Teil 2: Experte für Fangewalt analysiert

FCL-Hochrisikospiel: Knallt es am 4. Februar in Luzern?

Ob die Fangewalt rund um FCL-Heimspiele wieder zunehmen wird, ist unklar. (Bild: jdi/Adobe Stock)

Fangewaltexperte Tim Willmann blickte im Teil 1 auf die Arbeit der Luzerner Polizei rund um FCL-Heimspiele im Herbst zurück – und stattete ihr ein gutes Zeugnis aus. Neues Ungemach droht jedoch beim Match Luzern gegen den FC St. Gallen.

Kennerinnen der Fanszene beurteilen die Zusammenarbeit zwischen FCL-Fans und den Sicherheitsbehörden seit Saisonbeginn grundsätzlich positiv. Der unter Ex-Regierungsrat Paul Winiker etwas vernachlässigte runde Tisch, der den FCL und seine Fans, die Fanarbeit und die Luzerner Polizei zusammenbringen soll, wurde von Winikers Nachfolgerin, Regierungsrätin Ylfete Fanaj, Vorsteherin des Justiz- und Sicherheitsdepartements, wiederbelebt. Der runde Tisch fand seit ihrem Amtsantritt im Sommer bereits zweimal statt. Eine dritte Ausgabe ist auf Ende Januar eingeplant.

Doch ist der runde Tisch die richtige Antwort auf Ausschreitungen und Randale? Oder bloss eine sozialromantische Illusion? «Nach den vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnissen können dialogorientierte Ansätze und Massnahmen deutliche positive Effekte erzielen», sagt Tim Willmann. Er ist Jurist und Mitarbeiter der Forschungsstelle Gewalt bei Sportveranstaltungen am Institut für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Bern.

Kontinuität statt Resignation

Runde Tische, bei denen die verschiedenen Anspruchsgruppen gemeinsam Lösungen erarbeiten, seien aus wissenschaftlicher Sicht eine gute Herangehensweise, weil sie mögliche Konflikte lösen würden, bevor diese erst entstünden, erklärt Willmann.

Tim Willmann, Luzerner Experte für Fangewalt, am Luzerner Bundesplatz, wo es in Vergangenheit immer wieder zu Ausschreitungen kam. (Bild: jdi)

«Voraussetzung für ein Gelingen ist jedoch eine vorhandene Bereitschaft auf allen Seiten, den Dialog mit den anderen Gruppen zu führen und manchmal auch Kompromisse eingehen zu können», stellt er klar. Ausserdem müsse allen Beteiligten bewusst sein, dass solche Dialogplattformen nicht ausnahmslos alle Zwischenfälle verhindern könnten. Bei entsprechenden Rückschlägen sei es wichtig, nicht gleich zu resignieren, sondern weiter am Kontakt mit den anderen Beteiligten zu arbeiten.

Regierungsrätin Ylfete Fanaj schweigt

Seit November bemüht sich zentralplus um einen Interviewtermin mit Regierungsrätin Ylfete Fanaj (SP) – vergeblich. Wegen laufender Gespräche am runden Tisch sei sie bis nach der Fasnacht – also bis mindestens Mitte Februar – für Interviews zum Thema Fangewalt nicht zu haben, erklärt ihr Sprecher Daniel Graf gegenüber zentralplus.

Die Luzerner Regierungsrätin Ylfete Fanaj vor dem Hauptgebäude der Luzerner Polizei. (Bild: mst)

Nach der Fasnacht – das ist einerseits nach dem dritten runden Tisch seit Fanajs Amtsantritt im Sommer. Anderseits werden bis dann die neuen Massnahmen gegen Fangewalt bekannt sein. Es dürfte sich bei Fanajs Schweigen also um einen kommunikationsstrategischen Akt handeln. Denn als Vorsteherin des Justiz- und Sicherheitsdepartements ist Fanaj gleichzeitig auch Teil der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD). Die KKJPD wiederum erlässt die neuen Massnahmen gegen Fangewalt. Wie Fanaj zu Gästesektorsperren und personalisierten Tickets steht, bleibt also vorläufig unklar.

Neue Massnahmen, neues Unheil?

Die mögliche Stossrichtung gab die KKJPD ohnehin schon im Frühjahr 2023 vor – damals noch unter Mittun von Paul Winiker (SVP). Sie erliess repressive Kollektivmassnahmen, etwa die Sperrung von Gästesektoren, obwohl im 150-seitigen Expertenbericht «Biglietto+» empfohlen wurde, primär auf deeskalierende Präventivmassnahmen zu setzen.

«Gewalt rund um Fussballspiele findet in aller Regel im öffentlichen Raum und nicht in den Fussballstadien statt.»

Tim Willmann, Experte für Fangewalt

Die KKJPD begründete das Vorgehen damit, dass sich Zwischenfälle rund um Fussballspiele gehäuft hätten, was die Ausgangslage grundlegend verändert habe. Doch wie wirksam sind Kollektivmassnahmen? Fananwältin Manuela Schiller erklärte gegenüber zentralplus im vergangenen Sommer: «Sie sind weder geeignet oder zielführend noch erforderlich oder angemessen, um künftige Gewalttaten zu verhindern» (zentralplus berichtete).

Zweifel an Wirksamkeit

Und Fangewaltexperte Tim Willmann? «Der Wirksamkeit von Kollektivmassnahmen wie Sektorschliessungen stehe ich durchaus skeptisch gegenüber», antwortet dieser. Die Datenlage zu solchen Auflagen sei in der Schweiz und im Ausland zwar relativ dünn. Doch die vorhandenen Erkenntnisse würden die erhoffte Wirkung der Massnahmen zumindest anzweifeln lassen.

Probleme rund um Fangewalt entstehen laut dem Experten Tim Willmann vor allem ausserhalb der Stadien. (Bild: Marc Schumacher/freshfocus)

«Es treffen mehrere Probleme zusammen: Gewalt rund um Fussballspiele findet in aller Regel im öffentlichen Raum und nicht in den Fussballstadien statt», erklärt Willmann. «Wird nun der Gästesektor geschlossen, reisen Fans des Gastteams trotzdem an.» Entweder würden sie sich Tickets für einen der Heimsektoren besorgen, was selbstredend Konfliktpotenzial berge. «Oder sie dürfen nicht ins Stadion und halten sich deswegen im öffentlichen Raum auf» – was genauso wenig zur Sicherheit an den Austragungsorten beitrage.

Knalleffekt mitten in der Stadt

Ein Aufeinandertreffen im Stadionperimeter oder in der Innenstadt erscheine so wahrscheinlicher als bei einem regulär durchgeführten Spiel, sodass sich eine Gästesektorsperre sogar kontraproduktiv auswirken könne, führt Willmann an.

«Zudem waren im In- und Ausland bei entsprechenden Massnahmen Solidarisierungseffekte feststellbar, die teilweise über die Vereinsgrenzen hinausgingen.» Heimfans und Gästefans wurden für einmal zu Verbündeten – und die Polizei zum gemeinsamen Feind.

Meist stellt sich die Polizei zwischen die Fanlager. Doch kann es auch vorkommen, dass sich Fans gegen die Polizei zusammenschliessen. (Bild: jdi)

Eine Verhärtung der Fronten zwischen Fans und Behörden und damit das Erschweren des Dialogs zwischen diesen Anspruchsgruppen sei eine weitere negative Konsequenz, schliesst Willmann.

Gästesektorsperre als Sicherheitsrisiko

Er weist in diesem Zusammenhang auf das anstehende Hochrisikospiel zwischen dem FC Luzern und dem FC St. Gallen am 4. Februar hin. Wegen der Ausschreitungen im Frühjahr 2023 (zentralplus berichtete) bleibt der Gästesektor in der Swissporarena auf Geheiss der Arbeitsgruppe Bewilligungsbehörden, die der KKJPD angegliedert ist, geschlossen (zentralplus berichtete). Das werde die Fans aus der Ostschweiz aber nicht davon abhalten, nach Luzern zu reisen – so wie dies im August umgekehrt auch die FCL-Fans getan haben –, vermutet Willmann.

Damals verfolgten die Luzerner das Spiel im St. Galler Kybunpark statt im Gästesektor im Familiensektor. Sehr zum Unmut der direkt daneben sitzenden FCSG-Fans. Sie beklagten Pommes- und Bierwürfe (zentralplus berichtete).

«Ohne Extrazug, Transport zum Stadion mit VBL-Bussen oder bewilligtem Fanmarsch wird es für die Luzerner Polizei schwierig, die anreisenden FCSG-Fans von den FCL-Fans zu trennen.»

Tim Willmann, Experte für Fangewalt

Beim besagten Auswärtsspiel in St. Gallen war nicht nur der Gästesektor geschlossen. Auch stellten die SBB keinen Extrazug zur Verfügung, sodass die St. Galler Polizei keine Ahnung hatte, wie und wann die FCL-Fans anreisen würden. «Das war für die Sicherheitslage rund um dieses Hochrisikospiel genauso problematisch wie die Platzierung der Gästefans neben statt im Gästesektor», so Willmanns Fazit.

St. Galler werden im Familiensektor Tickets kaufen

Dasselbe Szenario kommt nun also auf die Stadt Luzern zu. Tim Willmann rechnet mit mehreren Hundert anreisenden Fans aus St. Gallen. Sie dürften sich für den Sektor D, wo sich auch der Familiensektor der Swissporarena befindet, Tickets besorgen.

Links der im Oktober 2023 einmal mehr ausverkaufte Gästesektor der Swissporarena, rechts der bei Familien beliebte Sektor D, wo sich die Mehrheit der rund 2000 FCZ-Fans einfand. (Bild: fcl.fan-fotos.ch)

Fussballclubs mit grosser Anhängerschaft übersteigen in Luzern die Kapazität des Gästesektors regelmässig, und Fans finden sich darum auch daneben, im besagten Sektor D, ein. «Darum ist der FC Luzern auf dieses Szenario vorbereitet. Das Nebeneinander von Gästefans und Heimfans im Sektor D ging in der Vergangenheit relativ problemlos über die Bühne», blickt Willmann auf FCL-Heimspiele gegen den FC Zürich, den FC Basel und auch gegen den FC St. Gallen zurück.

Profitiert Stadtbevölkerung vom Kaskadenmodell?

«Herausfordernd dürfte dagegen die Situation im öffentlichen Raum ausserhalb des Stadions sein. Ohne Extrazug, Transport zum Stadion mit VBL-Bussen oder bewilligtem Fanmarsch samt verordneter Route wird es für die Luzerner Polizei schwierig, die anreisenden FCSG-Fans von den FCL-Fans zu trennen.»

Die genannten Nebenwirkungen der Gästesektorsperren sind der KKJPD bekannt. Klar: Im Idealfall passiert – trotz der durch die Kollektivstrafe faktisch neu geschaffenen Sicherheitsrisiken – nichts. Im Worst Case haben aber die Einsatzkräfte der Luzerner Polizei und die Stadtbevölkerung die Folgen allfälliger Ausschreitungen zu tragen.

Sollte dieser Worst Case eintreten, ist mit der Verhängung weitergehender Kollektivstrafen durch die KKJPD zu rechnen. Denkbar wären etwa Geisterspiele. Doch ob das blosse Androhen weitergehender Massnahmen, quasi das Damoklesschwert, das über den Fanlagern hängt, die Sicherheit in der Stadt Luzern gewährleisten kann?

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Tim Willmann, Mitarbeiter der Forschungsstelle Gewalt bei Sportveranstaltungen am Institut für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Bern
  • Expertenbericht «Biglietto+»
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