Luzerner Theologe segnet queere Paare

Meinrad Furrer: unaufgeregt rebellisch gegen den Vatikan

Meinrad Furrer (57) ist für den Prix Courage nominiert. (Bild: ida)

Der Theologe Meinrad Furrer segnet gegen den Willen des Vatikans homosexuelle Paare. Das braucht Mut. Dafür ist der Leiter des Teams der Peterskapelle in Luzern nun für den Prix Courage nominiert. Die Angst vor Konsequenzen hat Furrer schon längst abgelegt.

Die Regenbogenbank sticht ins Auge. Wir stehen mitten in der Peterskapelle in der Stadt Luzern. Neben uns steht Meinrad Furrer, der uns zuvor die massive Holztür, die von der Sakristei in die Kapelle führt, geöffnet hat. Es ist die Regenbogenbank, die bereits zahlreiche Zeitungen und Magazine zierte. Die Bank, die Furrer selbst bepinselt hat.

Schauplatz Zürich, 10. Mai 2021: Damals stand die Bank noch auf dem Platzspitz. Rund zehn queere Paare und Einzelpersonen setzten sich darauf und liessen sich von Meinrad Furrer segnen. Umgeben waren sie von Kameras und Mikrofonen. Dennoch sei es ein intimer Moment gewesen, ein «heiliger Raum».

«Es ist zu hoffen, dass die Segensfeiern künftig eine Selbstverständlichkeit im Namen der katholischen Kirche werden», sagt uns Furrer heute.

Schreiben aus dem Vatikan löste Unverständnis und Tatkraft aus

Denn das sind sie heute keineswegs. Im März 2021 hielt der Vatikan in einer Stellungnahme fest: Es ist allen Vertretern der katholischen Kirche untersagt, homosexuelle Paare zu segnen. Das Papier aus Rom löste eine Welle der Empörung und Kritik aus. Furrer hatte schon vor Jahren wie einige andere Seelsorgerinnen auch gleichgeschlechtliche Paare gesegnet. In ihm löste die Stellungnahme des Vatikans vor allem eines aus: «Unglaublich viel Unverständnis.» Auch Wut? Furrer überlegt. «Wahrscheinlich schon. Aber das war nicht die starke Energie.»

«Die Stimme aus dem Vatikan ist unglaublich laut – dabei ist sie nur eine kleine Stimme innerhalb der Kirche.»

Meinrad Furrer

Vielmehr stärkte es seine Tatkraft: «Es ging darum, dass man widersprechen musste. Denn es ist verheerend: Die Stimme aus dem Vatikan ist unglaublich laut – dabei ist sie nur eine kleine Stimme innerhalb der Kirche.»

Der Theologe sagt, dass das Segnen von gleichgeschlechtlichen Paaren in der katholischen Kirche «in breiten Kreisen extrem selbstverständlich» ist. Dass die Gesellschaft und die Kirche aber queeres Leben über Jahrhunderte verurteilt hätten, habe tiefe Spuren und Verletzungen hinterlassen. «Solche Zeichen wie aus dem Vatikan sind verheerend. Umso heilsamer sind positive Zeichen», sagt Furrer.

Für sein Engagement, die Kirche offener und vielfältiger zu gestalten, wurde der 57-Jährige nun für den diesjährigen Prix Courage nominiert. Der Preis wird seit 1997 von der Zeitschrift «Beobachter» für «ausserordentliche, mutige Taten» vergeben. An Menschen, die «unerschrocken und mit Hingabe für eine Idee kämpfen – zugunsten einer offenen, solidarischen und gerechten Schweiz», wie die Zeitschrift die Idee dahinter erklärt. Bis an diesem Sonntag kann noch abgestimmt werden, wer den Preis gewinnen soll.

Katholische Kirche Stadt Luzern schätzt Furrers Engagement

Wir lassen unseren Blick durch die Peterskapelle schweifen. Heiligenbilder hängen an den Wänden – und prominent, rechts vom Altar steht eine Maria-Figur, die man nicht alle Tage bewundern kann. Sie wird nur im Mai und im Oktober, den beiden Monaten, die man Maria widmet, hier ausgestellt.

«Wir stehen voll hinter ihm und seinen Anliegen.»

Katholische Kirche Stadt Luzern

Die Peterskapelle ist die älteste Kirche der Stadt. 1178 wurde sie schriftlich erstmals erwähnt. Furrers Engagement – er ist seit diesem Sommer der Leiter des Teams – wird hier sehr geschätzt. «Wir stehen voll hinter ihm und seinen Anliegen», schreibt Urban Schwegler, der Mediensprecher der Katholischen Kirche Stadt Luzern. Dass Furrer für den Prix Courage nominiert wurde, sei eine Anerkennung für seine Arbeit «und eine Bestätigung der Haltung der Katholischen Kirche Stadt Luzern.» Die Kirche verweist auf ihr Leitbild. In diesem steht unter dem Stichwort ‹mutig›: «Wir setzen uns ein für eine partnerschaftliche Kirche von gleichwertigen Menschen.»

Furrer hat auch Verständnis für andere Haltungen

Hinter der Regenbogenbank erblicken wir auf einem Tisch ein Buch mit Stift. Darin findet sich viel Lob, aber auch mal Kritik. «Dafür habe ich zum Teil auch Verständnis», sagt Furrer. Auch für Menschen, die gleichgeschlechtliche Liebe nicht tolerieren? Eigentlich nicht, präzisiert er. «Aber ich kann verstehen, dass es einem wie ein Stück Heimat nimmt.» Heimat sei ja damit verbunden, in einem bestimmten Setting wie eben der Kirche zu wissen, welche Traditionen und Haltungen gelten. «Wenn das bröckelt, dann gehen Heimat und Sicherheit verloren.»

Verletzt ihn diese Kritik nicht? Schliesslich hat Meinrad Furrer seine eigene Homosexualität nie verheimlicht. In persönlichen Gesprächen verletze ihn die Kritik schon, sagt er. Weil er dann das Gesicht hinter der Meinung sieht? Furrer bejaht. «Ich kann dann weniger gut abstrahieren.»

Mit «Provozieren» kann er nichts anfangen

Wir gehen zurück zur Sakristei, die Treppen hinauf zum «Büro». Am PC-Bildschirm hängt in der Ecke ein Bild von Jesus, der mit seiner linken Hand sein Gewand beiseite zu schieben scheint und mit seiner rechten auf sein geöffnetes Herz zeigt.

(Bild: ida)

Auch schon hat man Furrer als Provokateur bezeichnet. Zu seiner Segensfeier auf dem Zürcher Platzspitz sagte etwa der Bischof des Bistums Chur, Joseph Maria Bonnemain, in der «SRF»- Sendung «10 vor 10»: «Die Anweisungen des Vatikans waren eine Provokation. Und das ist wieder eine Provokation. Ich glaube nicht, dass man etwas gewinnt, wenn man auf eine Provokation mit einer Provokation antwortet.»

Ob er provoziere, sei er schon öfters gefragt worden, sagt Furrer und schüttelt den Kopf. Auch, nachdem er in der Peterskapelle in einer Gruppe von Theologinnen ein Bild eines Transmannes gezeigt hatte, dessen Operationsnarbe sichtbar war. «Dieses Wort ‹Provozieren› stimmt für mich überhaupt nicht», sagt Furrer. «Ich wollte schlicht und einfach ein Bild zeigen, das etwas über meine Lebenswirklichkeit aussagt.»

Die Rolle des Provokateurs passt auch nicht zu Furrer. Er spricht ruhig, unaufgeregt und reflektiert. Kritisiert jemand sein Engagement für eine vielfältige Kirche, so suche er wenn immer möglich das Gespräch mit dieser Person. «Das ist nicht immer einfach. Denn die meisten wollen gar nicht in den Dialog treten.»

Sein Engagement für Homosexuelle hat eigentlich etwas Zufälliges. Vor nicht ganz zehn Jahren wurde er gefragt, ob er Teil des Organisationskomitees der Zurich Pride werden wolle. Furrer überlegte – und sagte schliesslich zu. «Denn eine der wichtigsten Botschaften, die ich als Theologe und Seelsorger habe: Verstell dich nicht, steh zu dem, was du bist und entwickle das, was in dir angelegt ist – theologisch würde man sagen: wie Gott dich schuf.»

Auch an der diesjährigen Pride in Luzern, an der die Luzerner Kirchen teilgenommen haben, nahm Furrer eine wichtige Rolle ein (zentralplus berichtete).

Mehrere Generationen unter einem Dach: Freud und Leid gehören zusammen

Aufgewachsen ist Furrer in Schwarzenbach bei Beromünster auf einem Bauernhof, wo drei Generationen gemeinsam lebten. «Das Leben war durch Arbeit definiert», sagt Furrer. Jeden Morgen vor der Schule, am freien Mittwochnachmittag oder an den Samstagen – Meinrad half seinen Eltern im Stall oder auf dem Feld. Auch wenn er am Ende seines Gymnasiums teilweise seine Freunde beneidete, die sich gelegentlich auf ein Bier getroffen haben. «Dennoch bin ich sehr dankbar für alles. Ich weiss, was Arbeiten ist.» Und wenn drei Generationen unter einem Dach zusammenleben, kommt man früh mit Freud und Leid, mit Krankheit und Tod in Berührung. «Es war wie normal, hat nun mal dazugehört.»

«Ich ging als Kind und Jugendlicher jeden Sonntag zur Kirche, ministrierte und war sehr aktiv. Und in all den Lesungen hörte ich nie etwas über das Thema Homosexualität.»

Meinrad Furrer

In seinen frühen 20ern merkte Furrer, dass er homosexuell ist. «Aber so richtig gewusst habe ich es auch damals noch nicht.» Eine Sprache für gleichgeschlechtliche Liebe hatte man zwar schon damals – aber eine negativ behaftete. Furrer erzählt, dass er nur zwei Bilder im Kopf hatte: Das eines alten Mannes im Dorf – eigentlich eine traurige Geschichte – der seine Liebe nicht leben konnte, während das Dorf Gerüchte über ihn streute. Und wenn sein schwuler Cousin zu Besuch kam, gab es jeweils einen Standard-Satz: «Er ist ja schon ein Lieber, nur schade, ist er schwul.»

Furrers Umfeld habe aber durchs Band sehr positiv reagiert, als er sich outete: «Meine Eltern haben grossartig reagiert.» Er habe es ihnen getrennt erzählt. «Weil meine Mutter viel mehr redet als es mein Vater getan hat, er wäre sonst gar nie zu Wort gekommen.» Beide Gespräche hat er auch heute noch in guter Erinnerung.

Glaube und Homosexualität: Zusammenhang ist Furrer «nie begegnet»

Katholizismus und Homosexualität – das ist ein schwieriges Thema. Wie vereinte Furrer damals den Glauben und seine sexuelle Orientierung? «Gehadert habe ich überhaupt nie damit.» Er erzählt weiter.

«Ich ging als Kind und Jugendlicher jeden Sonntag zur Kirche, ministrierte und war sehr aktiv. Und in all den Lesungen hörte ich nie etwas über das Thema Homosexualität. Dieser Zusammenhang mit dem Glauben ist mir nie begegnet.» Furrer betont, dass die Bibel unter anderem auch ein historisches Dokument sei. Man könne einzelne Sätze infrage stellen oder den Kontext interpretieren, ohne damit gleich die ganze Bibel infrage zu stellen.

Das Schreiben aus Rom, Missbrauchsfälle innerhalb der Kirche und eine rigide Sexualmoral: Warum hält Furrer trotz allem am Glauben fest? «Für mich gehören diese Phänomene nicht zum Zentrum des Glaubens, sondern sind Ausdruck einer ungesunden Struktur und Verengung der Kirche», sagt Furrer. Vielmehr konzentriert er sich auf «das befreiende Potenzial der Botschaft des Christentums».

Theologe: ja, Priester: nein

Furrer studierte Theologie in Luzern und Paris. «Das Bild des Theologen und Seelsorgers, der die Nähe zu den Menschen sucht und ihnen auf Augenhöhe begegnet, hat mir immer sehr zugesagt.» Anders das «überhöhte Priesterbild», das die Kirche lange idealisiert habe. «Das hat auch mit dem Zölibat zu tun», erklärt Furrer mit Gelassenheit. «Keine Beziehungen und keine Sexualität zu leben – das hat für mich nie gestimmt. So stark in mein Privatleben wollte ich mir nicht reinreden lassen.»

«Mit der Position, die ich habe, werde ich kaum Karriere machen in der Kirche. Das ist quasi ein Karrierekiller.»

Meinrad Furrer

Furrer ist überzeugt, dass die Kirche offener und vielfältiger werden muss, um allen Menschen Zugang zu spirituellen Ressourcen zu geben. Das sei wichtig. Zum einen, um mit schmerzhaften Erfahrungen besser umgehen zu können. Zum anderen würde das zu einer nachhaltigeren Welt beitragen. «Ich bin überzeugt: Wenn wir mehr Zugang zu inneren Quellen und Ressourcen hätten, so müssten wir uns die Bestätigung weniger im Aussen suchen.» Heute würden wir in einer Kultur leben, die uns zwar ein angenehmes Leben beschere, das aber überhaupt nicht nachhaltig sei.

Mit dem Schreiben aus Rom und der Segensfeier auf dem Platzspitz machte sich Furrer landesweit einen Namen. Wie viele Menschen er vor den Kopf gestossen hat, kann er nicht sagen. Wer sich aber gegen die Lehrmeinung der Kirche positioniert, für den kann es ungemütlich werden. «Die Angst, den Job zu verlieren, war immer da», sagt Furrer. Mit dieser Frage gehe er seit Jahrzehnten um. Doch er habe gelernt, dieser Angst nicht mehr so viel Gewicht zu geben. «Ich wurde mutiger, die Angst habe ich inzwischen abgelegt. Für etwas hinzustehen, das mir wichtig ist, fällt mir nun ganz leicht.»

Wir stehen von unseren Stühlen auf, gehen nochmals in die Kapelle, wo sich Furrer auf die Bank setzt. Er lächelt. «Mit der Position, die ich habe, werde ich kaum Karriere machen in der Kirche. Das ist quasi ein Karrierekiller», sagt Furrer noch und lacht. «Aber damit kann ich sehr gut leben.»

(Bild: ida)
Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Meinrad Furrer
  • Schriftliches Statement der Katholischen Kirche Stadt Luzern
  • Bericht der Katholischen Kirche im Kanton Zürich
  • Prix-Courage-Nomination des «Beobachters»
  • Idee des Prix Courage
  • Folge von «10 vor 10»
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