Nach heftiger Kritik an Geisteswissenschaften

Kontroverse Debatte nach Interview mit Luzerner Dozentin

Das NZZ-Interview mit der Luzerner Dozentin Andrea Franc wird auf Twitter kontrovers diskutiert. (Bild: zvg/Twitter Screenshots)

In einem Interview kritisiert eine Luzerner Dozentin Studierende der Geisteswissenschaften massiv. Damit hat sie in den sozialen Medien eine hitzige Debatte ausgelöst.

«Die Studenten vergeuden ihre Zeit». Bereits der Titel des Interviews mit Wirtschaftshistorikerin Andrea Franc eckt an. Der Text entspricht dann auch den Erwartungen. Sie wirft Studenten der Geisteswissenschaften vor, faul und kaum ambitioniert zu sein und später wegen mangelnder Vollzeitstelle auf Kosten von Handwerkerinnen zu leben (zentralplus berichtete).

Francs pointierte Aussagen schlagen in den sozialen Medien hohe Wellen. Die Reaktionen decken die gesamte Bandbreite ab. Von Kritik bis Anerkennung. Es gab auch einige lustige Kommentare. zentralplus fasst zusammen.

Kritik: Geisteswissenschaften seien «keineswegs brotlos»

In den sozialen Medien ärgern sich viele über den Artikel. So kritisiert der Kommunikationswissenschaftler Marko Kovic die von Franc aufgeführten Zahlen des Bundesamts für Statistik. Zwar würden rund 55 Prozent der Geisteswissenschaftler Teilzeit arbeiten – der Medianlohn liege bei einem Teilzeitpensum von 50 Prozent trotzdem noch bei rund 59'000 Franken und nicht bei den im Artikel aufgeführten 48'000 Franken.

Auch die Vize-Präsidentin der Mitte Kanton Luzern Karin Stadelmann stört sich am Artikel. Die Dozentin für soziale Arbeit twittert, dass Geisteswissenschaften «keineswegs brotlos» seien.

Artikel mache pauschalisierende Aussagen

Eine Gruppe Zürcher Hochschul-Studenten wiederum will den «Faulheit»-Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen. Rund 75 Prozent der Studentinnen würden arbeiten, um sich das Studium zu finanzieren. In den Geistes- und Sozialwissenschaften liege der Anteil gar bei 80 Prozent. Auch den Vorwurf, dass Teilzeitarbeitende einfach zwei Tage «in der Badi liegen», lassen die Studenten nicht gelten. Damit klammere die Dozentin Personen aus, die Care-Arbeit leisteten, sich also beispielsweise um die Kindererziehung, die Pflege von Angehörigen oder Hausarbeiten kümmerten.

Andere wiederum, wie der Luzerner Junge Grüne Kantonsrat Samuel Zbinden, monieren den «abfälligen» Ton gegenüber den Studentinnen.

Grundsatzdebatte über Bildungsqualität

Für andere wiederum scheint Dozentin Andrea Franc den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben. So stellt beispielsweise die Zürcher FDP-Kantonsrätin Angie Romero die Frage, ob es denn in Ordnung sei, wenn Akademiker ihre Work-Life-Balance auf Kosten anderer ausleben würden:

Auch der Chefredaktor vom «Schweizer Monat» Ronnie Grob scheint Francs Bild über die Studenten durchaus zu teilen. Das Studium solle fleissigen und einsatzbereiten Studentinnen offen stehen – und nicht solchen, wie im Artikel beschrieben.

Auch unter dem dazugehörigen Tweet der NZZ-Autorin Christina Neuhaus finden sich – nebst viel Kritik – auch einige zustimmende Kommentare. So zum Beispiel kurz und knapp «Volltreffer». Oder «Lesens- und bedenkenswert. Das sage ich als Historiker.»

Für Manfred Thoma von der GLP Schaffhausen gräbt der Artikel eine Grundsatzdebatte aus: «Soll das studiert werden, was die Wirtschaft braucht oder sollen sich die Studierenden selbst entscheiden?»

Politiker fordern Bildungsreformen

Mit dieser Debatte befasst sich derzeit auch die Politik. Erst kürzlich hat der Luzerner FDP-Kantonsrat Gaudenz Zemp mit einer Interpellation nachgelagerte Studienkosten in den Raum gestellt. Der konkrete Vorschlag: Absolventinnen, die nach dem Studium nicht genug Steuern zahlen – und so ihre Studienkosten nicht indirekt zurückzahlen – sollen künftig die Ausbildungskosten in Rechnung gestellt werden.

Dabei bezieht er sich auf Aussagen zweier Bildungsökonomen, die ein Inserat in der «NZZ» mit dieser Reformidee aufgeschaltet haben. Wie die Luzerner Regierung den Vorschlag beurteilt, wird sich noch zeigen. Doch im Nachbarkanton Zug scheint kein Handlungsbedarf zu bestehen. Der Zuger Bildungsdirektor Stephan Schleiss (SVP) schätzt die Bildungsrendite gegenüber zentralplus als nach wie vor als «hoch» ein.

Auf ganz unfruchtbaren Boden fällt die Forderung jedoch nicht. Rund 30 Prozent der zentralplus-Leserinnen schätzen den Vorschlag als «gerecht» ein. Und auch zentralplus-Politblogger Gian Brun, Präsident der Jungfreisinnigen Kanton Zug, findet, nachgelagerte Studiengebühren seien immerhin eine Diskussion wert (zentralplus berichtete).

Wie viel und was studiert werden soll, wird also auch weiterhin ein politischer Zankapfel bleiben. Nicht nur auf Twitter.

Als kleiner Bonus: Nebst all der hitzigen Debatte gibt es durchaus auch Stimmen, die den Artikel mit Humor betrachten. So schreibt NZZ-Blattmacher Andri Rostetter:

Verwendete Quellen
  • Twitter-Beiträge zum NZZ-Artikel
  • «NZZ»-Artikel
9 Kommentare
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