Geburtsbegleitungen vorübergehend eingestellt

Mehr Geburten, weniger Hebammen: In Luzern sind sie gesucht

Hebammen sind im Kanton Luzern rar. (Bild: Terra Alta)

Hebammen sind so rar, dass einzelne Geburtshäuser bereits die Geburtsbegleitungen auf Eis legen müssen. Die Arbeitsbelastung ist hoch – ein Luzerner Geburtshaus sucht nach Lösungen, um den Job attraktiver zu gestalten.

Es herrscht Hebammenmangel. Das Spital Einsiedeln musste die Geburtsabteilung vorübergehend schliessen – weil die Hebammen fehlen. Auch das Geburtshaus Terra Alta am Standort Luzern ist betroffen. Seit Ende November kann in Luzern vorübergehend keine Geburtsbegleitung mehr angeboten werden.

Vom Fachkräftemangel nicht betroffen sind das Geburtshaus Terra Alta am Standort Oberkirch und das Wochenbetthaus Luzern. Dort steht den Familien weiterhin das volle Angebot zur Verfügung. In Oberkirch bestehen zudem genügend Kapazitäten, um Gebärende aus Luzern aufzunehmen. Fast alle Paare, die von der vorübergehenden Angebotseinschränkung in Luzern betroffen sind, haben nach Oberkirch gewechselt. Darüber berichtete die «Luzerner Zeitung».

Der Entscheid sei kein einfacher gewesen, sagt Anja Zgraggen, Co-Geschäftsführerin vom Terra Alta, auf Anfrage. «Um den Personalmangel in Luzern zu stemmen, hat das Team vom Standort Oberkirch stark ausgeholfen und wir haben auf 12-Stunden-Dienste umgestellt.»

Auf Dauer mit dem bestehenden Team die Geburtsbegleitung an beiden Standorten zu stemmen, sei jedoch nicht mehr machbar gewesen. Das Terra Alta will die Paare jederzeit bestmöglich betreuen – doch auch den Hebammen soll es gut gehen. «Die Belastung für die Mitarbeiterinnen wurde einfach zu gross, wenn sie immer mehr Dienste übernehmen müssen, als ihr Pensum es eigentlich vorgesehen hat», so Zgraggen. Erschwerend kamen krankheitsbedingte Ausfälle hinzu, weswegen man die Geburtsbegleitung in Luzern vorübergehend auf Eis gelegt hat.

Das Geburtszimmer Sole in Oberkirch. (Bild: Terra Alta)

Auch das Luzerner Kantonsspital spürt den Hebammenmangel

Auch andere Spitäler bleiben vom Hebammenmangel nicht verschont, wie etwa das Luzerner Kantonsspital (Luks). «Die Zahl der Bewerbungen ist rückläufig, die Betreuung der Frauen aber sichergestellt», sagt Linus Estermann, Mediensprecher des Luks. Zu Überweisungen von schwangeren Frauen komme es nicht, auch wenn pro Jahr um die 2000 Babys in der Frauenklinik zur Welt kommen.

Hebammenmangel wird zum Politikum

Am Montag wurde zudem bekannt, dass das Luks plant, die Aufenthaltsdauer auf den Mutter-Kind-Stationen seiner Kliniken um einen Tag zu verkürzen. Dadurch komme auf frei praktizierende Hebammen mehr Arbeit zu, so SP-Kantonsrätin Sarah Bühler. Sie will darum wissen, ob genügend Ressourcen im ambulanten Bereich der Geburtshilfe, namentlich bei den frei praktizierenden Hebammen, und bei der Begleitung der jungen Familien vorhanden sind. Zu diesem Zweck hat sie am Dienstag eine Anfrage eingereicht.

In der Hirslanden Klinik St. Anna in Luzern erblickten letztes Jahr 777 Babys das Licht der Welt, das sind knapp 30 Geburten mehr als im Jahr 2022. Diesen Zuwachs habe man dank des «engagierten Teams» sehr gut abdecken können. «Auf der Geburtenabteilung der Klinik St. Anna ist das Team voll besetzt», sagt dazu Judith Dissler, Leiterin Kommunikation. «Das sehr stabile und eingespielte Team wurde in den letzten Jahren kontinuierlich aufgebaut und gepflegt.»

Kurzfristig einspringen – das gehört dazu

In der Schweiz gibt es rund 3400 Hebammen. Eine von ihnen ist Lena*, die in einem Regionalspital arbeitet. Dort herrsche im Allgemeinen eine ruhige Atmosphäre, die Stellen seien voll besetzt. «Dennoch ist der Hebammenmangel wie immer präsent. Nämlich dann, wenn jemand krankheitsbedingt ausfällt und man zusätzliche Schichten oder einen Pikettdienst übernehmen muss.»

Kurzfristig einzuspringen, damit müssten Hebammen immer rechnen, so Lena. Ein Stück weit gehöre das zum Job dazu. Einfach sei es jedoch nicht immer. Sei es, weil man in einem 100-Prozent-Pensum angestellt ist und dadurch einen Tag mehr arbeitet – oder weil man neben dem Job noch andere Verpflichtungen wie Familie hat.

Von Hebammen, die in anderen Spitälern arbeite, hört Lena oft von einem «Gefühl der konstanten Überforderung». «Deren Team von Hebammen ist in etwa gleich gross, doch sie haben doppelt so viele Geburten wie wir», sagt Lena. «Irgendwie» könne das Team dies meist stemmen, doch auf Dauer sei es für die Angestellten nicht gesund. Kommt hinzu, dass die Stellenprozente womöglich nicht ausreichen, nur weil ein Team voll besetzt ist. «Doch für zusätzliche Stellenprozente muss man oft recht kämpfen.»

Im jetzigen Spital könne sie sich aber genug Zeit nehmen für die gebärenden Frauen. Das sei ihr auch wichtig. Lena ist als Spitalhebamme angestellt und arbeitet nach Arbeitsplan. «Manchmal ergibt es sich, dass ich Frauen mehrmals betreue, aber eher durch Zufall.» Wenn die Schicht fertig ist, hat Lena Feierabend. «Ausser, wenn Ende Schicht eine Frau Hilfe braucht oder gebärt, dann bleibe ich natürlich.» Anders ist es bei sogenannten Beleghebammen, die Frauen vor, während und nach der Geburt betreuen.

Für Geburtshaus in Luzern läuft die Rekrutierung

Auch das Geburtshaus Terra Alta will künftig in Luzern auf das Beleghebammensystem setzen – in einem Tandemsystem. Zgraggen erklärt, dass sich in Luzern künftig jeweils zwei Hebammen die Betreuung einer Familie teilen sollen. «Die Frau kann so die Beziehung und das Vertrauen zu ihren zwei Hebammen aufbauen.» Zugleich steige dadurch die Work-Life-Balance der Beleghebammen. «Wenn die eine Hebamme freinehmen will, kann die andere Hebamme den Pikettdienst übernehmen.»

«Das Problem ist, dass zu wenig Praktikumsplätze zur Verfügung stehen, um mehr Hebammenstudentinnen ausbilden zu können.»

Lea Pfenninger, Präsidentin Hebammenverband Sektion Zentralschweiz

Im Geburtshaus in Oberkirch wird weiterhin das Bezugshebammensystem angeboten. Das heisst: Eine Hebamme ist die Vertrauens – und Kontaktperson für die Frau während ihrer gesamten Schwangerschaft. Unter der Geburt wird die Frau dann von der Diensthebamme begleitet und betreut. «Dieses System bewährt sich seit Jahren, fordert aber einen hohen Personalstand», so Zgraggen.

Egal, ob Bezugshebammen- oder Beleghebammensystem: Das Terra Alta werde auch künftig immer die 1:1-Betreuung unter der Geburt anbieten. «Die 1:1-Betreuung stärkt das Vertrauen und die Beziehung zwischen der Frau und der Hebamme. Dadurch könnten kleinste Regelabweichungen frühzeitig erkannt werden, was die Voraussetzung für eine sichere und individuelle Geburt ist.»

Zgraggen geht davon aus, dass ab Mai die Geburtsbegleitung auch am Standort Luzern wieder aufgenommen werden kann. Derzeit läuft die Rekrutierung. Laut Zgraggen ist diese eine «grosse Herausforderung», weil es nur wenig Interessierte dafür gebe.

Anja Zgraggen ist eine der Co-Geschäftsführerinnen der Geburtshäuser Terra Alta. (Bild: Terra Alta)

Kein Nachwuchsproblem, wohl aber rare Praktikumsplätze und hohe Abwanderung

Dass die Rekrutierung neuer Hebammen keine leichte Aufgabe ist, bestätigt auch der Hebammenverband Sektion Zentralschweiz. Spitäler und Institutionen bräuchten länger als früher, um offene Stellen zu besetzen, sagt Präsidentin Lea Pfenninger. Stellen müssten oft über längere Zeit ausgeschrieben werden. Bewerbungen seien spärlich und kommen vermehrt aus dem Ausland. «Einige Institutionen hatten auch schon Mühe, den Stellenplan vollständig besetzen zu können.»

Schichtarbeit, Pikettdienst, knapp bemessene Stellenprozente, hohe Verantwortung bei teilweise tiefem Lohn würden den Hebammenberuf unattraktiv machen. Zudem steigen viele Hebammen frühzeitig aus dem Beruf aus.

Ein Nachwuchsproblem habe der Hebammenberuf indes nicht. Die Studienplätze seien sehr begehrt und müssten durch eine zweistufige Aufnahmeprüfung vergeben werden. «Es wäre auch relativ einfach möglich, an den Schulen mehr Studienplätze zu schaffen», so Pfenninger. «Das Problem ist, dass zu wenig Praktikumsplätze zur Verfügung stehen, um mehr Hebammenstudentinnen ausbilden zu können.»

Attraktivere Arbeitsbedingungen gefordert

Lena gibt der Beruf als Hebamme viel. Sie lässt es auf sich zukommen, ob sie dereinst in die Wochenbettbetreuung wechseln oder als freischaffende Hebamme arbeiten möchte. «Dann kann man Paare während einer längeren Zeit betreuen und eine Beziehung zu ihnen aufbauen, was für mich als Hebamme ein Privileg wäre.» Aber dies bedeute eben auch, auf Abruf immer zur Verfügung stehen zu müssen.

* Name geändert. 

Verwendete Quellen
  • Schriftlicher Austausch mit Medienstellen des Luzerner Kantonsspitals und Hirslanden Klinik St. Anna
  • Telefonat mit Anja Zgraggen, Co-Geschäftsführerin vom Geburtshaus Terra Alta
  • Persönlicher Kontakt mit Hebamme
  • Schriftlicher Austausch mit Lea Pfenninger, Präsidentin Hebammenverband Sektion Zentralschweiz
  • Faktenblatt vom schweizerischen Hebammenverband
  • Artikel in der «Luzerner Zeitung»
  • Weiterer Artikel in der «Luzerner Zeitung»
  • Anfrage von SP-Kantonsrätin Sarah Bühler
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