Malvina Abakarova nach dem fatalen Sturz in Luzern

Verunfallte Knie-Artistin: Karriere als Luftakrobatin wohl zu Ende

Gebrochene Handgelenke, ein ausgerenkter Ellenbogen, Verletzungen am Rücken- und Beckenbereich: Malvina Abakarova musste sich nach ihrem fatalen Sturz in Luzern einer sechsstündigen Operation unterziehen.

(Bild: web)

Die russische Artistin Malvina Abakarova verlor während der Vorstellung des Zirkus Knie in Luzern die Kontrolle und stürzte vier Meter in die Tiefe. zentralplus hat die Künstlerin zwei Wochen danach im Kantonsspital Luzern besucht. Trotz der schweren Verletzungen möchte Abakarova dem Zirkus erhalten bleiben – auch wenn sie wohl nicht mehr wie früher als Luftakrobatin arbeiten kann.

Der Traum vom Fliegen ist so alt wie die Menschheit. Ins Schwärmen kommt man erst recht, wenn die beiden Spitzen-Luftakrobaten Valeriy Sychev und Malvina Abakarova hoch über der Manege über den Zuschauern durch die Luft wirbeln. Das russische Ehepaar zeigte seine preisgekrönte Nummer «Desire of Flight» dieses Jahr auch im Zirkus Knie.

Allerdings mit fatalen Folgen: Am 25. Juli machte die ungesicherte 48-jährige Artistin einen Fehlgriff und stürzte daraufhin vier Meter in die Tiefe. Die Vorstellung wurde abgebrochen, die Künstlerin mit diversen Brüchen ins Kantonsspital Luzern eingeliefert. Hier liegt sie seither im fünften Stock in einem Zimmer mit Aussicht und kann unterdessen auch schon erste Schritte durch die Korridore machen. Während einem Besuch hat sie von dem folgenschweren Tag und seinen Auswirkungen auf ihr Leben berichtet.

zentralplus: Malvina Abakarova, Sie liegen seit mehr als zehn Tagen im Spital. Wie geht es Ihnen?

Malvina Abakarova: Ich habe am ganzen Körper Schmerzen, aber es geht mir den Umständen entsprechend besser. Jetzt kann ich auch schon wieder etwas herumlaufen und ein paar Handgriffe selber ausüben. Anfangs weinte ich viel, der Sturz hat alles komplett auf den Kopf gestellt, plötzlich lag ich lahmgelegt im Spital. Ich bin überhaupt nicht daran gewöhnt, so passiv und inaktiv zu sein. Aber jetzt geht es besser und ich bin recht zuversichtlich.

zentralplus: Was für Verletzungen haben Sie sich beim Sturz zugezogen?

Abakarova: Beide Handgelenke sind gebrochen, der eine Ellenbogen ausgerenkt und es gibt Verletzungen am Rücken- und Beckenbereich. Zudem ist mein Körper vom Aufprall in die Manege von oben bis unten mit Blutergüssen übersät. Die Ärzte haben mich im Zweierteam sechs Stunden lang operiert…

zentralplus: Ein Albtraum für eine Zirkusartistin! Was heisst das für Ihre Zukunft: Können Sie je wieder Luftakrobatik machen?

Abakarova: Das weiss ich jetzt noch nicht. Die Ärzte können noch keine genaue Prognose machen, ob und wie gut alles wieder zusammenwächst. Aber ich muss schon damit rechnen, dass ich meine Karriere als Luftakrobatin nicht wie bis jetzt weiterführen kann. Der Zirkus ist mein Leben und meine Leidenschaft – ich werde darum auf jeden Fall weiter als Artistin unterwegs sein, allenfalls mit einer anderen Nummer. Zum Beispiel als Clown, weil ich mich ja schon lange mit Dramaturgie beschäftige.

Zwei Wochen nach dem Unfall stellt sie im Spitalkorridor bereits wieder ihre Beweglichkeit unter Beweis.

Zwei Wochen nach dem Unfall stellt sie im Spitalkorridor bereits wieder ihre Beweglichkeit unter Beweis.

(Bild: cwe)

zentralplus: Angenommen, Ihre Verletzungen heilen gut und Sie könnten theoretisch wieder durch die Luft wirbeln. Sitzt einem nach einem solchen Unfall nicht die Angst im Nacken?

Abakarova: Damit habe ich schon einmal Erfahrungen gemacht: 2015 habe ich mir bei der gleichen Nummer – die ist übrigens wunderbar! – das eine Handgelenk gebrochen. Danach musste ich mich wortwörtlich in kleinen Schritten wieder an die Arbeit in der Höhe machen, bis ich wieder ganz frei und entspannt war. Ob mir das nach dem jetzigen Unfall auch wieder gelingen würde, weiss ich nicht.

«Dass damit ein Berufsrisiko verbunden ist, wissen wir und nehmen das auch in Kauf».

zentralplus: Obschon «Desire of Flight» sehr anspruchsvoll und schwierig ist, sind dabei weder Sie noch Ihr Partner gesichert. Ist das nicht fahrlässig?

Abakarova: Mein Mann und ich arbeiten immer ungesichert – das ist ein Alleinstellungsmerkmal unserer Show und zeichnet uns als hervorragende Artisten aus. Dass damit ein Berufsrisiko verbunden ist, wissen wir und nehmen das auch in Kauf. Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es in diesem Job nun mal nicht.

zentralplus: Was genau ist passiert bei jener verhängnisvollen Vorstellung?

Abakarova: Ich habe für einen Sekundenbruchteil die Kontrolle verloren und bin abgerutscht. Ein falscher Handgriff bei einer solchen Nummer ist einer zu viel….

«Während des Falls war alles offen, ich erinnere mich an nichts».

zentralplus: Was ging Ihnen während dem Sturz durch den Kopf?

Abakarova: Während des Falls war alles offen, ich erinnere mich an nichts. Als ich am Boden landete, hatte ich keine Panik, aber extreme Schmerzen. Zum Glück wusste ich, wie man in einer solchen Situation richtig atmen muss – das habe ich bei der Geburt meiner beiden Kinder gelernt. Und dann ging alles sehr schnell und ich wurde ins Spital gebracht.

zentralplus: Wie sieht es mit Versicherungen aus: Bringt Sie der Erwerbsausfall jetzt in eine prekäre Situation?

Abakarova: Darüber muss ich mir zum Glück keine Sorgen machen! Der Zirkus Knie hat all seine Artisten gut und korrekt versichert. Überhaupt möchte ich anmerken: Kaum ein Zirkus auf der Welt ist bei den Künstlern so beliebt wie der Zirkus Knie. Hier treten hochprofessionelle Artisten auf, die Arbeitsbedingungen sind sehr gut und dazu stimmt auch noch die Atmosphäre – der Umgang unter allen Zirkusleuten ist im Knie sehr familiär und liebenswürdig. Fredy Knie hat mich denn auch sofort im Spital besucht und Sie sehen ja selber, wie viele Blumen und Karten ich bekommen habe….

Blumen und Karten anderer Knie-Artisten zeugen von der Beliebtheit des Schweizer Nationalzirkus.

Blumen und Karten anderer Knie-Artisten zeugen von der Beliebtheit des Schweizer Nationalzirkus.

(Bild: cwe)

zentralplus: Sie wirken trotz des Unfalls und Ihrem recht lädierten Zustand bemerkenswert optimistisch. Sind Sie ein besonders mutiger Mensch?

Abakarova: Mein Mann sagt jeweils zu mir: «You are a really soldier!» und das hat wohl was. Aber so sind wird Zirkusleute alle, wir kennen es nicht anders. Ich komme aus einer Zirkus-Dynastie in dritter Generation: Mein Grossvater war Artist, seine sieben Töchter sind auch alle im Zirkus und auch meine Kinder bleiben dem Metier treu. So ersetzt mich jetzt meine 26-jährige Tochter bei der Luftakrobatik-Nummer.

zentralplus: Haben Sie keine Angst, dass Ihrer Tochter das Gleiche passieren könnte?

Abakarova: Ich bin eine Mutter und sorge mich natürlich. Angst um sie habe ich nicht direkt, aber ich denke während ihren Auftritten sehr konzentriert an sie. Sie ist übrigens vor zehn Jahren auch schon für mich eingesprungen und hat während meiner Schwangerschaft meinen Part als Akrobatin übernommen. So funktioniert das in einer Familien-Dynastie.

zentralplus: Der Zirkus Knie hat in Luzern seine Zelte abgebrochen und ist weitergezogen. Wie geht es bei Ihnen weiter?

Abakarova: Voraussichtlich muss ich noch einige Zeit hier im Kantonsspital bleiben. Danach werde ich für drei Wochen nach Solothurn verlegt, um dort diverse Therapien zu machen. Wie es dann weitergeht, wird sich zeigen. Einen Trost gibt es: Ich habe vom Spitalfenster aus einen grandiosen Ausblick. Das ist hoffentlich ein gutes Omen.

Zirkus-Dynastie und russische Community

Während des Gesprächs kommen immer wieder Pflegerinnen, um Malvina Abakarova Blut abzunehmen oder um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Man kennt die Künstlerin hier, einige haben auch ihre Nummer im Zirkus Knie gesehen. «It was so amazing! Phantastic!», schwärmt eine junge Frau in weissem Kittel.

Auch sonst herrscht reger Betrieb im Zimmer mit Aussicht auf Luzern. Mitglieder der russischen Community in Luzern haben sich schnell nach dem Befinden ihrer Landsfrau erkundigt und lesen ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Da ist zum Beispiel die in Rothenburg wohnhafte Russin Larissa T., die regelmässig im Spital vorbeischaut und auch gleich noch Sushi für die Patientin mitbringt.

Malvina mit ihrer Tante Fatima

Malvina mit ihrer Tante Fatima

(Bild: cwe)

Angereist aus Moskau ist auch Fatima Gadjikyrbanova. Sie ist die Tante von Malvina Abakarova, lebt in Las Vegas lebt und arbeitet ebenfalls im Zirkus. Die 66-jährige Seiltänzerin erzählt von ihrem Mann – ebenfalls ein Artist –, der nach einem Sturz 13 Jahre lang im Koma gelegen habe, bevor er dann gestorben ist. Die Ironie am tragischen Schicksal: Er verunfallte nicht im Zirkus, sondern stürzte zu Hause die Treppe hinunter.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Roman Haeberli
    Roman Haeberli, 14.08.2017, 21:30 Uhr

    Augen auf bei der Berufswahl! Hoffentlich wird die Artistin wieder kerngesund… Ob man einen solchen Unfall mental unbeschadet übersteht und die Nummer wieder gleich durchziehen kann, ist eine andere Frage.

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