Mitte kritisiert Antwort des Stadtrats

Stadtrat enthüllt: Luzerner Politik kann bei Abschaffung der Schulnoten nicht mitreden

Im Luzerner Schulhaus Säli gibt es keine Noten unter dem Semester mehr – weitere sollen folgen. Diel Schmid Meyer (links) und Silvana Leasi vermissen eine schlüssige Begründung, wieso. (Bild: bic/zvg)

Nicht die Politik entscheidet, ob die Schulen der Stadt Luzern Noten geben, sondern die Schulen selber. Das zeigt eine Stellungnahme des Stadtrats – diese wiederum führt bei Mitte-Grossstadträtinnen zu noch mehr Fragen.

Per Schuljahr 2024/2025 erhalten Luzerner Primarschüler nur noch per Ende Semester Noten in Form von Ziffern. Mit dieser Umstellung hat die Luzerner Volksschule in den vergangenen Monaten eine heftige Debatte ausgelöst. Unter anderem auch bei der städtischen Mitte, die in einer Interpellation fragte, wie dieser Entscheid zustande kam und wieso dieses System besser sein soll als das bisherige (zentralplus berichtete).

Nun liegen die Antworten des Luzerner Stadtrats vor. Wieso die Politik nicht in den Entscheid einbezogen wurde, sei eine Kompetenzfrage, schreibt die Stadtregierung. Wie Schüler zu beurteilen sind, sei in einer Weisung der Dienststelle Volksschulbildung geregelt. Wie diese umzusetzen sei, obliege dabei allein den Schulleiterinnen und Lehrern. Eine Mitsprache der Bildungskommission des Parlaments oder des Stadtrats sei nicht vorgesehen.

Von Schulleitern und Volksschule entschieden

Das neue Beurteilungskonzept sei in Zusammenarbeit der Geschäftsleitung der Volksschule Stadt Luzern mit einer Gruppe aus Schulleitern sowie Mitarbeiterinnen des Rektorats entstanden. Erstmals diskutiert worden sei das Thema Beurteilung im Juli 2016. Bereits da hätten die Schulleiter und die Volksschule festgehalten, dass sie eine «summative» sowie eine «formative» Beurteilung wollen. Erste entspricht dem klassischen Verständnis von Noten und soll die Leistung und das Ergebnis nach dem Lernen eines Themas aufzeigen. Zweite fokussiert hingegen auf den individuellen Lernprozess und gibt spezifische Rückmeldungen, wie sich die Schüler verbessern können. So soll ihr Lernen begleitet und gefördert werden.

«Dies erstaunt umso mehr, als heutzutage für jede Zwischennutzung und jede Stadtplanung vorrangig ein Dialog mit der Bevölkerung und den Betroffenen gesucht wird.»

Diel Schmid Meyer und Silvana Leasi über den fehlenden Einbezug der Luzerner Politik

Die zweite Form der Beurteilung habe in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Insbesondere in den Schulhäusern Wartegg, Staffeln und Säli habe sich die Praxis etabliert, auf Noten während des Semesters zu verzichten, schreibt der Stadtrat. In anderen Schulbetrieben seien ebenfalls Entwicklungen im Gange, die den Fokus mehr auf die Lernförderung setzen wollen. Diese seien gemeinsam mit Lehrern formuliert worden.

Im Oktober 2022 sei das Thema Beurteilung erneut aufs Tapet der Schulleiterinnen und Volksschule Luzern geraten. Sie hätten deshalb ein Konzept ausgearbeitet, bei dem auch Erfahrungen der Schulen und der Lehr- und Fachpersonen eingeflossen seien. Zudem stütze sich das Konzept auf Fachliteratur, unter anderem auf die Studie «Sind Noten nützlich oder nötig?» von Hans Brügelmann und Alex Bachhaus aus 2006 und der etwas neueren Studie von Markus Neuenschwander «Selektion beim Übergang in die Sekundarstufe I und in den Arbeitsmarkt im Vergleich».

Noten als Ziffer sage nichts aus über Lernentwicklung

Mit diesem Konzept stelle die Volksschule Stadt Luzern die Lernförderung ins Zentrum, weil diese besser zum Erfolg führe und «ein fundiertes Feedback das Lernen besser unterstützt». Eine Note als Ziffer sage hingegen nichts zur Lernentwicklung oder -förderung der Schülerinnen aus, schreibt der Stadtrat. Sie befriedige zwar das Bedürfnis nach Klarheit, trivialisiere jedoch das Feedback für die förderorientierte Beurteilung. Zudem würden Noten eine Objektivität nur vortäuschen, denn auch die Anzahl und Gestaltung der Tests durch die Lehrer beeinflusse die Noten.

Die neue Form der Beurteilung führe zwar zu einem Mehraufwand, jedoch nur zu Beginn, so die Stadt. Zudem zeige die Initiative der Lehrer, die das Notensystem bereits ohne städtische Vorgaben angepasst haben, dass diese den Mehraufwand durchaus leisten können.

Trotzdem hinterfragen die Interpellantinnen Silvana Leasi und Diel Schmid Meyer den Sinn der Umstellung, wenn Ende des Semesters wieder «normale» Schulnoten im Zeugnis stehen müssten. Dazu hält die Stadt Luzern fest, dass sie gerne die kantonale Verordnung diesbezüglich weiterentwickeln würde. Denn auch die Dienststelle Volksschulbildung des Kantons hat bereits angetönt, dass sie das Notensystem unter die Lupe nehmen wolle (zentralplus berichtete).

Jedoch räumt die Stadt Luzern ein, dass sie keine Aussagen zu erfolgreichen Beispielen aus anderen Städten und Gemeinden machen könne, da ein Monitoring fehle. Auch gebe es keine Berichte dazu, wie Schüler reagieren, wenn sie in der Oberstufe wieder mit Noten konfrontiert werden.

Reform umgehe öffentliche Meinung

Die beiden Mitte-Grossstadträtinnen Silvana Leasi und Diel Schmid Meyer sind mit den Antworten nicht zufrieden, wie sie auf Anfrage schreiben. Mehrere Punkte darin sehen sie kritisch. So unter anderem, dass bei der Ausarbeitung des Konzepts «offensichtlich nur Studien und Literatur herangezogen wurden, die die Reform unterstützen, und das auf einer äusserst normativen Ebene». Die Reform werde als eine professionelle pädagogische Weiterentwicklung präsentiert, ohne einen klar erkennbaren Mehrwert darzulegen, so die Interpellantinnen.

Hinzu komme, dass die Aussagen gespickt von spezifischen Fachbegriffen seien. «Dies wirft die Frage auf, ob die Reform tatsächlich für alle Betroffenen transparent und zugänglich ist.» Das neue Beurteilungssystem müsse jedoch nicht nur von Bildungsexperten, sondern auch von der breiteren Gesellschaft verstanden und akzeptiert werden. Nur so könne sichergestellt werden, dass die Bedürfnisse aller Beteiligten bestmöglich berücksichtigt würden.

Deshalb sei es für sie auch «nicht haltbar», dass ein Entscheid von solch grosser Tragweite letztlich «nur» in einer Dienststelle getroffen worden sei. Dabei spiele es auch keine Rolle, dass dies in der Kompetenz der Stelle liege. «Dies erstaunt umso mehr, als heutzutage für jede Zwischennutzung und jede Stadtplanung vorrangig ein Dialog mit der Bevölkerung und den Betroffenen gesucht wird.»

Viel Aufwand für welchen Mehrwert?

Weiter bezweifeln die beiden Mitte-Frauen, dass für die Lehrerinnen nur zu Beginn des neuen Beurteilungssystems ein Mehraufwand entstehe. Mit der Reform müssten Lehrer neu für jede einzelne Schülerin sowohl eine Testbewertung, eine Rückmeldung zu ihrem Lernerfolg sowie über weitere Kompetenzen verfassen. «Es ist also ein ganzes Dossier pro Schüler gefragt, und das jedes Semester von Neuem.» Der Mehraufwand bleibe damit konstant, nicht nur während der Implementierung.

«Auch die heutige Bewertung inkludiert die Feedbackkultur nebst Noten. Ob diese richtig umgesetzt wird, hängt bereits heute stark von der Lehrperson ab.»

Diel Schmid Meyer und Silvana Leasi, Mitte-Grossstadträtinnen

Ohnehin wird aus Sicht von Leasi und Schmid Meyer nicht schlüssig dargelegt, inwiefern das neue System transparenter und wirksamer sein soll als das heutige. «Auch die heutige Bewertung inkludiert die Feedbackkultur nebst Noten. Ob diese richtig umgesetzt wird, hängt bereits heute stark von der Lehrperson ab.» Dass es auch im neuen Notensystem bei den Feedbacks hapert, erzählten jüngst zwei Schüler gegenüber zentralplus. Zudem fehlen für die Politikerinnen Erfolge aus umliegenden Gemeinden, die den Wechsel legitimierten. Im Gegenteil dazu gebe es aber Beispiele von Gemeinden und Kantonen, die davon wieder Abstand genommen hätten (zentralplus berichtete).

Reformen sollen kritisch überprüft werden

Sie halten darum fest: «Wir verwehren uns nicht guten Reformen. Diese müssen aber klar einen Mehrwert bringen und von der Basis akzeptiert werden.» Ein weiterer Vorstoss zu dem Thema sei derzeit noch nicht geplant. Jedoch haben sie kürzlich eine Motion zusammen mit der FDP und SVP eingereicht, die einen Planungsbericht über die integrative Schule fordert.

«Integration lernschwacher Schüler in die Regelklasse, zwei frühe Fremdsprachen, Abbau von Deutschlektionen, Überfrachtung sozialpädagogischer Aufgaben. Dies alles bringt die Schulen und Lehrerinnen an ihre Belastungsgrenzen.» Solche Schulreformen sollten deshalb auf ihren Erfolg hin überprüft werden, bevor sich diese rächen, finden die Grossstadträtinnen.

Und auch in der von der Stadt Luzern zitierten Studie von Brügelmann und Backhaus heisst es bereits, ein Verzicht auf Ziffernoten führe nicht automatisch zu mehr Lernerfolg. Dieser müsse einhergehen mit höherem Aufwand der Lehrer, mehr Unterstützung und Fortbildung der Lehrerinnen sowie allgemein geringerem Selektionsdruck. Fallen also nur die Ziffern weg, werde die Reform nur zu Mehraufwand für Lehrer.

Verwendete Quellen
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