Wohin, wenn die Kinder ins Spital müssen? In Luzern finden Eltern Unterschlupf im Ronald McDonald Haus Luzern. Warum es die Institution braucht, erklärt Margrit Bucher, die das Haus seit zehn Jahren leitet.
Margrit Bucher stützt sich mit der einen Hand am Fensterbrett ab, mit der anderen zeigt sie aus dem Fenster, auf das rostbraune Gebäude, das in die Höhe ragt. Es ist das Spitalzentrum des Luzerner Kantonsspitals (Luks). Links davon, im mintgrünen Haus, ist die Frauenklinik untergebracht. Ganz rechts das Kinderspital, das von roten Kränen umgeben ist. Hier soll bis 2026 das neue Kinderspital entstehen. Bucher sagt: «Oft stehe ich mit den Eltern hier, zeige auf das Kinderspital und sage ihnen: Da ist ihr Kind. Das beruhigt viele.»
Das Elternhaus ist nur 200 Meter vom Luzerner Kantonsspital entfernt
Das Ronald McDonald Haus an der Trüllhofstrasse ist nur 200 Meter vom Luks entfernt. Hier finden Eltern, deren Kinder im Spital bleiben müssen, ein «Zuhause auf Zeit». In der ganzen Schweiz gibt es sechs solcher Elternhäuser, die auf den Gründer der Fast-Food-Kette McDonald’s zurückgehen. Das Elternhaus in Luzern, das vollumfänglich von privaten Spenden finanziert wird, öffnete vor zehn Jahren seine Türen. Seither haben über 1200 Familien knapp 13’000 Nächte hier verbracht. Geleitet wird es seit seinem ersten Tag von Margrit Bucher.
An diesem Mittwochmorgen ist es ruhig. Im Treppenhaus begegnet Bucher einem Mann. Er lächelt, sieht jedoch etwas müde aus. Die anderen Eltern seien bereits bei ihren Kindern im Spital, erklärt Bucher. Eine Familie habe das Elternhaus heute verlassen können.
«Das Ronald McDonald Haus Luzern braucht es, damit kranke Kinder, die im Spital behandelt werden, nicht auf ihre Eltern verzichten müssen», sagt sie, nachdem sie auf einem Stuhl am Wohnzimmertisch Platz genommen hat. Die Nähe zu den Eltern sei wichtig für die Genesung der Kinder. Und viele Eltern wollen möglichst nahe bei ihren kranken Kindern sein. Und wissen, dass sie in nur vier Minuten im Spital sind, wenn etwas ist. Für andere Eltern ist die tägliche Reise ins Spital schlicht nicht machbar, weil es weit von ihrem Zuhause entfernt ist oder die Mutter nach der Geburt noch zu schwach ist, um täglich zu pendeln.
Frühgeburt, Unfall, Krankheit: Die Gründe für den Aufenthalt
Die Eltern finden den Weg vor allem aus der Zentralschweiz und aus dem Tessin ins Elternhaus. Denn das Einzugsgebiet des Kinderspitals in Luzern ist gross. Vor ein paar Wochen fand eine Familie aus dem Berner Oberland Unterschlupf. Die Mutter gebar das Kind, es atmete nicht. Ärzte mussten es reanimieren. Da kein Spital in der Nähe Platz hatte, jenes in Luzern jedoch schon, wurde das Kind mit dem Helikopter nach Luzern geflogen. «Auch für Kinder ist die Zahl der Intensivbetten begrenzt. Es gibt keine Garantie, dass das Kind im Wohnkanton behandelt werden kann – sei es aus Kapazitätsgründen oder weil eine bestimmte Operation nur von spezialisierten Ärzten gemacht wird», sagt Bucher.
Margrit Bucher, Leiterin Ronald McDonald Haus Luzern«Ich sehe und spüre jeden Tag, dass es dieses Haus hier braucht.»
Die Kinder müssen aus unterschiedlichen Gründen ins Spital. Viele der Eltern haben eine Frühgeburt hinter sich. Bei anderen haben Ärztinnen direkt nach der Geburt ein gesundheitliches Problem festgestellt. Oder das Neugeborene bekommt einen Infekt. In anderen Fällen hatte die Tochter einen Unfall, oder beim Sohn findet ein geplanter Eingriff statt, wie ein Leistenbruch, der operiert werden muss. Manche Eltern verbringen nur einzelne Tage im Ronald McDonald Haus, andere einige Wochen, manche sogar Monate. Das Elternhaus arbeitet eng mit dem Luks zusammen. Die meisten Gäste des Elternhauses wurden vom Luks auf das Elternhaus aufmerksam gemacht.
Kraft tanken und Normalität vorfinden
Für die Eltern ist es natürlich nicht einfach, wenn die eigenen Kinder krank sind und hospitalisiert werden müssen. Das merke man ihnen auch an, sagt Bucher. «Die Angst um das kranke Kind ist sehr gross. Dazu kommt die Ungewissheit, ob das Kind wieder gesund wird.»
Im Elternhaus wollen Bucher und ihr Team, das aus zwei weiteren Festangestellten und freiwilligen Helferinnen besteht, die Eltern auffangen, so gut es geht. «Wir schaffen hier ein Stück Normalität.» Die Eltern müssen nur ihre persönlichen Dinge mitbringen. Bett- und Frotteewäsche stellen sie zur Verfügung. Die Zimmer, die nach den Türmen der Museggmauer benannt sind, sind mit einem Bad ausgestattet. Waschküche und Küche können Besucher gemeinsam nutzen. Eine Übernachtung kostet pro Nacht 20 Franken.
Nicht selten tauschen sich die Eltern untereinander aus. «Zu realisieren, dass sie nicht alleine sind, kann helfen», sagt Bucher. Im Elternhaus können besorgte Eltern Kraft tanken, im Sommer auch im grossen Garten hinter dem Haus, und sich ein wenig ablenken.
Ein Ordner voller Post
Von den Eltern, die im Elternhaus eine temporäre Bleibe gefunden haben, spürt Bucher vor allem eines: Dankbarkeit. Bucher steht auf und zieht einen Ordner aus dem Regal. Zurück am Tisch zeigt sie den Inhalt. Der Ordner ist voll mit Post von Eltern. Handgeschriebene Karten, Fotos von Kindern – die gesund sind. Bucher blättert durch die Seiten. Vor ihr liegt das Foto einer glücklichen Familie. Die Eltern sitzen auf einem Schlitten, vor ihnen stehen zwei Buben, Zwillinge, beide mit petrolfarbener Bommelmütze auf dem Kopf. Bucher lächelt. Die Eltern bezogen vor rund acht Jahren ein Zimmer für rund fünf Monate, weil die Kinder zu früh zu Welt gekommen sind.
«Jedes Jahr zu Weihnachten schickt uns die Familie eine Karte und schreibt ein paar Zeilen, wie es ihr geht.» Das Bild stammt aus dem Jahr 2021, weiter hinten findet sich ein Bild aus dem Jahr 2022. Die Buben sind grösser geworden, halten nun Besen und Rechen in ihren Händen. «Ich bin sicher, dass auch dieses Jahr wieder eine Karte von der Familie kommen wird», so Bucher.
Dankbarkeit der Eltern
Sie holt ihr Handy, zeigt weitere Bilder, die ihr per Whatsapp zugeschickt wurden. Von vielen Familien hört sie an Ostern oder an Weihnachten, andere stehen vor der Tür des Ronald McDonald Hauses, klingeln und bringen Kuchen oder Guetzli. Oder Orchideen. So hat eine Frau, die Orchideen mag und diese im Elternhaus vermisste, sie für ihren Aufenthalt einfach mitgenommen und dagelassen.
Im Elternhaus gibt es ruhigere Tage und solche, an denen gleich mehrere Familien um ein Zimmer im Haus anfragen. «Wenn ich morgens beginne, weiss ich nie, was der Tag bringt», sagt Bucher. Das ist für sie aber längst nichts Neues. Bucher ist gelernte Pflegefachfrau und arbeitete zuvor 18 Jahre lang im Notfallbereich. Auch wenn sie den Job geliebt habe, sie würde nicht mehr wechseln wollen. «Manchmal kribbelt es aber noch in meinen Händen, wenn Freunde, die im Notfall arbeiten, von ihrem Alltag erzählen.»
Warum sie seit zehn Jahren das Haus leitet? «Es ist eine sehr sinnstiftende Arbeit. Die Dankbarkeit der Eltern ist es, die mich täglich motiviert. Ich sehe und spüre jeden Tag, dass es dieses Haus hier braucht. Es vergeht kein Tag, an dem ich kein Dankeschön von den Eltern höre.»
- Persönliches Gespräch mit Margrit Bucher
- Augenschein vor Ort
- Website des Ronald McDonald Hauses Luzern
- Medienmitteilung der Ronald McDonald Haus Stiftung Luzern