Abtretende Nationalrätin im Interview

Prisca Birrer-Heimo: «Ich habe mich nie verbogen»

Prisca Birrer-Heimo an ihrem Platz im Nationalrat, den sie im Dezember räumt. (Bild: mik)

Prisca Birrer-Heimo ist 2010 als erste Luzerner SP-Frau in den Nationalrat gezogen. Während drei Legislaturen hat sie Steuervorlagen bekämpft und Konsumentenrechte erkämpft. Im Interview sagt sie, woran sie sich auch in 13 Jahren nicht gewöhnen konnte.

SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo kann auf eine lange Karriere zurückblicken: 10 Jahre als Grossrätin (damaliger Kantonsrat) im Kanton Luzern, 7 Jahre als Gemeinderätin von Rothenburg und nun 13 Jahre als Nationalrätin, notabene als erste SP-Frau für Luzern. Quasi auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, dem Erfolg der Fair-Preis-Initiative – die sie selbst als «Meisterstück» bezeichnet –, gab sie ihren Rücktritt auf Ende Legislatur bekannt (zentralplus berichtete).

zentralplus trifft sich mit ihr zu einem Kaffee im «Galerie des Alpes» im Bundeshaus. Kurz bevor sie am Nachmittag ihre zweitletzte Kommissionssitzung bestreitet. Während die Autorin ihren Laptop bereitstellt, packt sie eine Mappe gefüllt mit Zeitungsartikeln auf den Tisch.

zentralplus: Ihnen wird nachgesagt, Sie bereiten sich äusserst gewissenhaft auf Ihre politische Arbeit vor. Augenscheinlich gilt das ebenso für Interviews.

Prisca Birrer-Heimo: Mir war es immer wichtig, mich auch für Interviews vorzubereiten. Vor allem, wenn es darin auch um um Fakten geht, die wichtig sind, beispielsweise bei Abstimmungen. Wenn die Fakten klar auf dem Tisch liegen, will ich sie auch so wiedergeben.

zentralplus: Auch diese Klarheit und Direktheit wird Ihnen nachgesagt. In Porträts werden Sie beispielsweise als «höflich, aber brutal» oder «umgänglich, mit klarer Kante» beschrieben. Können Sie sich damit identifizieren?

Birrer-Heimo: Ja. Egal was ich tue, ich will immer in den Spiegel schauen und sagen können: Das ist ehrlich. Ich habe mich nie verbogen. In der Fraktionssitzung habe ich jeweils direkt gesagt, wenn ich anderer Meinung war, und die Argumente dafür dargelegt. Auch habe ich jeweils so abgestimmt, wie ich es für richtig halte. Bei wirklich ganz heiklen und knappen Abstimmungen kann man sich notfalls enthalten, um nicht die ausschlaggebende Stimme gegen die Fraktion zu sein – was aber kaum vorkam. Doch diese politische Auseinandersetzung auch innerhalb der Fraktion ist wichtig. Man muss streiten können, aber immer mit Respekt. Das ist heute öfter nicht mehr so, was ich bedauere …

zentralplus: Wo zum Beispiel?

Birrer-Heimo: Da gibt es Beispiele aus der WAK (Kommission für Wirtschaft und Abgaben, Anm. d. Red.), wo jegliche Diskussion verweigert worden ist. Ich erinnere mich etwa an die Unternehmenssteuerreform III oder an die Stempelsteuer: Da war in der Kommission kein Kompromiss und teilweise keine Diskussion mehr möglich. Die bürgerliche Kommissions- und Parlamentsmehrheit ist einfach mit ihrer Vorlage durchmarschiert. Wenn es sich so zuspitzt, dann kommt die Vorlage an die Urne – und da hat die Bevölkerung uns dann recht gegeben. Gewisse Kollegen vertreten manchmal einfach die Meinung eines grossen Wirtschaftsverbands, ohne sich vertieft mit Themen auseinanderzusetzen oder die eigene Position zu überdenken. In den vergangenen Jahren hat sich das zugespitzt.

zentralplus: War das zum Anfang Ihrer 13 Jahre im Nationalrat noch nicht so?

Birrer-Heimo: Nein. Ich bin seit 2011 in der Wirtschaftskommission. In meiner ersten Legislatur verliefen die Sitzungen noch anders, die Mitglieder brachten sich mehr ein, auch mal gegen die Meinung der Partei oder der Verbände. Da waren die Diskussionen ebenfalls zum Teil sehr hart, aber man ging eher aufeinander zu und bemühte sich um Kompromisse. Von 2015 an hat dieses «Durchmarschieren» zugenommen. Deshalb haben Referenden zugenommen. Die Stimmberechtigten haben an der Urne Korrekturen vorgenommen, beispielsweise bei der Unternehmenssteuerreform 2017, bei den Kinderabzügen 2020, bei der Stempelsteuer und bei der Verrechnungssteuer 2022.

Auch für ihre zweitletzte Kommissionssitzung hat sich Prisca Birrer-Heimo ausgiebig vorbereitet. (Bild: mik)

zentralplus: Sie werden in Porträts und von Parlamentskollegen oft als «konsensfähig» beschrieben. Wo gehen Sie keine Kompromisse ein?

Birrer-Heimo: Es gibt sicher Positionen, wo ich sage, hier biete ich keine Hand. Oft geht es dann um Fragen der Ausgestaltung. Beispielsweise beim AHV-Alter. Für eine Erhöhung muss das gesamte System angeschaut werden. Was heisst das für Frauen? Was für Leute in Teilzeitpensen? Gleiches gilt auch für Steuerreformen. Bei der Verrechnungssteuer haben wir Hand geboten für Lösungsvorschläge, beispielsweise für ein Meldesystem, um Steuerschlupflöcher zu stopfen.

zentralplus: Ihre politischen Schwerpunkte «Steuern» und «Finanzen» begleiten Sie seit Ihrer Zeit im Grossen Rat und als Finanzchefin in Rothenburg. Was fasziniert Sie an diesen doch eher trockenen Themen?

Birrer-Heimo: Ich finde Steuerpolitik sehr wichtig. Mit Steuern steuert man und prägt gesellschaftliche Entwicklungen. Deswegen hat mich das früh interessiert, und ich wollte die Mechanismen dahinter verstehen. Als ich als Rothenburger Finanzvorsteherin für das Budget verantwortlich war, habe ich all die vielen Bereiche gesehen, was die Gemeinde leistet und wo das Geld herkommt. Dabei hat man eigentlich das ganze «Leben» einer Gemeinde offen vor sich.

zentralplus: So wurden Sie nach einem Jahr in der Sicherheitskommission zu einer der wenigen Frauen in der WAK.

Birrer-Heimo: Allgemein finde ich, dass sich viel mehr Frauen für Steuer- und Wirtschaftsthemen engagieren sollten. Ich habe immer versucht, linke Frauen dazu zu ermuntern, auch wenn das Interesse oft verhalten war. Lange haben sich Politikerinnen vor allem in Bildungs- und Sozialthemen engagiert. Aber gerade in der Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik werden wichtige Weichen gestellt, da spielt viel Machtpolitik mit. Als Politikerin will ich gestalten und bewegen, dazu braucht es Macht. Macht im Sinne von Machen und etwas mitprägen können.

zentralplus: Sie setzten sich für die Frauenförderung ein – doch auf Sie folgen zwei Männer. Was halten Sie davon?

Birrer-Heimo: (Lacht) Ich hatte am Wahlsonntag riesige Freude, dass die SP nun zwei Sitze hat. Dennoch habe ich zuerst auch etwas leer geschluckt, da die Frauen so nah an einem Sitz waren. Aber wir hatten auf der Hauptliste neun sehr gute, starke Kandidaturen. Und David Roth und Hasan Candan sind natürlich sehr profilierte Politiker. Nun werde ich für einige Zeit wohl die erste und einzige Luzerner SP-Nationalrätin bleiben. Doch es gibt andere Parteien, die für eine Frauenvertretung viel mehr in der Pflicht wären. Die Luzerner FDP zum Beispiel hatte seit Helen Leumann keine Frau mehr in Bern. Und mehr Frauen in die WAK wünsche ich mir unabhängig der Partei.

zentralplus: Nebst ihrem Einsatz in Finanzthemen haben Sie sich als Kämpferin für Konsumententhemen einen Namen gemacht.

Birrer-Heimo: Ich war von 2011 bis im März 2022 Präsidentin der Stiftung für Konsumentenschutz. Das war der Teil meiner politischen Arbeit, mit welchem ich besonders nah bei den Leuten war. Beispielsweise zu Themen wie Krankenkassenprämien oder überteuerte Importprodukte. Darauf wurde ich auch oft auf der Strasse angesprochen. Jüngstes Beispiel ist ein hängiges Postulat von mir zu Kündigungen von Telefonabos. Gewisse Unternehmen akzeptieren die nur noch per Chat oder Telefon. Aus Konsumentensicht habe ich mich dagegen gewehrt. Es gibt Leute, die keine Chatmöglichkeit haben und es auch nicht schätzen, eine halbe Stunde in einer Telefonwarteschlaufe zu verbringen. Zudem haben sie per Telefon auch keinen Beweis für die Kündigung in der Hand. Das sind Sachen, die die Leute beschäftigen. Ich habe mich immer für beides sehr gern engagiert – sowohl für Finanz- und Steuerpolitik als auch für Konsumentenschutz.

zentralplus: Hängig ist auch Ihr damaliges Wahlkampfversprechen von 2007, sich für besseren ÖV in der Zentralschweiz einzusetzen. Zuletzt wurden in Luzern die direkten Verbindungen zum Flughafen Zürich gestrichen, der Durchgangsbahnhof rückt weiter in die Ferne (zentralplus berichtete). Was lief schief?

Birrer-Heimo: Ich habe Vorstösse dazu gemacht, aber meine Arbeit für den öffentlichen Verkehr war mehr im Hintergrund. Ich sitze im Ausschusskomitee des Durchgangsbahnhofs und habe mich auch in Sitzungen mit dem Bundesamt für Verkehr wie auch mit der SBB für besseren ÖV engagiert. Aber ja, leider ist das Ergebnis noch nicht so, wie wir das wollen. Es wird noch ein harter Kampf, bis wir den Durchgangsbahnhof haben. Hierfür werden sich meine Kolleginnen und Kollegen im Parlament weiterhin voll engagieren. Auch hoffte ich, dass Luzern noch während meiner Zeit im Nationalrat endlich mehr Verbindungen nach Bern erhält. Doch wir haben nach wie vor nur den Stundentakt. Auch da gibt es noch zu tun!

Prisca Birrer-Heimo wurde an der Herbstsession 2023 aus dem Nationalrat verabschiedet. (Bild: © Parlamentsdienste / Tim Loosli)

zentralplus: Haben Sie in Ihrer politischen Karriere sonst noch etwas versäumt?

Birrer-Heimo: Da kommt mir gerade nichts in den Sinn … Vielleicht, dass ich nicht in allen Geschäften so weit gekommen bin, wie ich wollte. Zum Beispiel mit meiner Motion für die Einführung von Gruppenklagen, wenn viele Konsumentinnen von einem Schaden betroffen sind. Meine Motion ging beim National- und Ständerat durch, der Bundesrat hat einen Bericht und daraufhin eine Botschaft ausgearbeitet. Aber jetzt tut sich der Rat schwer, endlich vorwärtszumachen. Ich habe zwar alles auf die Schiene gebracht, aber bei der konkreten Umsetzung machen bürgerliche Parlamentsmitglieder einen Rückzieher. Doch das ist Politik. Es braucht einen langen Atem, man muss immer dranbleiben.

zentralplus: Sie können also ohne grosse Reue in den politischen Ruhestand. Was machen Sie mit der freien Zeit?

Birrer-Heimo: Mit meinem Mann bin ich gerne auf Reisen. Vor allem in Gebiete mit viel Natur, wo wir wandern, abschalten und beobachten können. Wir sind oft mit dem Feldstecher unterwegs, um Tiere zu beobachten. Dafür haben wir nun viel mehr Zeit. Wir reisen auch in andere Länder, um andere Kulturen kennenzulernen. Beispielsweise interessiert mich die Kultur der Samen in Nordeuropa oder jene der Basken in Frankreich und Spanien. Ich habe eher zu viele Ideen, was ich nun alles machen könnte. Aber ich freue mich, dass vieles jetzt Platz hat.

zentralplus: Sie suchen also bewusst die Ruhe. Nach Ihrer ersten Nationalratssitzung sagten Sie gegenüber dem «Willisauer Boten», Sie könnten sich nicht an die Lautstärke im Saal gewöhnen. Haben Sie das inzwischen geschafft?

Birrer-Heimo: Nein. Das Thema hat mich 13 Jahre lang begleitet, und ich finde es immer noch zu laut. Wenn ich konzentriert arbeiten musste, habe ich, wenn es keine Abstimmungen gab, den Nationalratssaal verlassen. Um Voten vorzubereiten, habe ich jeweils im ruhigen Arbeitsbereich im 3. Stock des Bundeshauses gearbeitet. Ich brauche Ruhe. Besonders auch, weil die Ratssitzungen sehr ermüdend sind. Da prasselt viel gleichzeitig auf einen ein: der hohe Geräuschpegel, Kolleginnen, die mit Vorstössen oder Fragen zu Geschäften vorbeikommen, Medien, die möglichst schnell Antworten erwarten und so weiter. Dieses Schnellebige, diese Reizflut werde ich nicht vermissen.

Verwendete Quellen
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