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Privatspionage dank technischen Errungenschaften

Von Angesicht zu Angesicht

Ein hauseigenes Überwachungssystem soll vor Einbrüchen schützen. (Bild: iStock)

Unser Literaturblogger vertraut seiner Umgebung immer weniger: Gefährder können sich überall verstecken, unerwartet und bedrohlich. Doch technische Errungenschaften schaffen jetzt Abhilfe. Fortan hat er Gut und Böse sauber definiert auf dem Radar.

Die Polizei hat’s vorgemacht und ihre Erfahrungen haben mich bald einmal völlig überzeugt. Denn schliesslich ist das Polizeiwesen ja auf die Sicherheit von uns allen ausgerichtet; und was immer sie unternimmt und macht, ist auch für unsereins, für Zivilisten wie mich, von nicht zu unterschätzender Bedeutung.

Bald werden wir über die Notwendigkeit, potenzielle Gefährder kaltzustellen, abzustimmen haben. Das können ganz harmlos aussehende Nachbarn und Zeitgenossinnen jeder Art sein, ja selbst Kinder sind zuweilen alles andere als ungefährlich. Ja, mit der Sicherheit ist nicht zu spassen! Könnten wir denn überhaupt noch schlafen, ungestört und ohne Verdacht und Argwohn an unserem Kissen horchen, wenn wir allzeit mit dem Herumschleichen düsterer Gestalten um unser Haus zu rechnen hätten? Wer wollte da nicht frühzeitig genug orientiert und auf dem Laufenden sein, in Echtzeit natürlich, um jede Wahrscheinlichkeit eines schmerzhaften Verstosses gegen unsere sauer verdiente Unbehelligtheit zuverlässig ausschliessen zu können?

Was mich betrifft, so hatte ich bald einmal raus, dass die technische Ausgereiftheit der Systeme zu Überwachung und Gesichtserkennung, besser: zur Filou-Erkennung, nicht nur den Polizeikräften der Kantone zupasskommen sollte, sondern dass jedermann und sozusagen jedefrau von den modernen Möglichkeiten profitieren müsste und sollte.

Einbrecher lauern überall. (Bild: iStock) (Bild: iStock)

Anderswo geht’s schneller

Die Profis im Staatsdienst zehren ja seit einiger Zeit von der israelischen Software «Better tomorrow», um verdächtige Gesichter im wiederholten und gehäuften Auftreten zu erfassen und die unfreiwilligen Schnappschuss-Porträts untereinander abzugleichen. Wenn dann jeder Zweifel an einer solchermassen auftretenden und unverhofft zuschlagenden Identität ausgeschlossen werden kann, dann würde der israelische Geheimdienst eine Drohne loslegen lassen und das schädliche Subjekt zuverlässig aus der Welt schaffen – äh, da bin ich wohl zu weit gegangen; so gründlich und unbürokratisch arbeiten unsere Sicherheitsleute ja nicht. Da muss doch immer allerhand juristischer Bürokratie Genüge getan sein. Das geht dann seinen endlosen Gang durch Institutionen und Besserungsanstalten und entfaltet kaum je seine zeitnahe Wirkung. Bis dann eben jemand wie die Keller-Sutter energisch einschreitet und signalisiert, dass es so ahnungslos und blauäugig nicht weitergehen kann.

Bei uns Privatleuten ist das allerdings ganz anders. Hier gelten Solidarität und gute nachbarliche Beziehungen noch etwas. Dieses rare Gut will man sich nicht durch ausserkantonale, ja ausländische, vielleicht gar ausserirdische Störenfriede kaputt machen lassen. Ruhe und Ordnung im Inneren, das ist ja eine der Kernaufgaben unserer Armee und die wollen wir nie und nimmer im Stich lassen, hat sie doch eine ruhmreiche Geschichte der Bekämpfung von Systemveränderern und revolutionären Hasardeuren hinter und vor sich. Vor ihren Erfolgen und ruhmreichen Taten beugt der Erdkreis sich, sozusagen!

Aus der Not geboren

Doch Spass beiseite, die Lage ist ernst, sie war es schon immer. Wir alle sind gefordert, nicht nur zu Zeiten der Dämmerung, wenn Zwielichtiges über die Bühne bzw. ans Fenster geht, auch am helllichten Tag, wenn Unbotmässiges nicht ausgeschlossen werden kann.

Wie sehr auch in meinem stetigen Bemühen um Bürgerpflicht und Staatstreue zu grossen Taten entschlossen, kam ich allerdings nicht an die ersehnte Software heran, bin ich doch nur ein Amateur in sicherheitspolitischen Belangen, der seine Pflicht und Schuldigkeit zu erbringen sich redlich ereifert. Zu geheim, zu teuer, zu unerreichbar blieb mir die aktuelle Praxis der Gesetzeshüter, zu «classified», wie die Geheimdienste sagen. So versuchte ich mir halt zu helfen, so gut wie es ging.

Ich erinnerte mich der bereits erwähnten guten nachbarschaftlichen Beziehungen und auch der Tatsache, dass in Elektroautos der Marke Tesla ein Teil dieser neuen technischen Möglichkeiten bereits realisiert worden ist. Mit meinem Anliegen rannte ich bei meinem diese Marke fahrenden Nachbarn offene Türen ein. Zwar musste man das System in diesem Auto um eine kleine, nicht weiter nennenswerte Software-Option erweitern. Aber das Prinzip bleibt dasselbe. Der sichere Blick auf die Umgebung, also auf mich und mein Haus, bleibt gewahrt.

Jedes Mal, wenn mein Nachbar bei uns vorbeifährt, spielt der kontrollierende Blick und unsere Umgebung wird nach allem Zwielichtigen durchforstet. Anders als bei unserem früheren Bewachungssystem wird die Polizei nicht erst auf den Plan gerufen, wenn der Einbruch bereits geschehen ist, sondern das belastende Material plus die Identität der Täterschaft sind sozusagen bereits aktenkundig und brauchen nur noch ausgewertet zu werden. Dass die Schuldigen dann gefasst werden, ist nur noch eine Frage der Zeit.

Per Anhalter durchs Quartier

Das Instrument unserer neuen Privatspionage ist ein Fahrzeug, das Gesichter von Passanten und Nummernschilder der anderen Autos in Echtzeit erkennt und alle Informationen speichert. Dabei profitiere ich von einem Programm, das der findige Sicherheitsexperte Truman Kain, der für die amerikanische IT-Firma Tevora arbeitet, entwickelt hat. Er hat eine Software geschrieben, mit der er auf die verschiedenen Kameras der Tesla-Modelle S, 3 und X zugreifen und sie zweckentfremden kann. Der Prozess ist relativ einfach. Denn Kain schliesst dafür einfach einen Computer per USB-Kabel an das Tesla-Modell an und schon kann es losgehen.

Fährt mein Nachbar im Quartier herum, werden andere Verkehrsteilnehmer und Passanten, denen er begegnet, automatisch im System erfasst. In einer Suchmaske in der Software können anschliessend die Personen, die von den Kameras gefilmt wurden, mittels Gesichtserkennung eruiert werden. Auch wer leicht paranoid ist oder das Gefühl hat, verfolgt zu werden, dürfte sich an den neuen Möglichkeiten erfreuen. Denn die Software informiert den Fahrer automatisch, falls ihm ein anderes Gefährt oder eine andere Gefährtin in den letzten Tagen ungewöhnlich oft begegnet ist, inklusive einer Karte mit dem jeweiligen Standort.

Ungeahnte Möglichkeiten

Mit dieser, zugegeben etwas originellen, aber nützlichen Einrichtung kann ich künftig mein optimiertes Scherflein zur allgemeinen Ruhe, Ordnung und Sicherheit der Umgebung beitragen und die hiesige Lebensqualität ungemein erhöhen. Nebenbei gesagt, hat unsere neue Einrichtung auch allerhand Vorteile, die mir erst nach und nach bewusst werden. So kann ich zum Beispiel mit Leichtigkeit abklären, um welche Subjekte es sich bei den Verehrern meiner Tochter handelt und mit wem sich meine Gattin trifft. Ist es in gehäuften Fällen derselbe Bekannte, so läuten, zwar nicht im Computerprogramm, jedoch bei mir die Alarmglocken.

Im Falle meiner Tochter ist es gerade umgekehrt. Und die Postbotinnen und -boten habe ich alle gespeichert. Da kann sich kein dubioses Subjekt als Briefträger ausgeben. Mit wem meine Freunde und Bekannten im Allgemeinen so verkehren, weiss ich natürlich auch. Ob sie lieber ins Theater gehen als ins Kino, ob sie oft genug mit ihrem Hund unterwegs sind, ob sie nervös oder gut gelaunt aus dem Hause treten, auch das. Nach einigen Jahren wird klar werden, wer gut gealtert ist und wer weniger gut. Eines Tages werde ich mir selber einen Tesla anschaffen können. Das wird den Vorteil haben, dass ich das Erscheinen meiner eigenen Person in der vertrauten Umwelt minimieren oder ganz verbergen kann.

Die eigenen vier Wände stets unter Kontrolle haben. (Bild: iStock)

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Hans Peter Roth
    Hans Peter Roth, 25.04.2021, 13:14 Uhr

    Genialer Text, der mich nicht nur köstlich amüsiert, sondern auch bezüglich Algorithmen und Vernetzung weitergebildet hat.

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