Widerstand gegen Autobahn-Bypass

VCS Luzern: «Stadt und Agglo müssen auf die Barrikaden»

Dominik Hertach vom VCS sieht im Bypass Luzern nur Nachteile.

Der Bund will mit dem Bypass-Projekt Luzerns verstopfte Verkehrsadern entlasten. Ein neues Gutachten bestärkt Gegner des Projekts in der Befürchtung, dass der Bypass erst recht zum «Infarkt» des Verkehrs führen wird. VCS-Geschäftsführer Dominik Hertach sagt im Interview, was das bedeutet und wie es weitergeht.

Der Dornröschenschlaf ist vorbei. Die öffentliche Diskussion rund um das Autobahnprojekt Bypass Luzern ist in den letzten Monaten praktisch komplett zum Erliegen gekommen. Während hinter den Kulissen rund 40 Einsprachen vom Bund be- und verhandelt werden, ist kaum mehr ein Wort über das 1,7-Milliarden-Franken-Projekt gefallen. Ein neues Gutachten bringt nun aber frischen (Gegen-)Wind in die Sache. Erstellt wurde es im Auftrag von WWF und VCS Luzern – beides klare Gegner des Bypass.

Das Gutachten kritisiert diverse Punkte der bisherigen Bypass-Planung. Insbesondere, dass die darin enthaltenen Annahmen zur Verkehrsentwicklung stark veraltet seien und in der Folge ein verzerrtes Bild vom Kosten-Nutzen-Verhältnis des Megaprojekts wiedergegeben werde (zentralplus berichtete).

Im Interview mit zentralplus erklärt Dominik Hertach, Geschäftsführer des VCS Luzern, weshalb der Bypass sowohl juristisch als auch politisch hinterfragt werden muss und welche Wirkung sich sein Verband vom Gutachten erhofft.

zentralplus: Dominik Hertach, wen wollen Sie mit diesem Gutachten erreichen?

Dominik Hertach: Als wir unsere Einsprache gegen das Bypass-Projekt einreichten, hatten wir bereits Hinweise darauf, dass die verwendete Verkehrsprognose auf falschen und veralteten Annahmen beruht.

zentralplus: Das Gutachten untermauert diesen Verdacht nun.

Hertach: Exakt. Um unsere Einsprache überhaupt als Beschwerde weiterführen zu können, wollten wir unsere Vermutung fachlich und wissenschaftlich fundiert abklären lassen und haben dazu ein unabhängiges Gutachten in Auftrag gegeben.

zentralplus: Welche Wirkung erhoffen Sie sich von der Veröffentlichung dieses Gutachtens?

Hertach: In erster Linie soll damit deutlich werden, dass die Berechnungsgrundlage für die Verkehrsmodellierung und die Kosten-Nutzen-Analyse ungenügend und veraltet ist und neu berechnet werden muss.

«Dass ein Autofahrer Park & Ride nutzt oder unter gewissen Umständen gar auf den ÖV umsteigt, wird in diesem Modell nicht abgebildet.»

Dominik Hertach, Geschäftsführer VCS Luzern

zentralplus: Gehen wir auf diese veralteten Berechnungsgrundlagen ein. Wo zeigen sie sich besonders deutlich?

Hertach: Grundsätzlich stammen die den Bypass-Berechnungen zugrunde liegenden Verhaltensdaten aus dem Jahr 2000 und sind längst überholt. Veraltet ist auch das verwendete Verkehrsmodell. Für die Beurteilung der verkehrlichen Wirkung des Bypass wurde ein monomodales Verkehrsmodell eingesetzt.

zentralplus: Was muss man darunter verstehen?

Hertach: Man geht dabei davon aus, dass die am Verkehr Teilnehmenden immer nur ein Verkehrsmittel für ihre Reise verwenden. Dass ein Autofahrer Park & Ride nutzt oder unter gewissen Umständen gar auf den ÖV umsteigt, kann in diesem Modell nicht abgebildet werden. Solche Entwicklungen müssen aber zwingend als Faktoren betrachtet werden, um die verkehrlichen Auswirkungen eines Bypass richtig prognostizieren zu können.

zentralplus: Ist das Ausblenden dieser Faktoren der gewichtigste Punkt, der gegen den Bypass spricht?

Hertach: Es ist eher eine Kombination aus verschiedenen Mängeln. So wurde etwa der «induzierte Verkehr» – der durch neue Strassen entstehende Zusatzverkehr – schlicht nicht ausgewiesen. Ein sehr wichtiger Punkt des Gutachtens betrifft auch die Unterschätzung der Klimakosten für dieses Projekt.

zentralplus: Können Sie das ausführen?

Hertach: Die Klimabelastung durch den Bau und den entstehenden Zusatzverkehr wurden bisher gar nicht ausgewiesen. Die Normen, die für die Berechnung der Folgekosten des Bypass angewendet wurden, sind zudem viel zu tief angesetzt. Ein Vergleich: Beim Bypass rechnet der Bund mit Klimakosten von lächerlichen fünf Millionen Franken, auf der anderen Seite steht der Fahrzeitgewinn der Autofahrer, der mit 1,3 Milliarden Franken aufgerechnet wird.

zentralplus: Sprechen wir hier von einem juristischen Vergehen?

Hertach: Man muss in dieser Frage zwischen juristischer und politischer Betrachtung unterscheiden. Die Planer können sich darauf berufen, dass sie nach heute gültigen Normen gerechnet haben. Nach dem heutigen Wissensstand sind diese Normen aber viel zu tief angesetzt und werden in naher Zukunft korrigiert werden müssen. Politisch ist das im Zuge der Klimakrise längst klar.

«Der VCS plädiert weiterhin für einen Verzicht auf den Bypass.»

zentralplus: Letztendlich empfiehlt das Gutachten den Schritt zurück auf Feld eins, um eine neue Kostenanalyse mit neueren Grundlagendaten zu starten. Auf den Bypass gänzlich zu verzichten empfiehlt es jedoch nicht. Widerspiegelt das auch Ihre Haltung?

Hertach: Der VCS plädiert weiterhin für einen Verzicht auf den Bypass. Es ist nicht die Aufgabe eines unabhängigen Gutachtens über diese Grundsatzfragen zu urteilen, sondern eine fachlich fundierte Grundlage für die Diskussion zu liefern. Die Interpretation ist für uns aber klar und deutlich. In mehreren Punkten zeigt das Gutachten die negativen Auswirkungen des Projekts auf Stadt und Agglomeration auf.

zentralplus: Was wäre ein Beispiel dafür?

Hertach: Das Gutachten zeigt klar auf, dass die Realisation des Bypass eine massive Entlastung der Stadtautobahn bewirkt, sodass dort eine deutliche Überkapazität entstehen würde.

zentralplus: Überkapazität auf der Stadtautobahn, das klingt nach deutlich mehr Platz auf der Strasse. Wo liegt da das Problem?

Hertach: Unter-genutzte Strassen haben immer eine nachfragesteigernde Wirkung. Der zusätzliche «Platz auf der Strasse», den Sie ansprechen, währt nicht lange. Die Strasse füllt sich innert kürzester Zeit erneut und führt dazu, dass letztlich noch deutlich mehr Verkehr sich durch diese Strassen drängt – und damit Stadt und Region noch stärker belastet als heute.

zentralplus: Was ist die Alternative?

Hertach: Grundsätzlich fordern wir, dass der bestehende Platz effizienter genutzt wird, mit mehr ÖV, Fuss- und Veloverkehr, statt neue Flächen für Autos zu bauen.

zentralplus: Wie könnte das in diesem Fall konkret erreicht werden?

Hertach: Mobilitätsprofessor Alexander Erath regt im Gutachten beispielsweise an, die Einrichtung einer Bus-Expressspur auf der Stadtautobahn für regionale Verbindungen zu prüfen. Aufgrund der Überkapazität sei auch die Spurtopologie des Bypass zu überdenken.

zentralplus: Was ist damit gemeint?

Hertach: Es könnte zum Beispiel erwogen werden, ob der erwartete Verkehr auch mit einem sechsspurigen Bypass und einem Rückbau von Spuren der Stadtautobahn bewältigt werden kann. Ob ein solcher «Ersatzbau» der Autobahn finanziell und ökologisch Sinn macht, sei dahingestellt.

«Der Bypass wird das Stau-Problem nicht lösen.»

zentralplus: Ein Rückbau von Spuren beim grössten Verkehrs-Nadelöhr Luzerns? Da dürfte es so manchem Autopendler, der sich heute Abend durch den Stau müht, mulmig zumute werden.

Hertach: In dieser Hinsicht wird die Wirkung des Bypass sowieso überschätzt. Er wird das Stau-Problem nicht lösen. Dieses besteht ja nicht nur zwischen Ibach und Eichhof. Wenn dann auch noch die Stadtautobahn wie erwähnt vollgepackt ist, ist der komplette Verkehrskollaps nur eine Frage der Zeit.

zentralplus: Das Gutachten ist nun da. Jetzt braucht es politischen Rückenwind. Hoffen Sie beispielsweise, dass die Kantonsregierung umschwenkt? Diese steht bisher ja eisern hinter dem Vorhaben.

Hertach: Ich rechne nicht damit, dass der Luzerner Regierungsrat in absehbarer Zeit vom Projekt abrückt. Die politischen Mehrheiten im Kantonsrat gewichten Autoanliegen viel zu hoch. Betrachtet man jedoch den kürzlich präsentierten Entwurf zur Mobilitätsstrategie, so passt dieser Bypass dort genau genommen nicht hinein.

«Die Klimaziele im Bereich Mobilität lassen sich nun mal nicht mit noch mehr Autostrassen lösen; auch bei einer vollständigen Elektrifizierung der Autoflotte.»

zentralplus: Inwiefern?

Hertach: Würde die Kantonsregierung ihre neuen Klima- und Mobilitätsstrategien ernst nehmen, müsste sie auf den Bypass verzichten. Die Klimaziele im Bereich Mobilität lassen sich nun mal nicht mit noch mehr Autostrassen lösen; auch bei einer vollständigen Elektrifizierung der Autoflotte.

zentralplus: Woher sollte stattdessen Rückenwind zu erwarten sein?

Hertach: Von der Stadt und den betroffenen Agglomerationsgemeinden. Die Bauzeit und der Betrieb des Bypass bringen enorme negative Auswirkungen auf diese Gemeinden. Sie müssten verstärkt auf die Barrikaden gehen.

zentralplus: Im Moment stehen Luzern, Kriens und Emmen mitten im Prozess der Einspracheverhandlungen mit dem Bund, da dürften sie sich wohl kaum öffentlich gegen das Projekt stellen.

Hertach: Das kann sich, je nachdem wie der Bund entscheidet, schnell ändern. Notabene hat gerade heute der Grosse Stadtrat in Luzern bei der Verabschiedung des Legislaturprogramms beschlossen, dass sich der Stadtrat gegen den Bypass aussprechen muss, sollte der Bund den in der Einsprache gemachten Forderungen der Stadt Luzern nicht nachkommen.

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5 Kommentare
  • Profilfoto von Altstadtkind
    Altstadtkind, 26.11.2021, 12:18 Uhr

    Danke für das ausführliche Interview. Zum Glück haben wir zentralplus.
    Und zum grossen Glück haben wir den VCS!

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  • Profilfoto von Michel von der Schwand
    Michel von der Schwand, 26.11.2021, 11:43 Uhr

    Die Verkehrsproblematik ist wohl nicht ganz einfach zu lösen, denn jede Lösung fordert auch einen gewissen Verzicht aller Beteiligten. So generiert der Pendlerverkehr Stau ohne Ende, verstopft die Zufahrts- und Quartierstrassen in der Agglomeration und der Stadt. Bedeutet, dass auch Unternehmen mitdenken und einen Beitrag dazu leisten müssen. Ausbau von Strassen ist definitiv der falsche Weg, da der entsprechende Platz einfach nicht zur Verfügung steht. Die Politik wird dazu vermutlich nicht in der Lage sein, weil diese nicht umsetzen kann.
    Ein Licht am Ende des Tunnels ist wohl einfach die Tatsache, dass sich die Stadt dazu durchringen wird, die Stadt von den Autos zu befreien. Innovative Innenstädte von Grossstädten sind bereits von Autos befreit (keine Autos auf Oxford- und Regen Street in London etc.). Es funktioniert und wird auch hier funktionieren. V

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  • Profilfoto von Luzerner Anwohner
    Luzerner Anwohner, 26.11.2021, 10:35 Uhr

    Alle diese Argumente liessen sich 1:1 auf den Bau des Duchgangsbahnhofs übertragen. Die Planer haben auch hier mit aktuellen und nicht zukünftigen Grundlagen gerechnet (wie könnten sie auch anders, die gibt es ja gar noch nicht), und die Auswirkungen auf die Stadt und Anwohner werden ungemein grösser sein. Dann wird der TCS auch gegen dieses Projekt sein?

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  • Profilfoto von Rudolf 1
    Rudolf 1, 26.11.2021, 08:12 Uhr

    Nochmals: Wir haben nicht zu wenig Strassen sondern zu viele Autos. Die Erweiterung von Engpässen verschiebt nur die Engpässe.

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    • Profilfoto von martin.vonrotz
      martin.vonrotz, 26.11.2021, 09:26 Uhr

      Ja, ist korrekt, aber zu viele Autos sind auch ein Resultat von zu vielen Bewohnern. Auch dass sich ein grosser Teil der Arbeitsplätze auf die Städte und Aglos konzentrieren, aber dort für viele keine zahlbaren Wohnungen vorhanden sind hilft nicht. Bis vor 2 Jahren war ich auch nur im Office und pendelte jeden Tag von Gisikon nach Regensdorf. Und da mein ganzes «Leben» sich im Umfeld Luzern befindet würde ich auch nie in die Nähe des Arbeitsortes umziehen. Mit dem ÖV sind dies 3 Stunden Arbeitsweg pro Tag. Mit dem PKW zwischen 70 und 90 Minuten pro Tag. Ich habe jetzt das «Glück» generell Homeoffice zu machen wenn ich will. Aber das kann nicht jeder.

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