Wer wohnt denn hier?

Warum dieser Mann gratis im Neubad leben darf

Für drei Monate hat das Neubad einen Bewohner. (Bild: kok)

Im Luzerner Kulturzentrum Neubad gibt es eine grosse Dachwohnung mit zwei Terrassen. Dort lebt seit kurzem ein tschechischer Graffiti-Künstler.

Wer in die Wohnung des Neubads will, muss an einem Kronleuchter aus Gemüseschälern vorbei. Wie ein Vogelnest aus Metall hängt das Konstrukt im Treppenhaus, das unters Dach führt. Oben liegt ein Geruch von Farbe in der Luft. Kein Zweifel: Hier wird gemalt.

Das Neubad ist Luzerns bekannteste Zwischennutzung. In einem alten Hallenbad ist ein Kulturort entstanden, für Konzerte, Lesungen, Clubnächte, Co-Working und ein Bistro. Was wenige wissen: Unter dem Dach liegt eine Wohnung, mit zwei Terrassen, drei Schlafzimmern und einem lichtdurchfluteten Wohnzimmer.

Der Gast fühlt sich im Neubad wohl

Dort lebt seit zwei Wochen Tomáš Junker, Künstlername Pauser. Der Graffiti-Künstler darf drei Monate in der Wohnung sein, kostenlos, um Kunst zu machen. Er stammt aus der tschechischen Stadt Olomouc, einer Partnerstadt von Luzern und hat eine Künstlerresidenz gewonnen. Beide Städte wünschen sich für die Unterstützung einzig ein Bild.

Wer wohnt denn hier?

In unserer losen Serie «Wer wohnt denn hier?» blickt zentralplus hinter verschlossene Türen oder Zäune von aussergewöhnlichen Häusern in Luzern und Zug. Vorgestellt werden jene Personen, die im Inneren wohnen.

Schon jetzt ist der Neuankömmling Teil der Neubad-Familie. Ihm wird auf die Schulter geklopft, gezwinkert, gequatscht. Begeistert erzählt der Künstler von einer House-Party letzte Woche, und seiner Fahrt im Partyzug zu den Stanser Musiktagen. Bald will er auch «QueenKong» zum Dinner treffen, die berühmtesten Graffiti-Künstler von Luzern.

Zum ersten Mal sprayte Tomáš Junker mit 12 Jahren

Am Finger trägt der 41-Jährige einen Ring, die Haare sind kurz, auf dem Pulli prangt die Aufschrift «RAP». Während er Zitronenkuchen isst, erzählt Tomáš Junker von den 90er Jahren in der tschechischen Graffiti-Szene; von den ersten analogen Fotos seiner «Pieces», die er Kollegen gab, mit Kontakten zu Szene-Magazinen. «So ging meine Kunst quasi viral».

Neubad Wohnung
Beim Sprühen kommt es auf den Druck an. (Bild: kok)

12 Jahre alt war Tomáš Junker, als er zum ersten Mal sprayte, damals mit seinem Cousin auf die Garage ihres Opas. Später ging er zum Sprayen in die Stadt, weil es in Olomouc keine legalen Orte dafür gab. «Mein erstes Piece war super beschissen, direkt neben den Gleisen», sagt er und lacht, als hätte er sich ewig nicht daran erinnert.

Die grosse Neubad Wohnung gehört ihm alleine – auf Zeit

Seine Wohnung im Neubad ist halb Atelier, halb leer. Im Schlafzimmer liegt eine Matratze am Boden, ein voll gestellter Rolltisch steht in der Ecke. Die restlichen Räume sind ungenutzt, im Wohnzimmer hängt besprayte Plastikfolie. Davor steht ein Bild von ihm und dutzende Farbdosen. Auf der Terrasse flattert weitere Folie.

Neubad Wohnung
Kreatives Chaos in der Neubad Wohnung. (Bild: kok)
Neubad Wohnung
Ansonsten sind die Räume eher leer. (Bild: kok)

Ob ihm die karge Wohnung im Neubad wie eine skurrile Auszeit vorkommt, ihm, der in seiner Heimat ein zweistöckiges Haus mit Garten bewohnt, in dem ein 13-jähriger Sohn, eine 8-jährige Tochter, und eine Frau auf ihn warten? Nein, sagt er lachend. Er sei vieles gewohnt.

Erst Fashion, dann App-Design, Graffiti blieb

Der studierte Fashion-Designer begann als junger Mann, Apps zu designen. Jahrelang lebte er von Auftrag zu Auftrag, einige Monate in Genf, dann in New York oder Boston. Privat kreierte er NFTs und verkaufte die digitalen Bilder als Wertanlage. Erst seit der Corona-Pandemie ist er öfter zuhause.

Trotz Job hat er seine Graffiti-Kunst nie aufgegeben – und auch die Szene nicht. Bis heute malt er auf seine Bilder Graffiti-Schriftzüge, manchmal versteckt, manchmal prominent. «Dieser Style gehört einfach zu mir». Er liebe die direkte Wirkung einer Spraydose und den Prozess, wie ein Bild entsteht.

Rund 7000 Franken kostet ein Bild

Grelle Farben, Symbole und Motive des Alltags prangen auf seinen Leinwänden. Das aktuelle Bild zeigt zum Beispiel eine Zitrone, ein Brot und Zucker: alles Dinge, die der Künstler beim Einzug in die Neubad-Wohnung vorfand. «Ich will meine Bilder nicht mit Bedeutung überladen. Ich bin da super frei.»

Neubad Wohnung
Seine Bilder lehnen an den Wänden. (Bild: kok)

Plötzlich klingelt sein Handy. Ein französisches Aktionshaus ist am Telefon und hat Neuigkeiten. Junker unterbricht die fremde Person und bittet um eine E-Mail. Worum es ging? «Vielleicht habe ich gerade ein Bild verkauft», sagt er. Ein Lächeln umspielt seine Lippen. Rund 7000 Franken verdiene er an einem Werk.

Neubad Wohnung wird im Mai geöffnet

Damit der Künstler mit einem Bild zufrieden ist, braucht er in der Regel eine Woche. Zum Leben reiche der Verkauf aber nicht. Noch nicht, sagt er optimistisch. Bis es so weit ist, arbeitet er parallel als Freelancer im Designbereich und investiert in NFTs und Krypto-Währungen. So könne er gut leben.

Die grosse Wohnung im Neubad sei toll, sehr hell, und die ganze «Community» einfach grossartig. Am 18. Mai gibt es eine Werkschau in seiner Wohnung und im Sommer wird ihn seine Familie besuchen. Wie er seine Familie und drei Jobs unter einen Hut kriegt? Er lacht. «You have to push forward.»

Neubad Wohnung
Über hundert Dosen stehen in der Wohnung verteilt. (Bild: kok)
Verwendete Quellen
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