Wir testen das neue Recylingcenter im Luzerner Ibach

Kein Auto, kein Velo, aber ein kaputter Staubsauger: Chronik einer Entsorgung

Ist der Weg das Ziel? Das neue Recyclingcenter im Ibach stellt Fussgänger (mit Staubsauger) vor Probleme – auch philosophische. (Bild: ios)

Früher wurde im Ibach verbrannt, heute verwertet: Das neue Recyclingcenter hat seine Tore diese Woche geöffnet. Jetzt müsste man als Fussgänger nur noch dorthin kommen. Wir haben einem Staubsauger das letzte Geleit gegeben. Eine Glosse in fünf Akten.

1. Akt: Abstieg in die Hölle

In seiner «göttlichen Komödie» beschrieb Dante Alighieri die Hölle als Ort, der aus neun trichterförmigen «Höllenkreisen» besteht. Gerne möchte ich an dieser Stelle mein Kellerabteil als 10. Kreis dieser Unterwelt empfehlen.

Alleine schon die Art und Weise, wie sich dort die Kisten zu Türmen stapeln, läuft wider die Natur und ihre physikalischen Gesetzmässigkeiten. Von der infernalen «Verkeiltheit» aus Kinderwagenwracks, Reisekoffern, Schlitten, Möbelfragmenten, ausgedienten Mobiles und «unmarkierten» schwarzen Säcken unbekannten Inhalts ganz zu schweigen.

Es ist ein zutiefst verstörender Ort. Und mittendrin – unter einer Lawine aus Ikea-, Coop- und Migros-Säcken – ist auch er Teil des Infernos: mein kaputter Staubsauger.

Er hat Besseres verdient als dieses Zwischenlager. Zeit für eine allerletzte Reise.

2. Akt: Aufstieg, Zweifel und Schmerz

Dieses nur sehr bedingt handliche Stück Elektroschrott hat mir zweifelsohne viele gute Dienste geleistet. «Dreck fressen müssen» war für ihn viel mehr als eine Businessweltfloskel. Es war sein Lebensinhalt. Jetzt soll er mir einen letzten Dienst erweisen.

Zusammen wollen wir testen, wie es ist, etwas zu Fuss, vom Obergrundquartier aus, im neuen Recyclingcenter im Ibach zu entsorgen. Dieses ist seit dieser Woche offiziell in Betrieb und ersetzt auch den Ökihof in Emmenbrücke (zentralplus berichtete). Die Tatsache, dass das Ibach weitab vom ÖV-Netz liegt, sorgte bereits für Ärger (zentralplus berichtete).

Also los. Nach erstem Schweissausbruch beim Entwirren des Staubsaugerkabels (die Aufrollfunktion ist nur noch ein Lippenbekenntnis), kann es definitiv losgehen. Der Aufstieg aus dem Keller ist steil. Oben gleissendes Licht. Plötzliche Zweifel: Werden wir es Ikarus gleichtun und der Sonne zu nahe kommen? Sind unsere Ambitionen zu hoch? Ist die Idee zu dumm?

Mit einem Knall bricht etwas. Vom Schienbein her durchfährt ein plötzlicher Schmerz den Körper. Der Grossteil des Staubsaugers purzelt die Treppe wieder hinunter, ein Stück aus Plastik hat sich verabschiedet.

Der anhaltende Schmerz hat jedoch auch sein Gutes. Jeglicher Zweifel ist wie weggefegt. Keine Frage, das verdammte Ding muss entsorgt werden. Auf geht's.

3. Akt: Fahrt ins Nirgendwo

Ein Staubsauger ist, im Prinzip, eine Stubenkatze. Hier meine Argumentation (Kurzversion): Beide haben einen festen Platz in der Wohnung, der alleine ihnen vorbehalten ist, sie gelangen in Ecken, an die man nur schwer hinkommt und – in unregelmässigen Abständen – muss man ihnen ein Haarknäuel aus dem Rachen ziehen.

Eine weitere Gemeinsamkeit ist die Tatsache, dass beide ausserhalb der eigenen vier Wände hoffnungslos verloren wirken. Mit einem unkartonierten Staubsauger auf einen Bus zu warten zieht unweigerlich Blicke an – ganz so, wie wenn man mit der Stubenkatze in der Transportbox in Richtung Tierarztvisite unterwegs ist.

Ansonsten aber ist es eine angenehme Fahrt. Auch eine Zeit für Reflexion. Wir hatten es schon gut zusammen. Wie du damals, 2009, nach der WG-Party diese unheilige Mischung aus Glassplittern, eingetrocknetem Bierschaum, übergeschwapptem Gin und Salzstängeligebrösel weggesaugt hast: eine absolute Klasseleistung.

4. Akt: Niemandsland und finaler Aufstieg

Danach wird's hart. Emmenbrücke, Bahnhof-Süd, Endstation. Näher kommt man dem Ibach mit dem ÖV nicht. Von Seite Maihof her müsste man vor dem Kantonsspital aussteigen, ins Rotseetal hinuntersteigen und dann wieder zum Sedel hochkraxeln. Das wäre natürlich pure Idiotie.

Aber zurück nach Emmenbrücke. Brachland Seetalplatz. Der Weg ist klar. Und steil. Die Sonne brennt in den Nacken, während man seinen Staubsauger über die Reusseggstrasse und damit über die Reuss hievt.

Zwischenzeitlich lässt man alle Scham fallen und zieht den Staubsauger. Ein zu trauriges Bild (auch wegen dessen Aussage über den eigenen Fitnessgrad), um es für die Nachwelt festhalten zu wollen.

Aber ernsthaft: Wieso gibt's keinen Bus, der beim Ibach vorbeikommt? «Wir erachten das Nachfragepotenzial als sehr gering und eine neue Linie lässt sich nicht sinnvoll ins heutige Netz einbinden», sagt Romeo Degiacomi, Mediensprecher des Verkehrsverbundes Luzern (VVL), später auf Anfrage. «Beim Sedel staut sich sehr häufig der Verkehr. Eine neue Buslinie könnte deshalb nicht zuverlässig verkehren.»

Doch zurück zur Gegenwart: Und da heisst es Ladekabel unter diversen kleineren Verfluchungen wieder einrollen und weitermarschieren.

5. Akt: Abschied und REALisation

Plötzlich geht alles ganz schnell: Da ist die sehr grosszügige Holzkonstruktion des neuen Recyclingcenters. Schon steht man vor dem kleinen Ticketautomaten, der einem das Tor beziehungsweise die kleine Schranke zu diesem Entsorgungs-Eldorado öffnet.

Mit einem bestimmten Wink wird man zur Elektroschrottpalette gewiesen. Jetzt heisst es Abschied nehmen. Da sind sie wieder, die Zweifel. Gab es wirklich keine Möglichkeit, wie du, kleiner Hoover, mir noch hättest von Nutzen sein können? Der Henkel bricht wieder ab, der Grossteil des Staubsaugers fällt in die Kiste. Die Antwort ist Ernüchterung und Erlösung. Das Mistding musste fort. Tschüssi.

Meine Emotionen bleiben von den anderen «Entsorgenden» unbemerkt. Es herrscht emsiges Treiben. Ich bin jedoch der einzige Fussgänger hier. Es ist kein Ort für Fussgänger. Es wird auch keiner. Das neue Recyclingcenter ist nicht Anreiz genug, um den ÖV ins Ibach zu bringen. «Meistens bringt man sperrige oder schwere Gegenstände, welche nicht im ÖV transportiert werden können, in eine Entsorgungsstelle», bringt es Romeo Degiacomi auf den Punkt.

Ich werfe einen letzten Blick zurück, denke über die Worte des VVL-Mediensprechers nach und bin einfach froh, dass ich nicht das alte Bettgestell aus dem Keller geborgen habe.

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