Stadt Luzern

Umstrittene Auslagerung der Altersheime

Pflege und Betreuung im Alter sind eine zeit- und kostenintensive Gemeindeaufgabe.

Luzern will seine Betagtenzentren, Alterssiedlungen und Pflegewohnungen per 2015 in eine gemeindeeigene Aktiengesellschaft auslagern. Rund 1’000 städtische Angestellte wären davon betroffen. Für sie wurde zwar nun ein Gesamtarbeitsvertrag (GAV) abgeschlossen. Doch die Grundsatzkritik am Geschäft verstummt nicht. Während die Politik einen Rückgang an Einflussmöglichkeiten auf die Geschäfte moniert, befürchtet der Berufsverband der Pflegefachleute einen Rückgang der Pflegequalität.

In den nächsten Tagen wird Luzerns Sozialvorstand Martin Merki (FDP) an einer Pressekonferenz zusammen mit beteiligten Sozialpartnern den vereinbarten Gesamtarbeitsvertrag (GAV) vorstellen. Einige Wochen später wird der Stadtrat darüber informieren, wie er sich die Überführung der Heime und Alterssiedlungen in eine gemeindeeigene Aktiengesellschaft konkret vorstellt (siehe auch Infobox).
Die AG soll die heutige Dienstabteilung Heime und Alterssiedlungen der Stadt Luzern (HAS) ablösen. Die Details sind noch vertraulich. Dennoch wird das Thema die Luzerner Politik die nächsten Monate beschäftigen. Im Frühling 2014 schliesslich sollen die Stimmbürger über das Geschäft, das rund 1000 städtische Angestellte betrifft, entscheiden.

Seit der Stadtrat das Vorhaben 2012 vorstellte, wird es kontrovers diskutiert. Grundsatzkritik kommt von links. Die städtische SP erachtet es laut Parteipräsident Claudio Soldati als falsch, wenn die Altersbetreuung dem freien Markt überlassen wird. «Das zählt zum Service public und ist eine Kernaufgabe der öffentlichen Hand. Die Politik sollte auch weiterhin mitreden können», verlangt Soldati. Offene Fragen gebe es vor allem bei der Pflegeleistung und deren Qualität. «Diese darf nach unserer Meinung nicht abnehmen oder schlechter werden. Der Stadtrat muss ein Auge darauf haben.»

Grüne zwischen Ablehnung und Partizipation

Umwandlung in gemeinnützige AG geplant

Die Menschen leben immer länger und brauchen in ihren letzten Lebensjahren oft (intensive) Pflege. Das geht massiv ins Geld. Seit der Einführung des neuen Pflegefinanzierungsgesetzes von Bund und Kantonen 2011 erwachsen der Stadt Luzern für die Langzeitpflege jährliche Zusatzkosten von rund 16 Millionen Franken. Insgesamt gab Luzern 2011 rund 34 Millionen Franken für die Pflege aus.

Mit einer Auslagerung der Altersbetreuung in eine nicht gewinnorientierte Aktiengesellschaft, die zu 100 Prozent der Stadt gehört, verspricht sich der Stadtrat mehr unternehmerischen Spielraum, um im Wettbewerbsdruck von privaten und staatlichen Anbietern Erfolg zu haben.
Das Projekt steckt noch mitten im politischen Prozess. Wichtige Eckpunkte sind die konkreten Arbeitsbedingungen, wer das Sagen hat in der AG, ob die Stadt Besitzerin der Liegenschaften bleibt und nicht zuletzt die Sicherstellung einer hohen Pflegequalität.
Mitte Oktober wird der GAV vorgestellt und später der (zweite) Bericht und Antrag des Stadtrats veröffentlicht. Er geht zuerst an die Mitglieder der Sozialkommission und kommt dann im Dezember ins Luzerner Stadtparlament. Die Volksabstimmung ist für Mai 2014 vorgesehen.

Skeptisch sind auch die Grünen. Korintha Bärtsch, Fraktionspräsidentin im Grossen Stadtrat: «Das Geschäft ist bei uns umstritten.» Noch gibt man sich zurückhaltend, schliesslich hatte der frühere grüne Stadtrat Ruedi Meier das Vorhaben in seiner Amtszeit vorangetrieben. Der heutige FDP-Sozialvorstand Martin Merki hat die «heisse Kartoffel» also geerbt und führt das Geschäft jetzt zu Ende. Ausgelöst wurde das Geschäft durch einen CVP-Vorstoss, der vom Parlament überwiesen wurde.

Bereits haben sich Grüne und SP/Juso-Vertreter für das betroffene Personal stark gemacht. So fragten vier Parlamentarier im April in einer Interpellation den Stadtrat, wie die Interessen des Personals und damit der Fachbereich Pflege in den Gremien des Projekts zur Ausgliederung angemessen vertreten werden könnten.

Einer der Interpellanten ist der grüne Grossstadtrat Ali Celik. Er ist auch Mitglied der Sozialkommission und hat dort aktiv mitgewirkt, «um ein positives Resultat für alle zu erzielen». Celik: «Viele unserer Forderungen sind aufgenommen worden. So hat die Stadt einen Gesamtarbeitsvertrag mit Vertretern der Arbeitnehmer ausgehandelt.» Offen seien jedoch, was passiere, wenn dieser ausläuft oder gekündigt wird.

Grundsätzlich hat sich das Projekt gemäss Celik positiv entwickelt – «die Steuergruppe mit Stadtrat Martin Merki hat viel Arbeit geleistet». Noch bestünden aber offene Punkte.

Die Stadt hat mit den EWL (Energie Wasser Luzern) und den VBL (Verkehrsbetriebe Luzern) bereits Erfahrung mit der Umwandlung von Service-Public-Bereichen in gemeindeeigene Aktiengesellschaften. Dazu sagt Celik: «Anders als bei EWL und VBL, wo es vor allem um Maschinen und Finanzen geht, hat die Alterspflege aber mit Menschen zu tun. Das ist ein viel sensiblerer und emotionalerer Bereich.»

Bürgerliche: «Grundsätzlich positiv»

Bürgerliche Parteivertreter in der Sozialkommission sehen die Auslagerung als Chance, nicht als Problem. SVP-Grosstadtrat Jörg Krähenbühl: «Wir stehen dem Projekt grundsätzlich positiv gegenüber. Es gibt aber noch offene Fragen, die wir vom Stadtrat beantwortet haben wollen.» Welche das sind, wollte er mit Hinweis aufs Kommissiongeheimnis nicht verraten.

CVP-Grossstadträtin Agnes Keller-Bucher betont ebenfalls die Chancen. «Eine Aktiengesellschaft ist agiler, kann schneller Entscheidungen treffen und sich besser im Markt behaupten.» Die Politik müsse nicht jeden Schritt mitbestimmen und sei über die Leistungsaufträge beteiligt. Die Littauerin weist zudem auf die Kostenfrage hin: «Die neue Pflegefinanzierung hat die Kosten in die Höhe getrieben. Deshalb muss unsere Altersbetreuung effizienter werden.»

Pflegefachfrau: «Es braucht Fachpersonen im Kader»

Den künftigen Gesamtarbeitsvertrag ausgehandelt haben Vertreter der Stadt (Arbeitgeberin) mit Vertretern des Stadtpersonalverbands, den Gewerkschaften VPOD und Syna und des Berufsverbands der Pflegefachleute (Arbeitnehmer).

Claudia Husmann sass bei den GAV-Verhandlungen mit am Tisch. Sie ist Geschäftsstellenleiterin der Sektion Zentralschweiz des Schweizer Berufsverbands der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK). Details zum abgeschlossenen GAV will und darf sie nicht bekannt geben, betont aber, dass der Vorstand des SBK Anfang Jahr entschieden habe, sich nicht gegen die Auslagerung stark zu machen.

Dennoch kommen Forderungen auf den Tisch. So verlangt der SBK, dass Fachpersonen in der Führung der geplanten AG angemessen vertreten sind. Husmann: «In der operativen Geschäftsführung braucht es eine starke Pflegedienstleistung. Eine geeignete Pflegefachperson sollte auch im Verwaltungsrat Einsitz haben. Diese kennt die Bedingungen der Leistungserbringung am und mit dem Menschen besser als eine Fachperson aus Betriebswirtschaft und Recht.»

Es zeige sich gemäss Claudia Husmann in der Praxis, dass «diejenigen Institutionen der Gesundheitsversorgung erfolgreicher sind, welche eine starke Einbindung der Pflege in den Entscheidungsgremien haben». Definitiv Stellung nehmen könne man aber erst bei Vorliegen des zweiten stadträtlichen Berichts.

Emmen «schlechtes Beispiel»

Die Stimmen, welche einer Auslagerung positiv gegenüber ständen, würden Langzeitinstitutionen als Beispiele anführen, die auch nach einer Änderung der Rechtsform in eine AG oder eine Stiftung gute Pflegeleistungen erbringen würden. Emmen, welches der Stadtrat in seinem Argumentarium zitiere, ist aber gemäss Husmann ein schlechtes Beispiel. «Den politischen Entscheidungsträgern von Emmen wurden vor der Auslagerung vor allem Finanzkennzahlen vorgelegt. Eine Auswertung zur Qualität der Pflege vor und nach der Auslagerung liegt bis heute nicht vor.»

Dann äussert Husmann doch noch Grundsatzkritik. «Die Vertreter der Stadt Luzern haben aus unserer Sicht kein überzeugendes Argument vorgebracht, wieso eine Ablösung von der Politik nötig ist.» Es könne in der Literatur nicht nachgewiesen werden, dass Privatisierungen (oder Mischformen wie öffentlich-rechtliche Partnerschaften) im Bereich des Service public dem Nutzer etwas brächten. Die Geschäftsstellenleiterin: «So muss die zentrale Frage bleiben: Was gewinnt der alte Mensch, der in ein Heim muss, bei einer Auslagerung?»

Auch das Argument der Befürworter, dass Privatanbieter die gute Versorgung der Stadt unter Druck setzen könnten, stimme nur bedingt: «Aus unserer Sicht steht es der Politik frei, die Leistungsverträge an Bedingungen zur Qualität der Leistungserbringung zu binden.» Zudem bestünden Befürchtungen, dass der ökonomische Druck fürs Pflegepersonal unter dem Dach einer AG weiter zunehmen wird.

Die Langzeitpflege sei ein Dienstleistungsbereich, in dem sich die Nachfrageentwicklung lange im voraus zeige – man wisse also, wie viele ältere Leute in den nächsten Jahren pflegebedürftig würden. Damit widerspricht Husmann dem Argument des Stadtrats, dass das ganze Alterswesen mehr unternehmerische Freiheit benötige.

Ersatz der Fachkräfte durch Ungelernte?

Dennoch glaubt sie nicht, dass sich für das Personal durch die Umwandlung in eine AG Wesentliches verändert. «In den ersten Jahren nach der Auslagerung passiert nicht viel. Die Arbeitsbedingungen sind gesichert, eine wesentliche Änderung des Stellenplans ist nicht möglich.» Entscheidend werde die langfristige Entwicklung der gemeindeeigenen AG und die Strategie des neuen Verwaltungsrats sein, erklärt die Geschäftsstellenleiterin des SBK.

Aufgrund des Fachkräftemangels in der Pflege seien die Vertreter der Arbeitnehmer zwar momentan tatsächlich am längeren Hebel, sagt ein anderer Arbeitnehmervertreter, der nicht namentlich genannt werden will. «Doch das betrifft primär die ausgebildeten Fachkräfte. Es besteht daher die Befürchtung, dass Gelernte vermehrt durch unqualifizierte Hilfskräfte ersetzt werden, denen man weniger Lohn zahlen muss.»

Der zuständige Stadtrat Martin Merki wollte vor der Bekanntgabe des GAV zu Fragen von zentral+ keine Stellung nehmen.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von vpod Luzern
    vpod Luzern, 10.10.2013, 10:04 Uhr

    Trotz der guten Bedingungen heisst die Zustimmung zum GAV für den vpod luzern nicht zwingend ein Ja zum politischen Prozess. Ob die Heime und Alterssiedlungen aus der Stadt Luzern ausgegliedert und in eine privatrechtliche Aktiengesellschaft überführt werden sollen, ist eine politische Frage. Diese wird von den Luzerner Stimmberechtigten im Mai 2014 beantwortet werden. Der Stadt ist es aus unserer Sicht bisher nicht gelungen, die Notwendigkeit und die Vorteile einer Verselbstständigung überzeugend darzulegen. Der vpod hat auf Grund der bis dato vorliegenden schriftlichen und mündlichen Informationen eine Nein-Empfehlung beschlossen. Der neue Bericht und Antrag steht dem vpod noch nicht zur Verfügung. Der vpod Luzern wird diesen sorgfältig prüfen und der Vorstand wird danach nochmals eine Empfehlung abgeben.

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  • Profilfoto von mariostuebi
    mariostuebi, 09.10.2013, 10:13 Uhr

    Das kommt heraus, wenn sich AGs um betagte Menschen kümmern: www.bernerzeitung.ch/region/thun/Wohnen-im-Alter-gibt-vier-von-sechs-Altersheimen-auf/story/13022440 – machen wir in der Stadt Luzern nicht den gleichen Fehler!

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