Curlingweltmeisterin Christine Urech

«Mit ein bisschen ‹bäsele› hat das nichts zu tun»

Sie will beruflich und sportlich hoch hinaus: Christine Urech auf ihrem designten Hocker auf dem Dach ihres Ateliers in Luzern.

Sie tüftelt mitten in der Luzerner Kulturszene an neuen Möbeln herum und ist nebenbei die beste Curlerin der Welt. Christine Urech kann wischen wie verrückt und hat einen präzisen Blick – auf dem Eis und auch sonst im Leben. Darum lebt sie auch in Luzern, wo sich nicht alle so wichtig nehmen. Genau das passt ihr.

Will man sie in ihrem Atelier treffen, muss man etwas suchen. Und hat man die 31-Jährige endlich in einem Haus voller Kulturschaffenden an der Industriestrasse endlich gefunden, wird es eng: Ihr Büro oder Atelier ist so klein, dass man kaum zu zweit Platz hat darin. Ein grosser Bildschirm, eine Kartonwand mit Skizzen und ein kleines, altes Sofa – mehr ist da nicht.

Ziemlich bescheiden. Denn eigentlich arbeitet hier eine Weltmeisterin. Und Europameisterin gleich auch noch. Als Mitglied der Flimser Curlerinnen hat Christine Urech letztes Jahr die «verrückteste Curlinggeschichte aller Zeiten» – so hiess es damals in der «Schweiz am Sonntag» – geschrieben. Zuerst wurden sie im Curling-verrückten Land Kanada Weltmeister – gegen das einheimische Team und vor einer grossen Kulisse. Später doppelten sie nach und schafften in der Schweiz den Europameistertitel.

Taten statt Worte

Zur Person

Christine Urech, Jahrgang 1984, wuchs in Lyss im Kanton Bern auf. Sie studierte in Aarau Industriedesign und arbeitete bis im Sommer als Assistentin an der Zürcher Hochschule der Künste. Urech wohnt heute mit ihrem Partner in Luzern und arbeitet als selbstständige Designerin. Mit der Holzmöbelkollektion «NIǓ» gewann sie 2012 zusammen mit Susanne Hölzl den Wood Award, welcher vom Verband der Schweizer Schreinermeister und Möbelfabrikanten verliehen wurde.

Urech ist eine Spitzen-Curlerin. Als Mitglied des Curlingteams Flims wurde sie überraschend 2014 in Kanada Weltmeisterin und später in der Schweiz Europameisterin.

Christine Urech strahlt über beide Ohren, wenn sie davon spricht. «Diese Titel zu gewinnen, das war einfach genial, grossartig.» Plötzlich stand sie mit ihren drei Partnerinnen im Scheinwerferlicht. Zeitungen, Fernsehen, Radio – alle wollten etwas von den vier Frauen. In den Kopf gestiegen ist es ihr nicht, das spürt man sofort. Christine Urech ist keine, die sich gerne in den Mittelpunkt stellt. Taten statt Worte, das ist ihre Devise.

Seit viereinhalb Jahren wohnt die gebürtige Bernerin nun in Luzern. Nachdem sie in Aarau Industriedesign studiert hatte, lebte sie zuerst in Zürich, weil sie an der Zürcher Hochschule der Künste eine Stelle als Assistentin hatte. «Zürich war ok, aber so richtig heimisch habe ich mich da nicht gefühlt», gibt sie zu. Das ist hier in Luzern anders. «Eigentlich bin ich wegen der Liebe hierher gekommen», sagt sie und schmunzelt. Ihr Freund lebt in Luzern – und so haben sie hier gemeinsam eine Wohnung gesucht.

Vom coolen Zürich ins liebliche Luzern

In Luzern fühlt sich die Curling-Weltmeisterin wohl. Sie sei von Anfang an sehr herzlich aufgenommen worden. «Die Stadt ist fast schon kitschig, weil sie so schön ist. Luzern ist eigentlich diesbezüglich nicht zu übertreffen.» Und Christine Urech liebt sowohl Wasser wie Berge. Deshalb hat sie, kaum wurde sie hier wohnhaft, die Lage optimal genutzt. «Ich habe die Motorboot- und die Segelprüfung gemacht, zudem gehe ich viel und oft in die Berge, um zu wandern oder Ski zu fahren.»

Christine Urech in voller Curling-Montur.

Christine Urech in voller Curling-Montur.

(Bild: Anil Mungal)

Aber das wichtigste sind die Menschen: Luzern sei ähnlich wie Bern, sagt sie. Wenn man vom geschäftig-coolen, leicht unterkühlten Zürich nach Luzern fahre, sei es, wie wenn man in eine andere Welt eintrete. «Hier fühlen sich nicht alle so unglaublich wichtig. Das schätze ich sehr.»

Ein brotloser Sport

Und wie sieht ihr «Doppelleben» als Spitzencurlerin und Designerin aus? Es sei manchmal gar nicht so einfach, alles unter einen Hut zu bringen, sagt sie. Während der Saison, die von September bis April dauert, trainiert sie dreimal die Woche in der Curlinghalle in Luzern – ohne ihr Team. «Am Montag ist jeweils der Nationaltrainer mit dabei», so Urech. Am Wochenende sind häufig Turniere, die von Freitag bis Sonntag dauern. Geht es ins Ausland, ist sie bis zu einer Woche weg.

Die Unkosten sind durch Sponsoren gedeckt, zu verdienen gibt es allerdings nichts. Und da Christine Urech nebenbei nur zu etwa 60 Prozent arbeiten kann, muss sie finanziell ziemlich knapp kalkulieren. «Ich lebe bescheiden», sagt sie und lacht. Dies mache ihr nicht viel aus, betont sie. «Dafür kann ich curlen – das gibt mir sehr viel.»

Stuhl mit verdrehten Beinen

Hinzu kommt, dass Christine Urech sich als Industriedesignerin selbstständig gemacht hat. Was vor allem eins bedeutet: unsicheres Einkommen. Abermals lächelt sie. Das geht schon irgendwie, will diese Geste wohl ausdrücken. Tatsächlich läuft es zur Zeit nicht schlecht. Zusammen mit Simone Hölzl hat sie eine Kollektion von Holzmöbeln entwickelt. Herzstück ist ein Hocker mit verdrehten Beinen – damit haben die beiden Frauen 2012 den «Wood Award» gewonnen, der vom Verband der Schweizer Schreinermeister und Möbelfabrikanten verliehen wurde. «NIǓ» heisst das Design, was auf chinesisch «verdrehen» bedeutet.

Es hat etwas gedauert, aber nun scheint sich die Hartnäckigkeit der beiden Designerinnen auszuzahlen. Es gibt Bestellungen in grösseren Stückzahlen. «Nun fängt es hoffentlich langsam an zu rentieren», sagt Christine Urech.

Eine Sportlerin, die auch noch Künstlerin ist: eine seltene Mischung. Sie winkt ab. Als Indsutriedesignerin entwickelt sie Objekte, die später auch industriell genutzt werden können, etwa die Gestaltung der Aussenhülle für Nähmaschinen und ähnliches. Urech beginnt ihre Arbeit zuerst im Kopf, dann zeichnet sie Skizzen. Erst dann setzt sie sich an den Computer und arbeitet mit einem 3D-Programm. Meist bastelt sie sich dann einen Prototyp aus Holz oder Kunststoff, manchmal auch per 3D-Drucker. «Mit diesem Modell gehe ich dann zum Kunden, um zu schauen, ob meine Idee auf Anklang stösst.» Anders als in der Kunst gehe es bei ihren Arbeiten nicht nur darum, dass es schön aussieht. «Es muss auch funktionieren.»

«Die Grenzen der Statik auszuloten, das finde ich spannend.»

Christine Urech

Die Physik austricksen

Die Signaltafeln des Hirschparks Luzern stammen beispielsweise von Christine Urech. Unter anderem hat sie für einen Möbelbauer einen Sekretär entworfen, der aus massivem Holz ist, gleichzeitig aber mit äusserst dünnen Beinen und einer ultraschmalen Tischplatte daherkommt. «Die Grenzen der Statik auszuloten, das finde ich spannend.» Gibt es da eine Parallele zum Curling? Auch da muss sie, wenn sie einen Stein stösst, die Gesetze der Physik austricksen. Eigentlich nicht, meint sie, allerdings brauche es bei beidem Hartnäckigkeit.

Apropos: Warum kann Christine Urech eigentlich so gut curlen? Sie zuckt mit den Schultern. Als ihr grosser Bruder in Lyss im Schulsport mit Curling begann, machte sie auch gleich mit. Und so kam eins ums andere. Urech ist im Weltmeisterteam diejenige, die immer die ersten beiden Steine spielt. «Ich muss vorlegen, muss das Eis gut einschätzen können, und die Steine sollten die richtige Länge haben.» Und nachher muss sie vor allem eines: wischen, was das Zeug hält.

Wischen, wischen, wischen: Christine Urech (rechts) in vollem Einsatz auf dem Eis.

Wischen, wischen, wischen: Christine Urech (rechts) in vollem Einsatz auf dem Eis.

Dazu braucht es eine gute Fitness, ein «Altherrensport» sei Spitzencurling längst nicht mehr. Ein Spiel dauert etwa zweieinhalb Stunden, während dem man fünf Kilometer zurücklegt und unzählige Male für rund 20 Sekunden mit voller Kraft wischen muss. «Mit ein bisschen ‹bäsele› hat das nichts zu tun», versichert sie. Wenn man nicht fit ist, verliert man gegen Ende Kraft und Konzentration – und meist auch das Spiel.

Immer was am Laufen

In den alternativen Kultur- und Künstlerkreisen Luzerns werde sie manchmal schon etwas schräg angeschaut als Curlerin, sagt Urech. Aber ihr Exotendasein stört sie überhaupt nicht. So lange sie kann, möchte sie noch an der Weltspitze mittun in ihrer Sportart. Auch sonst wird es der Wahl-Luzernerin nie langweilig. Kürzlich hat sie zusammen mit ihrem Freund einen alten VW-Bus umgebaut und damit eine Skandinavien-Reise unternommen. Selbstständige Designerin, Spitzensportlerin, und, und, und: «Ich bin eine Macherin, manchmal wird mir das auch zum Verhängnis», sagt sie und grinst. Irgendein Projekt hat sie immer am Laufen. Und wenn es mal zu viel wird, weiss sie: Christine Urech lebt in einer Stadt, wo man es auch mal etwas ruhiger angehen kann. Oder es zumindest könnte.

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Mehr Eindrücke aus dem Leben von Christine Urech finden Sie in der folgenden Bildergalerie:

 

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