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Martina Clavadetscher

So tun als ob

Wenn wir «so tun als ob», spielen wir die Wirklichkeit nach. (Bild: Wikimedia Commons)

«So tun als ob» ist glauben machen und glauben wollen – das einfachste Ritual der Welt: Kinder werden zu Rittern, Drachen, Darth Vader. Und Erwachsene tun so, als seien sie erwachsen. Sie tun so, als würde ihnen das Essen der Gastgeber schmecken, und bei jeder Frage, wie es ihnen geht, sagen sie «Danke gut und dir?».

Das ist kein Blog. Ich weiss gar nicht, wie ein Blog zu sein hat. Ich tu einfach mal so, als wäre es einer. Gutes Verkaufen nennt man das. Andere nennen es Hochstapelei. Das ist einerlei, denn ein Text muss immer so tun, als ob er etwas wäre: Blog, Kurzgeschichte, Theaterstück, Kolumne, Manifest. 

«So tun als ob» ist glauben machen und glauben wollen – das einfachste der Ritual der Welt: Kinder werden zu Rittern, Drachen, Darth Vader. Und Erwachsene tun so, als seien sie erwachsen. Sie tun so, als würde ihnen das Essen der Gastgeber schmecken, und bei jeder Frage, wie es ihnen geht, sagen sie «Danke gut und dir?».

Wenn wir «so tun als ob», spielen wir die Wirklichkeit nach.

Welche Wirklichkeit, fragen Sie jetzt vielleicht – es gibt schliesslich keinen Darth Vader und keine Drachen. Mag sein, aber wir sprechen hier von möglichen Welten. Das sind alle Wirklichkeiten, die jemals und überall, selbst in blossen Gedanken, möglich sind.

Beim «So tun als ob» ist alles möglich. Deswegen könnte ich hier problemlos über Darth Vaders Zahnarztbesuch schreiben oder berichten, wie eine Riesenkrake das Dampfschiff Uri angreift. Aber dazu brauche ich Sie.

Denn nicht nur mein Schreiben ist ein «So tun als ob», sondern auch ihr Lesen. Sie sind stets mein Komplize. Anders geht es nicht. Und ich weiss, Sie machen das ausgezeichnet. Schliesslich sind Sie im «So tun als ob» routinierter als Sie denken.

Genau genommen sind Sie nämlich gar kein Leser, auch kein Bankangestellter, kein Pendler, kein Student, kein Stimmbürger, kein Mann und keine Frau. All das sind Sie gar nicht. Sie tun nur so als ob. Jemand hat Ihnen schliesslich mal gezeigt, wie das geht. Jemand hat es Ihnen schon mal vorgemacht. Und Sie ahmen es nun nach. Sie stehen am Morgen auf und spielen ihr Leben. Sie spielen, dass Sie sich anziehen, dass Sie sich die Zähne putzen, Sie spielen, wie Sie ein Müsli essen und dann zu Arbeit fahren, wo viele anderen ebenfalls spielen, dass sie arbeiten, indem sie telefonieren oder Emails schreiben an Kunden, die wiederum so tun als wäre sie echte Kunden mit echten Kundenwünschen. Lächerliche Hirngespinste, denken Sie?

Aber wer sagt Ihnen denn, dass gerade Ihr Zähneputzen das richtige, wahre Zähneputzen ist? Und nicht bloss ein «Als ob»-Zähneputzen? Woher wollen Sie das wissen?

Klar, es fühlt sich wie richtiges Zähneputzen oder ein richtiges Leben an. Aber am Ende spielen Sie ihre Rolle einfach so täuschend echt, dass Sie selbst den Unterschied gar nicht bemerken.

Wie sollten Sie auch? Sie wissen gar nicht, wie sich das Original anfühlt, dieses einzig Wahre, dem jegliches «So tun als ob»als Vorlage dient.

Doch kein Grund für Existenzzweifel.

Gute Schauspieler, sagt man, gehen ganz in ihrer Rolle auf. Fühlen alles eins zu eins. So verhält es sich auch mit dem Leben. Die Nachahmung wird nicht nur zur Wirklichkeit. Die Nachahmung ist längst Wirklichkeit.

Doch am Ende ist es völlig gleichgültig, ob Sie spielen oder nicht. Hauptsache es fühlt sich echt an. Und jetzt können sie damit aufhören, so zu tun, als würden sie diesen Blog lesen.
Ist ja schliesslich auch gar kein Blog.

 

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