Von Beleidigungen bis zu Tätlichkeiten

Gewalt im Amateurfussball: So geht es Luzerner «Schiris»

Nicht alle Spieler können gleich gut damit umgehen, wenn ihnen der Luzerner Schiedsrichter Elmedin Aliji die Ampelkarte zeigt. (Bild: zvg)

Schiedsrichter melden einen Anstieg von Aggressionen im Innerschweizer Fussball. Kritik von Spielern an der Spielleitung führt mitunter dazu, dass Spielleiter die Pfeife an den Nagel hängen. Der Amateurfussball kämpft so gleich mit zwei Problemen.

Vermehrt hört man von Gewalt und Anfeindungen gegenüber Schiedsrichtern im Schweizer Fussball. Spielabbrüche und Spielsperren sind die Folge. Zudem kämpfe man im Schweizer Fussball mit einem Schiedsrichtermangel. Was läuft falsch im Schiedsrichterinnenwesen und wie steht es um die Schiedsrichter in den Kantonen Luzern und Zug?

Wir fragen nach beim Innerschweizerischen Fussballverband (IFV) und bei einem Schiedsrichter. Der IFV ist als Verband auch zuständig für die Ausbildung der Schiedsrichter in den Kantonen Zug und Luzern. Angesprochen auf die Aggressionen im Fussball, sagt Armin Riebli, Präsident der Schiedsrichterkommission des IFV, dass der Verband keinen «statistisch messbaren Anstieg» an Aggressionen verzeichnet. Dennoch erhalte der Verband vermehrt Rückmeldungen von Schiedsrichterinnen, dass die verbalen Aggressionen und die Rudelbildung um den Schiedsrichter herum bei umstrittenen Entscheidungen zunehmen.

Jährlich mehrere Spielabbrüche wegen Aggressionen

Körperliche Angriffe gebe es selten. Ein bis zwei Fälle seien es pro Jahr, so der IFV. Diese melde der Verband an die Strafkommission des Schweizerischen Fussballverbandes. Den Tätern droht in der Regel eine happige Strafe: Es werden Spielsperren von 12 bis 24 Monaten ausgesprochen.

Wir fragen Elmedin Aliji, einen 22-jährigen Schiedsrichter aus Adligenswil, nach seinen Erfahrungen. Physische Gewalt erlebte er glücklicherweise nie. Aliji pfeift Fussballspiele der zweiten Liga interregional. Dort habe der Fussball schon eine gewisse Professionalität, so Aliji. In den unteren Ligen kämen Aggressionen gegen Spielleiter hingegen häufiger vor.

Elmedin Aliji hat als 15-Jähriger mit dem Leiten von Fussballspielen begonnen. (Bild: zvg)

«Im Fussball wird sehr schnell das Problem beim Schiri gesucht», sagt der 22-jährige weiter. Dass jemand verbal austeilt oder reklamiert, gebe es immer wieder. «Es ist ein Grundproblem im Fussball», so Aliji. So sei es etwa vorgekommen, dass ein Spielleiter als «Schlampe» bezeichnet wurde. Er selbst mag sich an einen Spieler erinnern, der ihn als «Missgeburt» bezeichnete.

Gemäss IFV müssen jährlich zwei bis drei Spiele in der Innerschweiz aufgrund von Bedrohungen gegen Schiedsrichterinnen abgebrochen werden (zentralplus berichtete).

«Viele Schiris hören auf, weil ältere Spieler, Trainer und Zuschauer den jungen und noch lernenden Schiri anpöbeln.»

Elmedin Aliji, Schiedsrichter

«Jeder Spielabbruch ist für die Schiedsrichterin, den Schiedsrichter eine grosse Herausforderung», so der Präsident der Schiedsrichterkommission. In solchen Fällen suche der Verband sofort den Kontakt mit den betroffenen Schiedsrichtern. Die meisten Schiedsrichter würden das Pfeifen nach einer solchen Erfahrung nicht aufgeben, so Riebli. In «ganz wenigen» Fällen hängen die Betroffenen die Pfeife an den Nagel, sagt er weiter.

Damit spricht Riebli ein weiteres Problem des Schiedsrichterwesens an: den Schiedsrichterinnenmangel. Rund 50 zusätzliche Unparteiische benötige der IFV. Immerhin: Durch Anpassung der Spielpläne und dank Schiedsrichtern, die zusätzliche Einsätze übernehmen, konnten Spielabsagen bislang verhindert werden, sagt Riebli.

Jüngere Schiris werden durch verbale Attacken verunsichert

Aliji selbst hat mit dem Pfeifen im Alter von 15 Jahren begonnen. Ein Alter, in dem die Persönlichkeit noch nicht ausgereift ist. Er selbst mag sich noch gut an ein Spiel erinnern, in dem er als Jugendlicher einen gut zehn Jahre älteren Spieler aufgrund eines Vergehens vom Platz stellen musste. Das könne nicht jeder, so der 22-Jährige. «Dort hören eben viele Schiris auf, weil ältere Spieler, Trainer und Zuschauer, den jungen und noch lernenden Schiri anpöbeln.»

Dieses Problem stellt auch der IFV fest. In den ersten zwei Jahren geben viele Schiedsrichterinnen das Pfeifen wieder auf, «vor allem, weil sie – oft unbegründet – negative verbale Reaktionen auf ihre Spielleitung erleben», so der Präsident der Schiedsrichterkommission. Aliji ist sich sicher: «Wenn am Anfang der Respekt der Spieler gegenüber den neuen Schiedsrichtern höher wäre, dann wäre der Schiedsrichtermangel nicht so akut, wie er momentan ist.»

«Der Schiedsrichtermangel hat ganz wesentlich damit zu tun, dass die vielen positiven und problemlosen Spielleitungen sehr selten thematisiert werden.»

Armin Riebli, Präsident Schiedsrichterkommission IFV

Dass die jungen Schiris die Pfeife an den Nagel hängen, ist das eine Problem. Andererseits liessen sich Nachwuchsschiris immer mühevoller rekrutieren. Dies, weil bei den A- und B-Junioren – wo die meisten Schiris angeheuert werden – immer weniger Mannschaften am Spielbetrieb teilnehmen, so der IFV. Der Grund dafür sei wiederum, dass viele Jugendliche mit dem Fussballspielen aufhören und zu einer alternativen Sportart wechseln.

Daher lanciert der IFV in diesem Jahr ein Projekt, welches die Vereine bei der Schiedsrichtersuche unterstützen soll. Neben der Werbung für das Pfeifen sei auch eine intensivere Betreuung der neuen Schiedsrichterinnen in den ersten zwei Jahren Teil dieses Projekts.

Die meisten Spiele verlaufen unproblematisch – darüber wird kaum berichtet

Die öffentliche Wahrnehmung des Schiedsrichterwesens sei jedoch auch eine Ursache für den Mangel an Unparteiischen. Armin Riebli vom IFV sagt: «Der Schiedsrichtermangel hat ganz wesentlich damit zu tun, dass die vielen positiven und problemlosen Spielleitungen sehr selten thematisiert werden.»

Dass die Tätigkeit negativ konnotiert ist, findet Elmedin Aliji unberechtigt: «Es ist ein ausserordentlich cooles Hobby als junge, heranwachsende Person. Man betreibt Sport auf einem gewissen Niveau und muss gleichzeitig kognitiv handlungsschnell sein. Innert Sekunden muss man Entscheidungen treffen und dabei vor Leuten hinstehen können. Das hilft einem im Alltag sehr und es ist eine Persönlichkeitsschulung.»

Hinweis: Der IFV hatte ursprünglich mitgeteilt, dass es rund zehn Spielabbrüche pro Saison aufgrund von Bedrohungen gegen Schiedsrichtern gibt. Der IFV korrigierte diese Zahl später nach unten: Es gebe lediglich zwei bis drei solcher Spielabbrüche pro Jahr. Der Artikel wurde entsprechend angepasst.

Verwendete Quellen
  • Telefonat und schriftlicher Austausch mit Armin Riebli, Präsident Schiedsrichterkommission des IFV
  • Telefonat mit Elmedin Aliji, Nachwuchsschiedsrichter
  • Informationen auf der Webseite des IFV
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