Familiengärten Friedental

Dem Gift zum Trotz

Die Familiengärten im Areal Friedental müssen für die Sanierung weichen. (Bild: Flavia Rivola)

Vor etwa fünf Jahren hat die Stadt Luzern in den Familiengärten Friedental, die auf einer alten Mülldeponie neben dem Rotsee liegen, Schadstoffe in der Erde gefunden. Bis Ende 2015 müssen die Pächter das Areal für die Totalsanierung räumen. Die Ängstlichen sind bereits weg, verblieben sind die Sorglosen und die Skeptiker. 

Es ist eine trügerische Idylle: Die Sonne scheint warm auf die Schrebergärten im Friedental, auf die liebevoll gepflegten Beete und die sorgfältig geschnittenen Rasen in sattem Grün. Daneben wachsen sauber angeordnet Blumen in allen erdenklichen Farben. Über allem wehen Fahnen verschiedener Nationalitäten: Schweiz, Portugal, Kroatien und weitere. Rauch steigt aus Betoncheminées, es duftet nach Gegrilltem und Stimmen und Gelächter hallen durch das Areal. 

Es ist dort draussen eigentlich wie immer an einem schönen Sommer-Wochenende – und ist es doch nicht. In absehbarer Zeit werden die Gartenhäuschen abgerissen und der Boden muss saniert werden. Hans Markzoll, Präsident des Pflanzlandpächter-Vereins Luzern, kommen fast die Tränen, wenn er davon erzählt: «Viele haben hier über 50 Jahre gegärtnert. Der Verein feiert nächstes Jahr sein hundertjähriges Bestehen. Und jetzt kommt das alles einfach weg.»

2009 wurden Schadstoffe gefunden

Die Schrebergärten im Friedental sind durch Schadstoffe belastet. Dies ergab eine umfangreiche Boden- und Altlastenuntersuchung der Stadt Luzern in den Jahren 2008 und 2009. Die Untersuchung war notwendig, da hier Anfang letztes Jahrhundert eine Müllhalde lag, wo die Stadt Schlachtabfälle, Schlacke, Glas und Metalle entsorgte und verbrannte. In den Gartenarealen Sedel-West, Moorental, Riedstrasse und Friedental-Ried waren dabei Schwermetalle wie Blei sowie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) gefunden worden. 

Schadstoffe werden vom Gemüse aufgenommen

Diese Stoffe sind giftig und schädigen die Gesundheit des Menschen. Denn dass Schadstoffe aus dem Boden in das Gemüse gelangen, ist wissenschaftlich unbestritten. René Reiser, Bodenchemiker bei Agroscope, erklärt den Weg von Schwermetallen in das Gemüse anhand eines Rüeblis: «Die Pflanzen nehmen Schwermetalle vor allem über die Wurzeln aus dem Bodenwasser auf. Wie stark ein Gemüse belastet ist, hängt aber von verschiedenen Faktoren ab.» Zunächst einmal davon, wie gut wasserlöslich ein Metall ist. Blei beispielsweise ist schlecht wasserlöslich. «Das heisst aber nur, dass verhältnismässig wenig Schwermetall aus dem Boden in das Rüebli gelangt. Ist der Boden stark verschmutzt, kann dies durchaus zu einer Belastung des Gemüses führen.»

Einige Pächter mussten aufgrund der Schadstoffe ihren Garten verlassen.

Weiter beeinflussen auch PH-Wert, Humus- und Tongehalt der Erde, wie stark eine Pflanze die Gifte aufnimmt. Und schliesslich haben einige Pflanzen selbst auch einen Schutzmechanismus. Ab einem Grenzwert aber von 2000 Milligramm Blei pro Kilogramm Erde ist eine Nutzung in jedem Fall zu gefährlich. Die Bundesverordnung über die Belastung des Bodens (VBBO) gibt deswegen klare Grenzwerte vor, ab welcher Belastungsstärke Nutzungsbeschränkungen nötig werden oder ein Boden saniert werden muss. (Fortsetzung auf Seite 2)

Gesundheitliches Risiko

Wie viele Rüebli über wie lange Zeit gegessen werden müssten, damit gesundheitliche Schäden auftreten, lasse sich schwer sagen, erklärt Marion Wäfler, Ernährungsberaterin bei der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung. «Weil es schwierig ist, herauszufinden wie viele Milligramme dieser Stoffe täglich durch Lebensmittel in den Körper gelangen. Zum Beispiel ist der PAK-Gehalt in den einzelnen Nahrungsmitteln sehr unterschiedlich.» 

PAK – polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe – kommen nämlich auch sonst in den Lebensmitteln vor. Sie wirken krebserregend und gelangen auf verschiedenen Wegen in die Lebensmittel: «In geringen Mengen über die Umwelt, dabei mehr über die Luft als über den Boden und in größeren Mengen, wenn Lebensmittel mit offenem Feuer in Kontakt kommen, z.B. beim Grillieren, Räuchern und Trocknen», so Wäfler. Hohe Bleiwerte im Blut können Blutarmut verursachen, weil Blei die Blutbildung einschränkt und die Lebensdauer der roten Blutkörperchen verringert. Weitere Symptome sind Erhöhung des Blutdrucks und Herzrhythmusstörungen.

Das grosse Beben…

Nach dem Publikwerden der Angelegenheit ging ein grosses Beben los. Einige Pächter mussten aufgrund der Schadstoffe ihren Garten verlassen, andere gaben ihn aus Angst freiwillig auf. Die verunsicherten Parzellenbesitzer forderten von der Stadt Erklärungen. Hartnäckige Gerüchte machten die Runde, dass die Stadt die Schrebergartenpächter loshaben wolle und die Schadstoffe als Vorwand vorschob.

Die Stadt hielt dagegen. Sie veranstaltete Informationstreffen, beantwortete Fragen, versuchte zu erklären und zu besänftigen. Stefan Herfort, zuständiger Projektleiter bei der Stadt, erzählt: «Wir haben Versammlungen abgehalten, die Besitzer einzeln angeschrieben und überall Anschläge gemacht.» 

Gartenbesitzern wurden Pläne verteilt, auf denen genau eingezeichnet ist, welche Parzelle wie stark belastet ist. Eingeteilt wurden sie in vier Zonen: rot, rosa, orange und gelb. Rot bedeutet eine sehr starke Belastung. In solchen Gärten dürfen Kinder bis 6 Jahre nicht in direkten Kontakt mit der Erde kommen, da sie diese in den Mund nehmen könnten, und es ist verboten, Nahrungspflanzen zum Verzehr anzubauen.

Rosa Zone heisst, dass nur gewisse Gemüsepflanzen gezogen werden dürfen, diese vor dem Verzehr aber gut gewaschen und möglichst geschält werden müssen. Kleinkinder dürfen sich auf dem Rasen aufhalten, aber nur maximal dreimal die Woche. In die Beete dürfen sie gar nicht. In der orangen Zone dürfen gewisse Nutzpflanzen angebaut werden und Kinder können sich zeitweise auf dem Rasen aufhalten. Wer sich in einer gelben Zone befindet, hat Glück gehabt und braucht nichts zu unternehmen, ausser darauf achtzugeben, dass die Kleinkinder sich nicht zu häufig in den Beeten aufhalten. Die Stadt werde Kontrollen machen, ob sich die Pächter an die Einschränkungen halten, sagt Stefan Herfort. 

Skepsis gegenüber den Motiven der Stadt hält sich

Die Parzellen an der Riedstrasse sind am schlimmsten belastet. Bei den verbliebenen Gartenbesitzern ist die Besorgnis um das Gift im Boden nicht allzu hoch. «Wir sind hier auf einer rosaroten Parzelle», sagt etwa eine ältere Dame mit deutschem Akzent aus dem Areal. Neben ihr spielt ihr etwa 10-jähriger Enkel in der Badehose auf der Wiese und spritzt mit dem Wasserschlauch. «Den Salat hier essen wir trotzdem. Uns wurde gesagt, wir sollten keine Rüben anpflanzen. Aber wer pflanzt denn schon Rüben?» Die Frau zeigt auf die Nachbarparzelle, die als rote Zone gilt: «Hier, der Nachbar hat seine Beete vorsichtshalber abgedichtet, mit einem Holzrahmen aufgestockt und neue Erde eingefüllt.» 

«Wir können eine gesundheitliche Gefährdung in den Gärten nicht ausschliessen.» Stefan Herfort, zuständiger Projektleiter der Stadt Luzern

Das Häuschen des Ehepaars Schwarzenberger liegt in einer roten Zone. Seit 60 Jahren geht Frau Schwarzenberger dort ein und aus. Sie selbst habe dort als Kind auf dem Rasen gespielt, ihre Kinder und ihre Enkelkinder auch. Gemüse wurde zur Selbstversorgung angebaut. «Kartoffeln, Bohnen, Rüebli, Salat, alles was in einem Schrebergarten halt so wächst», sagt sie. Durch den Sommer kamen sie damit hin und einiges wurde sogar als Reserve eingefroren. «Wir sind alle kerngesund.» Welche Krankheiten sie durch die Schadstoffe bekommen könne, wisse sie nicht. Die Beete hat sie nun geräumt und mit Holz aufgestockt. Besonders hart trifft das pensionierte Ehepaar, dass sie nun keinen Ort mehr haben, wo sie einfach so hinkönnen. Eine der nach der Sanierung neu entstehenden Parzellen zu pachten, kommt für die beiden nicht in Frage. (Fortsetzung auf Seite 3)

Nur noch Blumen in den Beeten

Einige wurden von der Stadt und dem Verein geräumt und zu Rasen umgewandelt. An eine solche geräumte Parzelle grenzt diejenige von Josef Wirz. Er hat sie vor zwei Jahren gepachtet und das Häuschen gekauft. Auch sein Garten gilt als rote Zone. «Ich habe nur Blumen gepflanzt», sagt er. Dass der Boden belastet ist und 2016 saniert werden soll, wusste er. Dass die Häuschen für die Totalsanierung abgerissen werden, hingegen nicht. Das versetzt ihm einen rechten Schock. 

Treffpunkt für die Familie verloren

Die Parzelle der Familie Bachmann inmitten der roten und rosa Zone an der Riedstrasse befindet sich isoliert in einer orangen Zone. Der Boden ist dort besser, da die Familie die Erde von ausserhalb kommen liess, als sie die Parzelle übernahm. Familienoberhaupt Leo Bachmann erzählt: «Wir sind seit 1958 hier. Wir haben immer Gemüse angebaut und gegessen. Ich denke, es hat uns nicht geschadet. Die Schwiegermutter ist sogar fast 100 Jahre alt geworden.» Die 30-jährige Enkelin ergänzt: «Uns wird ein unkomplizierter Treffpunkt für die ganze Familie genommen. Das ist für uns schon ein grosser Einschnitt.» Selbst einen Schrebergarten zu pachten, ist für sie aber aktuell kein Thema.

Aussichtsloser Kampf des Vereins

Hans Markzoll, dessen Parzelle im Moorental als orange klassiert ist, hat das Zepter beim Verein vor einem Jahr erneut übernommen. Er hat Verständnis dafür, dass saniert werden muss. Nur nicht für das Wie. Sein Vorschlag wäre, dass die einzelnen belasteten Gärten jeweils sanft saniert würden. «Das käme viel günstiger.» Und hätte ihnen die Gärten bewahrt. Stefan Herfort ist dieser Vorschlag bekannt: «Er ist jedoch weder gesetzeskonform noch nachhaltig und da der Zweck – nämlich die Gartennutzung wieder zu ermöglichen – nicht erfüllt wird, ist er auch nicht kostengünstiger.»

Die Familiengartenstrategie von Luzern sieht vor, dass die Stadt qualitativ einwandfreie Böden für die Schrebergärten zur Verfügung stellt. Dazu sind die Stadt und der Kanton durch die gesetzlichen Grundlagen sogar verpflichtet. «Wir können eine gesundheitliche Gefährdung in den Gärten nicht ausschliessen», argumentiert Herfort. 

Es entsteht ein Landschaftspark 

Geplant und bewilligt ist nun, dass in den vier belasteten Arealen in etwa drei Jahren alle Häuschen bis auf das Vereinslokal des PPV abgerissen werden und der Boden saniert wird. Danach werden zwar neue Familiengärten eingerichtet, aber etwa ein Drittel weniger als vorher. Mit dem um ein Jahr verschobenen Sanierungsstart 2016 sei die Stadt einem Wunsch des Vereins entgegengekommen, sagt Stefan Herfort.

Im übrigen Gebiet wird ein Landschaftspark entstehen. Der Gesamtkredit für das ganze Projekt von 6,4 Mio. Franken wurde vom Grossen Stadtrat im Februar dieses Jahres bewilligt. 

Hans Markzoll ist überzeugt, dass der geplante Landschaftspark schlussendlich dazu führen wird, dass die Grünanlage mit Schiffen und Autos für die Rotseeregatten vollgestellt ist. Auch wenn Stefan Herfort beteuert, dass dies nicht der Fall sein wird. 

Die Gartenbesitzer sehen dem geplanten Landschaftspark generell mit gemischten Gefühlen entgegen. Ennet dem Sedel in Ibach befindet sich der Strassenstrich. Bereits heute liegen im Areal immer wieder gebrauchte Kondome herum. Mit einem unbewachten Park, denken sie, würde die Situation wohl verschärft. 

Eine kleine Hoffnung bleibt Hans Markzoll noch: «Die Stadt wird mit der Sanierung beginnen, wenn sie das Geld dazu zur Verfügung hat. Ich hoffe darauf, dass wir ab 2016 noch ein bis zwei Einjahresverträge erhalten werden.»

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