Sentitreff und Hafenbar zeigen die Spiele

Katar bringt Luzerner Wirte in moralische Konflikte

Zu kalt und zu menschenverachtend. Die Spiele in Katar wird in Luzern nicht so gezeigt, wie sonst eine normale WM. (Bild: Severin Ettlin)

Und plötzlich sind Luzerner Wirte auch Diplomaten. Soll die WM in der Bar gezeigt werden oder nicht? Der Verein Sentitreff hat sich für den Fussball entschieden – obwohl sich der Ort sonst so für Menschenrechte einsetzt. Warum?

Mit der Fussball-WM ist es wie früher mit dem «Blick»: Viele haben das Seite-3-Girl angehimmelt, über die reisserischen Schlagzeilen geschmunzelt und interessiert verfolgt, wer nun wieder mit wem fremdgegangen ist. Aber die wenigsten haben zugegeben, die Boulevardzeitung zu lesen. Viel lieber wurde das «Schundblatt» in der NZZ versteckt.

Wer am Kiosk eine «NZZ avec» bestellte, bekam in den 90er-Jahren den Blick perfekt kaschiert ausgehändigt. Ähnliche Szenen gibt es jetzt im Zusammenhang mit der WM in Katar. Kaum einer wird gerne zugeben, dass er die WM zu Hause guckt, obwohl Katar Menschenrechte mit Füssen tritt. Und doch werden es viele tun.

Ein Boykott kann tatsächlich etwas bringen, meint Ethikprofessor Peter G. Kirchschläger. «Wir haben die Chance, bei dieser Fussball-WM ein Zeichen für Menschenrechte und gegen Menschenrechtsverletzungen zu setzen», sagt er gegenüber zentralplus. Doch wie gehen die Luzerner Beizen damit um?

Zeigen oder nicht zeigen?

Die WM in Katar bringt Betreiber einer Bar oder eines Treffs in ein echtes Dilemma. Sollen die Fussballspiele gezeigt werden oder nicht? Viele haben sich dagegen entschieden. Einige haben das Glück, dass ihnen ihr Winterprogramm diese Entscheidung abgenommen hat.

In der Schüür beispielsweise wird gerockt. «Die WM findet während unserer Hauptsaison statt. Von daher zeigen wir die Spiele nicht, sondern Konzerte, wie sich das im November und Dezember für ein Konzerthaus gehört», schreibt uns Geschäftsleiter Marco Liembd.

«Wie kann man etwas verurteilen, es aber trotzdem unterstützen?»

Privatperson via Facebook

Andere mussten sich länger Gedanken machen und einen Entschluss fassen. Diejenigen, welche sich für die WM entschieden haben, stecken nun teilweise Kritik ein.

Hafenbar wird für Entscheid, die Spiele zu zeigen, kritisiert

«Wie kann man etwas verurteilen, es aber trotzdem unterstützen?», fragt ein Facebook-User als Reaktion auf den Entscheid der Luzerner Hafenbar. Diese hat entscheiden, die Spiele zu zeigen. «Wir zeigen alle Spiele auf Grossleinwänden und TVs und freuen uns auf ein grosses Fussballfest ⚽️⚓️🍻», schreiben die Betreiber.

Leicht sei diese Entscheidung keineswegs gewesen. «Wir stehen ein für alle Menschenrechte und verurteilen jegliche Ausbeutung von Wanderarbeitern. Weiter möchten wir auf das Positionspapier von fussballkultur.ch hinweisen», schreibt die Hafenbar.

In dem Positionspapier steht unter anderem, dass sich Katar in Bezug auf die Menschenrechte verbessert habe. «Veränderungen sind greifbar, Verbesserungen sichtbar. Und: Katar ist das einzige Land des Nahen Ostens mit Medienfreiheit (Al Jazeera).» Zum Thema Schwulenfeindlichkeit steht im Papier, dass die LGBTIQ-Community bei den Spielen genauso wie die Regenbogenfahne willkommen sei. «Aber Katar ist ‹ein sittsames Land›, wie es der Emir formuliert: Keine Küsse in der Öffentlichkeit. Das gilt für jede sexuelle Orientierung.»

Das Papier überzeugt nicht alle. So schreibt SP-Grossstadtrat Benjamin Gross: «Das ist kein Positionspapier, sondern anfangs ein Wikipediaeintrag zu Katar und dann eine Abfolge von Rechtfertigungen, bis hin zu wegschauen. Finde ich noch heikler, als einfach zu sagen, dass man auch Champions League schaut, und deshalb kein Problem mit Katar hat.»

Bild: Screenshot Facebook

BaBeL-Quartier: Sentitreff zeigt Spiele nach langem Überlegen

Gehen wir von der Hafenbar in Gedanken 190 Meter nach Nordwesten. An der Baselstrasse 21 befindet sich der Sentitreff, ein Quartiertreffpunkt. Durch die interessante Kulturdurchmischung des Quartiers ist er ein lebendiger Ort. «Weil hier viele Menschen ohne Schweizer Pass leben, hat der Sentitreff einen Integrationsauftrag von der Stadt Luzern», steht beschreibend auf der Website.

1983 wurde der Treff gegründet. Der Verein engagiert sich seither für Menschen an der Baselstrasse, unter anderem für die Integration der zahlreichen Migranten, die im BaBeL-Quartier wohnen. Ein Ort also, der sich schon von der Wurzel her komplett gegen Katar sträuben müsste. Trotzdem werden Spiele über die Bildschirme flimmern. «Gezeigt werden im Saal und/oder im Hof sowie teilweise in der Colonia die Gruppenspiele der Schweiz und die K.O.-Spiele ab den Achtelfinals», schreibt der Verein.

Die Begründung, warum der Sentitreff diesen Entscheid getroffen hat, füllt eine A4-Seite. In dem Statement schreibt der Verein: «Wir akzeptieren, mit dem Unbehagen leben zu müssen, dass Unterhaltung und Unrecht, Leichtigkeit und Leid uns oft gleichzeitig begegnen. Im Sentitreff und in der Colonia Libera Italiana sind wir uns durchaus gewohnt, das Schöne und das Schwere nebeneinander zu haben. Dabei sind wir erfahrungsoffen und nicht gleichgültig.»

Der Verein habe Verständnis und Respekt für alle, welche die WM boykottieren. «Dennoch entscheiden wir uns fürs Zuschauen und damit auch fürs Hinschauen. Weil wir als Treffpunkt lieber Türen zum Eintreten und Fenster zum Reinschauen öffnen, statt sie zu schliessen.»

Und der Ball rollt doch ...

Wer die WM schauen möchte, der findet in Luzern einige Angebote. So zeigt beispielsweise ebenso neben den genannten Orten das Restaurant Crazy Cactus die WM im Garten. Bei der Bourbaki Bar werden die Fans im hinteren Bereich der Halle glücklich. Wer lieber ein bisschen ausserhalb der Stadt nach Katar blicken möchte, der kann auch ins Lido Beach House pilgern.

In kleinem Rahmen, also nicht so wie sonst auf Grossleinwand, können die Spiele auch auf der Terrasse beim Hotels Schweizerhof geschaut werden. Rudolfs Weihnacht zeigt die Spiele ebenso. Und als Sportbar ist das Anfield fast schon verpflichtet, die WM zu zeigen. Auch in der Tschuppi's Wonderbar finden Fussballfans die gesuchten Fernseher und gutes Bier. Nicht jeder Standort zeigt alle Spiele. Also informiere dich vor dem Besuch am besten noch via Internet.

Verwendete Quellen
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