Was macht eigentlich ... Edith Hunkeler?

«Die Narbe bleibt, die Wunde ist geschlossen»

Edith Hunkeler im Garten ihres Hauses. Sie liebt die Arbeit mit Pflanzen – die Rosen sind übrigens eine spezielle Züchtung eines Gärtners und heissen «Edith-Hunkeler-Rosen». (Bild: rob)

Sie hat jede Menge Goldmedaillen gesammelt. An Olympiaden, Welt- oder Europameisterschaften: Edith Hunkeler ist mit ihrem Rollstuhl eine Kanone – nun musste sie im Frühling aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten. Ein schmerzhafter Entscheid. Zum Jammern hat die Luzernerin aber keine Zeit.

Klingelt man an der Türe von Edith Hunkelers Haus in Dagmersellen, hört man jemanden eilig die Treppe runterspringen. «Wer bist du?» Die fünfjährige Elin deckt den Gast sofort mit Fragen ein und begleitet ihn nach oben. Klar, dass die Mutter dies nicht so schnell geschafft hätte, da sie ja im Rollstuhl sitzt. Trotzdem ist das Haus optimal für die Rollstuhlfahrerin eingerichtet: Ein Lift neben der Treppe und die Räume und Gänge sind so gebaut, dass genügend Platz für den Rollstuhl vorhanden ist.

Keine Zeit für Müssiggang

«Wir sind glücklich hier», schwärmt Edith Hunkeler. Seit bald einem Jahr wohnt die dreiköpfige Familie in diesem Haus. Die 43-Jährige saust auf ihrem Gefährt hin und her, macht Kaffee, gibt ihrer Tochter ein Znüni, hilft ihr beim Malen. Sie ist dauernd in Bewegung, Müssiggang steht nicht auf dem Programm.

«Wenn ich zu sehr forcierte mit dem Training, wurde ich immer wieder krank.»

Edith Hunkeler

Dabei hätte sie doch jetzt mehr Zeit und Ruhe. Vor einem halben Jahr hat Edith Hunkeler ihren Rücktritt vom Spitzensport bekannt gegeben. «Geändert hat sich nicht viel», sagt sie, «ich trainiere immer noch häufig.» Wenn sie Zeit hat, treibt sie fast jeden Tag Sport. Mal ist sie mit dem Rennstuhl unterwegs, mal mit dem Handbike – oder sie macht Krafttraining. «Ich brauche das, Training war für mich immer etwas, das ich gern tat.»

Hochdekorierte Sportlerin

Edith Hunkeler (geboren am 30. Juli 1972) wuchs zusammen mit ihren Eltern und drei Geschwistern auf einem Bauernhof in Altishofen auf. Die kaufmännische Angestellte hatte am 22. Februar 1994 auf dem Weg zur Arbeit einen schweren Autounfall und wurde zur Paraplegikerin.

Hunkeler begann nach der Rehabilitation, Sport zu treiben. Dies mit viel Erfolg: So gewann sie unter anderem an den Paralympics 2012 in London Gold über 5'000 Meter und Silber über 800 und 1'500 Meter. In Peking 2008 gewann sie Gold im Marathon, in Athen 2004 waren es zwei Silbermedaillen (1'500 und 5'000 Meter), hinzu kommen zahlreiche Welt- und Europameisterschaftstitel sowie andere Titel und Erfolge. Edith Hunkeler wurde sechsmal zur Schweizer Behindertensportlerin des Jahres gewählt. Sie ist mit Mark Wolf verheiratet und lebt mit ihm und der fünfjährigen Tochter Elin in Dagmersellen.

Anfällig für Entzündungen

Der Rücktritt vom Spitzensport war kein einfacher Entscheid. Wer Edith Hunkeler kennt, weiss genau, was ihr der Sport bedeutete. «Das Streben nach dem perfekten Rennen und der Wille, mich ständig zu verbessern, haben mich angetrieben.» Sie wollte immer ihre beste Leistung zeigen. Leider konnte sie diese Ziele nicht mehr verfolgen. Ihre Entzündungsanfälligkeit zwang sie, ihre Karriere zu beenden. «Wenn ich zu sehr forcierte, wurde ich immer wieder krank», sagt sie.

Und so hat sie sich schweren Herzens entschieden, künftig auf Leistungssport zu verzichten. «Es war ein schwieriger Entscheid», gibt sie zu. «Am schlimmsten war jener Moment, als ich es zum ersten Mal ausgesprochen habe; da wusste ich, es ist endgültig vorbei.» Und so war es dann auch. Aus der Bahn geworfen hat sie das aber nicht. Edith Hunkeler ist eine Frohnatur, die stets das Positive herausstreicht. Zudem hat sie nach ihrem schweren Unfall vor 21 Jahren gelernt, wieder aufzustehen und das Beste aus dem zu machen, was man hat.

«Ich habe erst ein paar Monate nach dem Rücktritt bemerkt, wie viel Druck eigentlich von mir fiel.»

Last von der Schulter gefallen

Diesem Prinzip bleibt sie auch jetzt treu. Inzwischen fühlt sie sich rundum wohl, mit dem Rücktritt ist ihr auch eine Last von der Schulter gefallen. «Ich habe erst nach ein paar Monaten bemerkt, wie viel Druck eigentlich von mir fiel», sagt Edith Hunkeler.

Sport bedeutet ihr weiterhin viel. «Ich möchte fit und gesund sein, das ist mein Ziel.» Kraft, Beweglichkeit, Ausdauer: Wenn man im Rollstuhl sitzt, haben diese Fähigkeiten eine besondere Bedeutung, auch um den Alltag einfacher zu bewältigen.

Die Mutter im Rollstuhl

Der Alltag von Edith Hunkeler ist auch ohne Spitzensport alles andere als langweilig. Sie managt den Haushalt, pflegt den Garten, betreut ihre fünfjährige Tochter und nimmt Termine wahr. Wenn sie Referate, Moderationen, Podiumsdiskussionen im In- und Ausland hält oder einfach trainieren möchte, ist es wichtig, das alles gut organisiert ist, vor allem für ihre Tochter.

Nicht-Rollstuhlfahrer fragen sich vielleicht, wie das geht: Einkaufen, schwere Taschen tragen, putzen – und vor allem ein Kind beaufsichtigen. Edith Hunkeler schmunzelt, sie ist sich diese Frage gewohnt. «Ich kenne nichts anderes und habe mich damit arrangiert. Natürlich fehlt dir manchmal eine Hand und ab und zu brauche ich für eine Arbeit etwas länger.» Aber grundsätzlich meistere sie ihr Leben ohne Probleme, versichert sie.

«Ich habe ein erfülltes Leben. Ich habe alles – ausser, dass ich nicht laufen kann.»

Wie ist es für Elin, eine Mutter zu haben, die im Rollstuhl sitzt? «Für sie ist das ganz normal. Fragen sind erst durch ihre Spielkameraden entstanden», sagt die Mutter. Was ist, wenn ihre Tochter draussen auf der Strasse einfach davonrennt? «Es ist erstaunlich, aber das machte sie nie», sagt Edith Hunkeler. «Dafür ist sie mir oft auf dem Schoss gesessen, das gab ihr Geborgenheit und Sicherheit.»

Edith Hunkeler ist auch ohne Spitzensport viel unterwegs. Als Botschafterin von «Laureus» und dem Kinderhilfswerk World Vision war sie kürzlich in Zimbabwe. Zudem ist sie Kopräsidentin des Rollstuhlmarathons Schenkon. Sie bezeichnet sich als rundum glücklichen Menschen. «Ich habe ein erfülltes Leben. Ich habe alles – ausser, dass ich nicht laufen kann.» Natürlich denkt sie jeweils am 22. Februar an den verhängnisvollen Autounfall, der sie zur Paraplegikerin machte. «Selbstverständlich berührt es mich noch immer, auch nach über 20 Jahren.» Wie tief ist diese Wunde heute? «Die Narbe bleibt, aber die Wunde ist geschlossen.»

Etwas vom Glück weitergeben

Nun ist aber genug gesprochen – das findet zumindest Töchterchen Elin. «Mama, kannst du mir das ausmalen?» Klar kann Mama. Das Leben geht weiter und Edith Hunkeler steht mittendrin. Sie habe so viel Glück erfahren im Leben. «Davon will ich etwas weitergeben – meiner Familie, bedürftigen Kindern in Zimbabwe, wo auch immer.» Sagts und saust mit dem Rollstuhl in die Küche.

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