Ein Gemeindevergleich zwischen Cham und Baar

Zwei Dörfer, die nicht recht Stadt sein wollen

Die Baarer Dorfstrasse: Ein hartes Pflaster für Restaurants. (Bild: www.schweiz-orte.ch)

Die Zuger Gemeinden Cham und Baar sind fast gleich gross. Abgesehen davon ist jedoch fast alles anders. Baar sei keine Stadt mit Stil, findet ein Baarer. Dafür kann Cham wiederum kaum mit internationalen Firmen prahlen.

Schliesst man die Dörfer Inwil und Allenwinden von Baar aus, haben die beiden Gemeinden Cham und Baar fast gleich viele Einwohner. Beide Ortschaften verfügen über eine Gemeindeversammlung, haben gute Fussballklubs, bieten eine landschaftlich vielfältige Umgebung. Doch während Cham in den letzten Jahren seinem Wachstum mit einem städtebaulichen Leitbild Rechnung getragen hat, sind viele Baarer verunsichert durch die architektonische Entwicklung des Ortes. Auch die Lokalpolitik ist auf den Zug aufgesprungen, die Baarer Alternativen haben im Sommer eine Interpellation mit dem Namen «Baar verliert sein Gesicht» eingereicht.

«Baar ist mittlerweile ein Dorf mit über 20’000 Einwohnern; aber eine Stadt mit Stil ist daraus nicht entstanden.»

Andreas Lustenberger, Baarer Kantonsrat Alternative – die Grünen

Interpellant Andreas Lustenberger sagt dazu: «Uns Alternativen gefällt nicht, wie Baar Meter für Meter umgebaut, abgerissen und neu gebaut wird – nach unserer Einschätzung – sehr klotzig. Baar ist mittlerweile ein Dorf mit über 20’000 Einwohnern; aber eine Stadt mit Stil ist daraus nicht entstanden.» Unter anderem wurde der Gemeinderat mit der Interpellation aufgefordert, eine Stadtbildkommission zu schaffen. Der Baarer Gemeinderat entschied sich an der letzten Gemeindeversammlung, nicht auf das Anliegen einzugehen.

Bauvorsteher Paul Langenegger erklärt, dass im Rahmen der letzten Ortsplanungsrevision gemeinsam mit der Bevölkerung Leitplanken für die bauliche Entwicklung erarbeitet und festgelegt worden seien. Mit der aktuellen Planungskommission werde dem Stadtbild genügend Rechnung getragen. So sei zum Beispiel das ganze Bahnhofgebiet aufgrund von vorausgehenden Quartiergestaltungsplänen entwickelt und bebaut worden. Vielfach würden Architekturwettbewerbe durchgeführt, welche von qualifizierten Fachgremien begleitet werden. «Insofern kann auf die Einsetzung einer Stadtbildkommission verzichtet werden.» Es sei für den Gemeinderat aufgrund der grossen Bedeutung von Architektur jedoch nachvollziehbar, dass dabei unterschiedliche Sichtweisen bestünden.

Cham hat Nägel mit Köpfen gemacht

Doch ganz im Status Quo verharren möchte Baar nicht. «Seitens der Abteilung Planung und Bau werden erste Überlegungen für eine Revision der Ortsplanung 2005 angestellt», schreibt Langenegger auf Anfrage von zentral+. Will heissen: Mit der neuen Ortsplanung sollen planerische Visionen und Konzepte erarbeitet werden. «In welcher Tiefe dabei ein städtebauliches Leitbild erarbeitet werden soll, werden die kommenden Beratungen in den gemeindlichen Gremien zeigen.»

Cham hat diesbezüglich die Nase vorn, hat Nägel mit Köpfen gemacht und 2014, in Zusammenarbeit mit seinen Einwohnern, ein städtebauliches Leitbild geschaffen. Rolf Ineichen ist zwar erst seit wenigen Tagen im Amt als Chamer Bauvorsteher, dennoch ist für ihn klar: «Jede grössere Gemeinde merkt irgendwann, dass sie aus städtebaulicher Sicht auf ihr Wachstum reagieren muss. Die Frage ist einfach, wie man ein Konzept ausarbeitet. Cham hat sich damals für ein städtebauliches Leitbild entschieden.»

Baar: Zwischen Schlafdorf und Wirtschaftsplatz

Zugegeben, die Ausgangslagen der beiden Orte sind etwas unterschiedlich. Während Baar eine Verlängerung der Stadt Zug darzustellen scheint und kaum als eigenständige Stadt wahrgenommen wird, liegt Cham an idyllischer Lage am See und punktet zusätzlich mit der grossen Parkanlage Villette. In Baar dagegen hat sich vor rund 10 Jahren der Dorfkern in Richtung Bahnhof verschoben, was bis heute zu spüren ist. Die Dorfstrasse, die früher das Zentrum der Ortschaft war, wirkt heute etwas verlassen, reihenweise schliessen die Läden.

Verschlafen ist Baar jedoch nicht in jeder Hinsicht. Weltweit bekannte Firmen wie Glencore, Red Bull, Shell und Medela haben hier ihren Sitz. Cham hat praktisch keine solchen grossen Unternehmen vorzuweisen.

Generationenwechsel führen zu Restaurantschliessungen

Generell bietet Baar kulinarisch wenig, viele Traditionsbeizen wie das Restaurant Landhaus und das «Rössli» sind erst kürzlich dem Erdboden gleichgemacht worden. Der Baarer Gemeindepräsident Andreas Hotz begründet die vielen Schliessungen mit dem Generationenwechsel. Viele Betriebe seien während Jahrzehnten von Ehepaaren betrieben und getragen worden. Diese Arbeitsweise sei heute nicht mehr aufrecht zu erhalten. Trotzdem soll die Situation nicht dramatisiert werden, findet Hotz. «Baar verfügt im Zentrum nach wie vor über einige sehr attraktive Restaurants. Zudem sind in den vergangenen zwei bis drei Jahren auch einige spannende neue Betriebe entstanden, so beispielsweise die Restaurants ‹Hello World›, ‹Dolce Vita›, ‹Fontana› und das ‹Baarcity›.»

Ein Dorf zwischen zwei McDonalds-Filialen

Letzteres verfügt über 14 Gault Millau-Punkte und bietet Aussicht über den ganzen Kanton. Der Name des Restaurants gibt jedoch gleich einen Hinweis auf eine essenzielle Schwierigkeit der Ortschaft. Was ist Baar denn eigentlich? Stadt oder Dorf? Mit über 20’000 Einwohnern ist Baar, die zweitgrösste Ortschaft im Kanton, faktisch klar eine Stadt. Das ist jedoch kaum bemerkbar. Vielmehr nimmt man Baar als Vorort der Stadt Zug wahr. Einkaufen, Essen und Trinken, für all das geht man nach Zug oder an die Gemeindegrenzen, zu den zwei McDonalds-Filialen in Sihlbrugg und an der Stadtgrenze.

«Der Verkehr stockt hier regelmässig. Morgens, mittags und abends.»

Markus Baumann, Chamer Verkehrsvorsteher

Ein Problem mit Gastrobetrieben hat Cham nicht. Im Gegenteil. Innert weniger Jahre sind verschiedene erfolgreiche Restaurants eröffnet worden (zentral+ berichtete), insbesondere jüngeres Klientel wird angesprochen. Das hipsterige Restaurant Capra hat seit zwei Jahren geöffnet, fast gleichzeitig wie die Tapas-Bar «La Barrica». Traditionsbetriebe wie die «Milchsüdi» oder das Restaurant Villette, das mitten im Park steht, funktionieren seit Jahrzehnten, seit knapp einem Jahr hat Cham ein Teehaus («Umami») vorzuweisen. Dieses hat sogar am Sonntag offen (eine Rarität im Kanton Zug). Zu dieser reichen Vielfalt an Gastrobetrieben sagt der Chamer Gemeinderat Rolf Ineichen: «Das kann ich zwar nur als Anwohner beurteilen, Dennoch nehme ich diese Entwicklung als positiv wahr. Die Restaurants scheinen gut besucht zu sein, es gab also offenbar ein Bedürfnis, das heute gut abgedeckt ist.»

Der Stau für die nächsten Jahre ist gesetzt

Ein offensichtliches Verkehrsproblem haben indes beide Gemeinden. Jeden Tag schlängeln sich tausende von Autos durch die zwei Ortschaften, während der Stosszeiten ist Stau angesagt. Abhilfe sollen künftig Umfahrungen bieten. Die Tangente Baar-Zug, welche Baar insbesondere vom Verkehr der Berggemeinden erleichtern soll, wird plangemäss 2019 eröffnet. Paul Langenegger schätzt die jetzige Situation jedoch nicht als dramatisch ein: «Auch wenn die heutigen Stausituationen nicht angenehm sind, sind sie bezüglich Intensität und Dauer mit anderen Städten nicht vergleichbar. Es muss aber auch akzeptiert werden, dass die Mobilität jedes Einzelnen nicht immer weiter anwachsen kann.» So solle künftig mehr auf den öffentlichen Verkehr und den Langsamverehr gesetzt werden «und nicht nur auf ein hohes Parkplatzangebot.»

Die Umfahrung Cham-Hünenberg verlangt der Bevölkerung gar noch etwas mehr Geduld ab. Sie wird erst 2020 eröffnet. In Cham gilt es bis dahin, auszuharren. Verkehrsvorsteher Markus Baumann beschönigt die aktuelle Lage nicht: «Im Moment gibt es da nichts zu machen. Die Situation hat sich zwar verbessert seit die Autobahn sechsspurig wurde, dennoch stockt der Verkehr hier regelmässig. Morgens, mittags und abends.»

Während Cham sich intensiv mit dem Städtebau auseinandersetzt und seiner Geschichte Sorge trägt, hinkt Baar noch etwas hinterher. Ob es der Gemeinde gelingen wird, das Heimatgefühl der Baarer zu stärken, wird sich zeigen. Für Andreas Lustenberger ist jedenfalls klar: «Wir möchten unseren Blick verstärkt auf diese unschöne ‹Verwandlung› unseres Dorfes richten.»

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