Die Experten erklären

Warum haben die Innerschweizer nur einen König?

Beendet Pirmin Reichmuth, der hier Benji von Ah am Brünig-Schwinget ins Sägemehl bettet, das lange Warten auf einen zweiten Innerschweizer Königstitel? (Bild: facebook schlussgang)

Die Innerschweizer sind der grösste aller fünf Teilverbände und stellen am meisten Schwinger an einem Eidgenössischen. Doch sie haben erst einen König – so wenig wie kein anderer. Wie ist das möglich?

Harry Knüsel hat ein Alleinstellungsmerkmal: Der 58-jährige Zuger ist der einzige König der Innerschweiz – zumindest im Schwingen (zentralplus berichtete). So nennt man den «Bösen», der ein zwei Tage dauerndes Eidgenössisches gewinnt. König ist man ein Leben lang. Wie Olympiasieger.

1 Sieg bei 44 Austragungen

Am nächsten Eidgenössischen in Zug am letzten August-Wochenende stellt der Innerschweizer Schwingerverband (ISV) traditionell 85 von insgesamt 274 Teilnehmern. Das sind 20 mehr als das zweitgrösste Kontingent vom Nordostschweizer Teilverband und 27 mehr als das drittgrösste der Berner.

Seit Knüsels Krönung 1986 in Sion haben bloss noch Nordostschweizer und Berner die zehn darauffolgenden Eidgenössischen für sich entschieden. Und zwar je fünf Mal. Zunächst schlugen die Berner zweimal zu, dann folgte die Dominanz der Nordostschweizer mit fünf Königstiteln in Serie. Bei den letzten drei Austragungen übernahmen wieder die Berner die Herrschaft über den Zweikampf im Sägemehlring.

«Mit Geni Hasler hatten wir 1989 und 1995 die Chance, sie aber leider nicht genutzt.»

Peter Achermann, Präsident des ISV

Besonders bitter für den ISV: Selbst die beiden kleinen Schwingerverbände, der Nordwest- und der Südwestschweizer, gewannen seit der Gründung des Eidgenössischen Schwingerverbandes 1895 mehr Königstitel. Sie stellen je 30 Teilnehmer in Zug.

44 Eidgenössische hat es bis heute gegeben. 1945 in Bern und 1950 in Grenchen wurde kein König gekrönt.

Achermann: «Chancen nicht genutzt»

Es ist geradezu ein Sägemehl-Paradox, dass der grösste aller fünf Teilverbände am wenigsten Könige hervorgebracht hat. Wie kann das sein?

Einer, der es wissen muss, ist Peter Achermann. Der Präsident der Innerschweizer sagt als Erstes, dass sie die Chance 1989 in Stans und 1995 in Chur mit Geni Hasler schon gehabt, aber leider nicht genutzt hätten. «Sonst sähe die Bilanz anders aus», hält er fest.

«In den letzten 30 Jahren waren die Nordostschweizer und die Berner stärker.»

Manuel Röösli, Chefredaktor «Schlussgang»

Achermann möchte aber auch darauf hinweisen, dass verschiedene Faktoren stimmen müssen, um bei einem Eidgenössischen obenaus schwingen zu können: «Die Vorbereitung ist entscheidend, die Einteilung von grosser Bedeutung und dann muss man an diesen zwei Tagen eines Eidgenössischen eine Spitzenleistung abrufen können. Das bedeutet auch, mit Druck umgehen zu können.»

Röösli: «Die Gegner waren stärker»

Diesem Hinweis mag man entgegenhalten, dass diese Herausforderung nicht nur für die Innerschweizer gilt, sondern für alle Spitzenschwinger jedwelcher Herkunft. Manuel Röösli, der Chefredaktor der Branchenbibel «Schlussgang», folgert daraus: «In den letzten 30 Jahren gehörten die Innerschweizer kaum mehr zu den Favoriten, da waren die Nordostschweizer und die Berner einfach stärker.»

«Bis Anfang der 2000er-Jahre gab es bei den Innerschweizern zu viel Folklore und zu wenig Professionalismus im Sportbereich.»

Klaus Zaugg, Journalist

Schwingen, so fährt er fort, sei letztlich noch immer eine Einzelsportart. «Die Innerschweizer stellten jeweils ein breites Feld mit potenziell guten Schwingern, aber der letzte Tick fehlte immer.»

Zaugg: «ISV ohne gemeinsame Strategie»

Klaus Zaugg, landesweit bekannt als Experte im Eishockey und Schwingen, bringt einen weiteren Aspekt ins Spiel: Er lobt zwar die «wunderbare Schwingkultur» in der Innerschweiz. Aber der an der Kantonsgrenze zu Luzern lebende Emmentaler sagt auch: «Bis Anfang der 2000er-Jahre gab es aber zu viel Folklore und zu wenig Professionalismus im Sportbereich. Da waren die Berner und die Nordostschweizer den Innerschweizern voraus.»

Aus der Sicht des 62 Jahre alten Journalisten war das aber nicht das einzige Problem. Zum ISV gehören die vier Kantone Luzern, Zug, Schwyz, Uri und die beiden Halbkantone Ob- und Nidwalden. «Die Innerschweizer gingen zwar immer mit Begeisterung an ein Eidgenössisches, aber den Kantonalverbänden ist es nie gelungen, eine gemeinsame Strategie zu finden, damit einer der ihren König wird.»

In dieser Hinsicht seien die Berner unerreicht, bemerkt Zaugg und sagt: «Der Vorteil ist, dass es bei den Bernern halt nur Berner gibt.»

Achermann kämpft gegen Kantönli-Geist

Mit dem ihm eigenen Schalk prognostiziert er: «Man darf für das Eidgenössische in Zug mit gleicher Berechtigung einen Innerschweizer als neuen König erwarten wie den EV Zug nächstes Jahr als neuen Schweizer Meister im Eishockey.» Die Zuger, bislang auch erst ein Mal Meister geworden, sind im Frühjahr im Playoff-Final am SC Bern gescheitert.

«Wir sind daran, die Grenzen zwischen den Kantonen aufzubrechen.»

Peter Achermann, ISV-Präsident

Dass es bei den Innerschweizern bisher ein Gärtli-Denken gab, stellt Achermann nicht in Abrede: «Daran haben wir gearbeitet. Zum Beispiel mit der Beschickung und Einteilung der Kantonalschwingfeste. Wir sind daran, die Grenzen zwischen den Kantonen aufzubrechen, gerade auch bei den Jungschwingern. Da sind mithilfe der sozialen Medien Freundschaften über die Kantonsgrenzen hinaus entstanden.»

Die positive Wirkung dieses Projekts ist für ihn schon spürbar: Bei Bergfesten und Teilverbandsfesten hat Achermann den ISV schon als Einheit wahrgenommen. Auf dem Brünig gelang seinem Teilverband mit dem Zuger Pirmin Reichmuth als Sieger und dem Sörenberger Joel Wicki als Zweitem der Paukenschlag – die Berner hinkten bereits am Mittag hinterher. Reichmuth und Wicki werden auch am ESAF in Zug die Innerschweizer Speerspitze bilden.

Harry Knüsel besass bislang das Privileg, dass er die Terminlegung eines Innerschweizer Königstreffens noch nie absprechen musste. «Ich würde ihm gönnen, dass sich das bald ändert», sagt Achermann schmunzelnd.

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