglichkeit, Klage einzureichen und jemanden, der dem Fluss geschadet hat, zu belangen.

zentralplus: Reichen Ihnen denn die bestehenden Gesetze und Rechte zum Schutz der Natur nicht?

Schärli: Alle Rechte nützen nichts, wenn man nicht das Recht auf das eigene Recht hat. Das ist der zentrale Punkt für mich. Was nützen Gesetze, wenn der Fluss vergiftet wird und er sich nicht mal selbst wehren kann?

Markus Schärli

Der 69-jährige Markus Schärli ist Präsident des Vereins Rechtsperson Reuss. Beruflich arbeitet er als Experte für Unternehmenskommunikation. Kürzlich hat er an der Universität Luzern eine Bachelorarbeit zum Thema Rechtspersönlichkeit von Naturwesen geschrieben. Mit der Reuss will er die Theorie in die Praxis umsetzen. Auf dem politischen Parkett möchte er seine Anliegen ebenfalls einbringen: Im vergangenen Frühling kandidierte er für die GLP für den Luzerner Kantonsrat, und im Herbst stieg er bei den nationalen Wahlen ebenfalls ins Rennen. Beide Male verpasste er die Wahl.

zentralplus: Selbst wehren kann sich der Fluss leider nicht. Das müsste jemand für ihn übernehmen.

Schärli: Ich habe den Eindruck, dass es am sinnvollsten wäre, wenn ein Organ die Rechte der Reuss vertreten würde. In Spanien, wo gerade eben eine Salzwasserlagune, das Mar Menor, Persönlichkeitsrechte erhalten hat, steht es jedem Bürger frei, die Rechte der Lagune einzuklagen. Ich glaube aber, dass ein Gremium für die Reuss am zielführendsten wäre. Wie genau das funktionieren würde und wer darin Einsitz hätte, das müsste man nach einer Abstimmung genauer anschauen.

«In der Praxis hat sich gezeigt, dass es einfacher ist, einem Fluss ein Persönlichkeitsrecht zu verleihen als etwa einem Schwein.»

zentralplus: Erfahrungsgemäss haben es Anliegen zum Schutz der Natur oft nicht einfach an der Urne – besonders wenn der Vorschlag aussergewöhnlich ist. Glauben Sie, dass Ihre Initiative überhaupt eine Chance hat?

Schärli: Die Sache ist die: An der Urne darf der Vorschlag scheitern – auch wenn ich natürlich auf das Gegenteil hoffe. Ich bin mir bewusst, dass solche Anliegen keinen einfachen Stand haben. Mir geht es darum, dass das Thema überhaupt auf den Tisch kommt. Die Einführung des Frauenstimmrechts hat auch mehrere Anläufe gebraucht. Der Kampf für Rechte ist ein langwieriger, aber irgendwo und irgendwann muss man starten. Kommt hinzu, dass sich in der Praxis gezeigt hat, dass es einfacher ist, einem Fluss ein Persönlichkeitsrecht zu verleihen als etwa einem Schwein.

zentralplus: Weshalb ist das so?

Schärli: Es ist auf den ersten Blick erstaunlich, weil es aus rechtsphilosophischer Sicht naheliegender wäre, empfindungsfähigen Wesen Rechte zu verleihen. Ich denke, dass dieses paradoxe Verhalten darauf zurückzuführen ist, dass ein Fluss mit eigener Rechtspersönlichkeit wohl etwas Abstraktes ist, für viele aber akzeptabler als zum Beispiel Persönlichkeitsrechte für ein Schwein, weil das immer noch viele Menschen gerne essen.

zentralplus: Wieso setzen Sie sich für die Reuss ein und nicht für die Tiere?

Schärli: Schweine und ihre Rechte liegen mir sehr am Herzen, und ich möchte mich auch für ihr Wohl einsetzen. Letztlich muss man aber irgendwo beginnen, und für mich ist das bei der Reuss. Die Diskussion muss in Gang kommen rund um die Frage: Wieso haben eigentlich nur wir Menschen Rechte und alle anderen Wesen und Einheiten der Natur nicht?

zentralplus: Sie haben auf den Jahreswechsel den Verein Rechtsperson Reuss gegründet. Wie geht es weiter?

Schärli: Ich suche derzeit nach Unterstützung für die Finanzierung der Initiative und das Sammeln der Unterschriften. Mein Wunsch wäre es, wenn wir im kommenden Frühling mit der Unterschriftensammlung starten könnten. Je nachdem, wie die Finanzierung vorangeht, könnte es aber sein, dass sich der Start noch hinauszögert.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Markus Schärli
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5 Kommentare
  • Profilfoto von Paul
    Paul, 09.01.2024, 22:25 Uhr

    Oje. Es wird immer schlimmer. Ich werde die nächste Mücke verklagen welche mich sticht. Körperverletzung und Diebstahl von meinem Blut…….. bitte liebe menschen denkt wieder……

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  • Profilfoto von LD
    LD, 08.01.2024, 22:24 Uhr

    Die Nutztiere sind auch noch keine Wesen und haben ebenfalls keine Persönlichkeitsrechte. Dann würde das unsägliche Morden in den industriellen Schlachthäusern endlich ein Ende finden.

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      Marie-Françoise Arouet, 09.01.2024, 09:04 Uhr

      „Mord“ ist ein juristischer Begriff. Er bezeichnet die Tötung eines Menschen durch einen Menschen, und auch dies nur unter ganz bestimmten Bedingungen. Weiten sie ihn auf Tiere aus, so kommen Sie in ein definitorisches Dilemma. Sie müssten dann sehr sehr viele Tiere eben als „Mörder“ bezeichnen. Damit bringen Sie dann ausgerechnet Tierfreunde und -schützer gegen sich auf.
      Lassen wir die Kirche im Dorf, verwenden wir Begriffe korrekt, und vergessen wir nicht, dass der Mensch das einzige Lebewesen ist, das Tierschutz kennt und betreibt. Gerade das „industrielle Morden“ dürfte zumindest hierzulande die humanste (!) Schlachtmethode aller Zeiten und Gegenden sein.

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      • Profilfoto von Hanswurst
        Hanswurst, 09.01.2024, 13:30 Uhr

        Man kann es auch anders sehen: Die Jahrmillionen alte, natürliche Nahrungskette ist Opfer der Cancel Culture geworden 😂.

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        • Profilfoto von Roli Greter
          Roli Greter, 09.01.2024, 14:59 Uhr

          Übermässiger Konsum von Billigfleisch haben wohl eher dazu geführt.

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