Katholiken-Hochburg erhält Update

Queere Bibel? Das hält ein Luzerner Professor davon

Luzerner Peterskapelle und Matthias Ederer, Professor für die Auslegung des Alten Testaments. (Bild: kok)

Ein Luzerner Theologe schreibt die wohl erste queere Bibel der Welt – das gefällt nicht jedem. Nun erklärt ein Bibelprofessor, es gäbe einen Grund, warum das Werk gerade im katholischen Luzern entsteht.

Diesen Sommer schreiben der Leiter der Peterskapelle Meinrad Furrer und die queer-feministische Aktivistin Mentari Baumann die wohl weltweit erste queere Bibel. Hier, in Luzern. Pünktlich zum Pride Festival soll sie der Stadt und später im Internet der Welt präsentiert werden (zentralplus berichtete).

Die katholische Kirche Stadt Luzern steht hinter dem Projekt. Auch wenn im Vatikan Homosexualität – gelinde gesagt – immer noch ein kompliziertes Thema ist. «Wir erlauben uns in dieser Frage eine Sicht, die sich von der defizitorientierten Optik des Papstes unterscheidet», heisst es auf Anfrage von zentralplus. Gott liebe alle Menschen, wie sie sind.

Doch der liberale Kurs der Kirche gefällt nicht allen Mitgliedern der Gemeinschaft. Das bestätigen sowohl die katholische Kirche Luzern als auch Meinrad Furrer, der schweizweit bekannte Queer-Pastor und Verfasser der queeren Bibel (zentralplus berichtete). Auch unter dem zentralplus-Artikel zum Thema zeigt sich Unmut. «Was für eine geistlose, dumme, im Kern blasphemische und arrogante Idee!», schreibt ein Leser.

Ist es aus theologischer Sicht in Ordnung, eine queere Bibel zu schreiben? Das hat zentralplus jemanden gefragt, der es wissen muss. Matthias Ederer ist seit drei Jahren Professor für die Exegese des Alten Testaments an der Universität Luzern. Der 45-Jährige sagt, es sei wichtig, die Bibel neu nachzuerzählen. Auch wenn biblisches und modernes Denken nicht immer zusammengehen.

zentralplus: Herr Ederer, sagen Sie: Queer und Bibel, passt das zusammen?

Matthias Ederer: Vielleicht sieht es auf den ersten Blick so aus, als ob das nicht zusammenpasst. Schliesslich kennt die Bibel keinen Begriff für queer. Wirklich deutlich lässt sich in den biblischen Texten auch kein Bewusstsein für das erkennen, was wir mit dem modernen Wort queer umschreiben.

zentralplus: Aber?

Ederer: Sinn und Bedeutung eines Textes sind mehr, als was ein Autor vor langer Zeit sagen wollte. Es geht darum, was der Text an Gedanken, Assoziationen und Bildern auslöst. Aus heutiger Sicht kann es daher viele interessante Ansatzpunkte geben, die uralten Texte der Bibel und das Thema «queer» zusammen­zu­bringen.

«Nacherzählen ist seit 2300 Jahren nämlich die beste Art und Weise, die Bibel ‹upzudaten›.»

zentralplus: Haben Sie ein Beispiel?

Ederer: Ein tolles Beispiel ist die Geschichte vom biblischen Patriarchen Josef, die auch zentralplus letzte Woche aufgegriffen hat. Josef erhält von seinem Vater ein prachtvolles Gewand und ist damit wie eine Frau angezogen. Für heutige Lesende ist queer ein sehr plausibler Begriff für das, was sie gerade gelesen haben. Damit fügen sie den vielen stimmigen Deutungen der Geschichte eine neue hinzu.

zentralplus: Meinrad Furrer will die Bibel nicht nur deuten, er will sie sogar nacherzählen. Wie finden Sie das?

Ederer: Es ist wichtig, die Bibel auch heute neu nachzuerzählen. Nacherzählen ist seit 2300 Jahren nämlich die beste Art und Weise, die Bibel «upzudaten» und ins jeweilige «Heute» zu holen. Die Würde des Menschen, der Sozialstaat oder die Woche mit sechs Werktagen sind «Erfindungen» der Bibel. Sie prägt unsere Sprache, unser Denken, unsere Wertvorstellungen, unsere Ethik, Kunst, Literatur und Musik. Kurzum: Wenn wir verstehen möchten, wer wir sind, kommen wir an der Bibel nicht vorbei.

zentralplus: Gibt es für ein queeres «Update» der Bibel gewisse Regeln?

Ederer: Ich glaube, hier gibt es keinen Kriterienkatalog. Es gibt ja niemanden, dem die Bibel «gehört» und der bestimmen könnte, wie man mit ihr umgehen darf.

zentralplus: Ich dürfte die Bibel also nacherzählen, wie ich will?

Meinrad Furrer ist Leiter der Luzerner Peterskapelle und schreibt an einer queeren Bibel. (Bild: zvg)

Ederer: Im Grunde ja. Wirklich überzeugend wird eine Nacherzählung aber dann, wenn sie das biblische «Original» genau kennt und ernst nimmt. In der Bibelwissenschaft suchen wir ein ehrliches Gespräch zwischen der Bibel und modernen Fragestellungen «auf Augenhöhe». Dazu gehört, die Bibel aus einem aktuellen Blickwinkel zu lesen und neue Perspektiven zu entdecken. Genauso wichtig ist es aber, transparent zu machen, wo biblisches und modernes Denken nicht zusammengehen. Und zu erklären, wie wir damit umgehen können.

zentralplus: Aus wissenschaftlicher Sicht macht das Sinn. Was ist aber mit Gläubigen, die eine queere Bibel ablehnen?

Ederer: Dass die queere Bibel eine rege Diskussion auslöst, finde ich gut. Die Bibel ist an sich sehr diskursiv. Sie ist so angelegt, dass man regelrecht gezwungen ist, darüber zu streiten, wie man sie am besten versteht oder mit ihr «richtig» umgeht. Eine rege, aber respektvolle Debatte über die queere Bibel wäre in jedem Fall ein grosser Gewinn! Auch für aktuelle Fragen, wie zum Beispiel die Genderdebatte.

«‹Neu-Erzählen› biblischer Traditionen funktioniert dort am besten, wo die Bibel noch bedeutsam ist.»

zentralplus: Die katholische Kirche in Luzern scheint das ähnlich zu sehen und unterstützt das Projekt. Überrascht es Sie, dass die queere Bibel in einem katholischen Kanton entsteht?

Ederer: Vielleicht ist das nur ein Zufall. Vielleicht ist es aber auch der Umstand, dass die Religion in der katholischen Zentralschweiz noch einen gewissen gesellschaftlichen Stellenwert hat. Es geht bei der queeren Bibel um ein «Neu-Erzählen» biblischer Traditionen. Das funktioniert dort am besten, wo die Bibel noch bedeutsam ist.

zentralplus: Meinrad Furrer sagt, er schreibe die wohl erste queere Bibel weltweit. Stimmt das?

Ederer: «Bibel und Gender» ist in der wissenschaftlichen Exegese schon seit einiger Zeit ein Thema. Von einer queeren Bibel, die grosse Teile der Bibel neu erzählt und breit wahrgenommen werden soll, habe ich aber noch nie gehört. Doch ehrlich gesagt: Bei der Bibel kann man nie wissen …

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Matthias Ederer
  • Schriftlicher Austausch mit Urban Schwegler, katholische Kirche Stadt Luzern
  • Artikel auf «katholisch.de»
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