Stadt lässt Familien im Stich

Kriens kürzt Betreuungsgutscheine – Mütter künden den Job

Für Krienser Bildungs- und Kulturvorsteher Marco Frauenknecht (SVP) verändert die Kürzung der Kinderbetreuung nicht die Attraktivität von Kriens. (Bild: zvg)

Der Stadtrat Kriens hat 2021 im Bereich der Betreuungsgutscheine gespart. Und das, obwohl die Finanzhilfe für Eltern sowieso schon gering ist. Mehrere haben ihre Berufstätigkeit deshalb aufgeben.

In Kriens stand in den letzten Jahren eine grosse Sparrunde nach der nächsten an. Das Budget ist seit langem aus dem Lot. Eine Steuererhöhung haben die Krienserinnen mehrfach abgelehnt. Kurz: Es fehlt an allen Ecken und Enden.

Anfang 2022 gab die Stadt bekannt, dass sie Tarife für die Tagesstrukturen der Krienser Volksschule um 50 Prozent erhöht. Kurz darauf wurde die Ferienbetreuung gestrichen, zu der die Gemeinden gemäss kantonalen Vorschriften verpflichtet sind. Das sorgte für einen Aufschrei unter den Eltern (zentralplus berichtete). Besonders Allenerziehende kamen in massive Schwierigkeiten.

Kürzungen auf allen Ebenen der Kinderbetreuung

Auch bei den Betreuungsgutscheinen hat der Stadtrat von Kriens gespart – dazu brauchte er noch nicht mal die Zustimmung des Parlaments. Der Betrag wird allein per Verordnung der städtischen Regierung festgelegt. 

«Es wurde festgestellt, dass anspruchsberechtige Familien (...) die Berufstätigkeit reduzieren oder aufgeben mussten.»

Jahresbericht der Stadt Kriens

Diese veranschlagte für 2021 ein Sparpotenzial von 100’000 Franken und winkte es in der Budgetdebatte kurzerhand durch. Die Beträge der Betreuungsgutscheine in Kriens wurden um rund 20 Prozent gekürzt. Zudem hat das Departement die Höhe des massgeblichen Einkommens für anspruchsberechtigte Familien von 100’000 Franken auf 75’000 Franken gesenkt.

Arbeiten zu gehen lohnt sich nicht mehr

Mit massiven Konsequenzen, wie die Stadt Kriens in ihrem Jahresbericht selber einräumt. «Es wurde festgestellt, dass anspruchsberechtige Familien diese aufgrund der reduzierten Beiträge nicht mehr nachgefragt haben und die Berufstätigkeit reduzieren oder aufgeben mussten oder eine andere Betreuungsform gewählt haben», steht darin.

Anders gesagt: Es lohnt sich für Eltern – klassischerweise die Mütter – nicht mehr, arbeiten zu gehen. Etliche Familien der Mittelschicht sind heute nicht mehr anspruchsberechtigt, weil die Einkommensgrenze nach unten angepasst wurde.

Das zuständige Departementssekretariat von Marco Frauenknecht (SVP) äussert sich dazu sachlich: «Es handelt sich um eine finanzpolitische Massnahme. Diese ist für Direktbetroffene schmerzhaft, dessen ist sich der Stadtrat bewusst. Aber die Stadt hat auch den Auftrag, den Finanzhaushalt in Ordnung zu halten. Da musste in verschiedenen Bereichen bei freiwillig erbrachten Leistungen gespart werden, weil sich die Stadt diese nicht mehr leisten kann.»

Nachfrage bei Kindertagesstätten in Kriens nimmt bereits ab

Für berufstätige Eltern sind diese Einsparungen existenziell. Besonders für Haushalte mit kleinem Einkommen ist die Eigenleistung teilweise so stark angestiegen, dass sie eine Kinderbetreuung in einer anderen Gemeinde suchen müssen.

Bei einem Einkommen von 40’000 Franken sind die Betreuungsgutscheine für ein Kind in Kriens von 66 Franken auf 48 Franken gekürzt worden. Die Kosten für eine Tagesbetreuung in einer Kindertagesstätte (Kita) in Kriens kostet circa 110 Franken.

«Gut verdienende Eltern, die Familien- und Erwerbsarbeit teilen, ziehen nach Luzern oder Horw.»

Michael Portmann, Fraktionschef SP

Tatsächlich haben 2021 nur noch 131 Familien Betreuungsgutscheine in Kriens bezogen, 2020 waren es noch 201 Familien. Diesen radikalen Rückgang kann SP-Einwohnerratsmitglied Michael Portmann in grössere soziale Verlagerungen einordnen: «Kein Wunder, dass die Kitas in Kriens melden, dass die Zahl der Kinder aus Kriens stark abgenommen hat, während die Zahl der Kinder aus anderen Gemeinden tendeziell zunehmen, weil dort die Unterstützung für die Kinderbetreuung höher ist.»

Betreuungsgutscheine: Für die Stadt Kriens ein nur «Nice to have»?

Das Departementssekretariat von Marco Frauenknecht versichert zwar: «Bereits im Budgetprozess 2023 sollen Verbesserungen bezüglich Tarifstruktur der schulergänzenden Tagesstrukturen und des Ferienhortes wieder geprüft werden, sofern es der finanzielle Spielraum zulässt.»

«Bei den Betreuungsgutscheinen handelt es sich um ein freiwilliges Angebot.»

Marco Frauenknecht, SVP-Stadtrat

Im Fall der Kinderbetreuung von Vorschulkindern sind die Aussichten aber düster: «Der Stadtrat sieht den Bedarf von Betreuungsgutscheinen. Er versucht, dies im Budgetprozess 2023 einfliessen zu lassen und aktiv mit dem Einwohnerrat in der Budgetdiskussion anzugehen.» Eine verbindliche Absichtserklärung klingt anders.

Problematisch ist, dass die Subventionierung der Kinderbetreuung nicht kantonal geregelt ist. Sie kann von den Gemeinden einzeln festgelegt werden. Das führt zu Ungleichheiten. Der Kanton hat das Problem erkannt. Edith Lang, die Leiterin der Dienststelle Soziales und Gesellschaft, räumt ein: «Bei der familienergänzenden Kinderbetreuung können aktuell bei tiefen und mittleren Einkommen Fehlanreize respektive Schwelleneffekte bestehen.»

Kriens hätte gern mehr vermögende Einwohnerinnen

Ein Grund für schwierige Finanzlage in Kriens ist das langsame Wachstum der Stadt. Die Prognosen für den Anstieg der Bevölkerung waren zu grosszügig gemacht. Familien mit einem guten Einkommen könnten dabei eine wichtige Rolle spielen. Im kantonalen Vergleich liegen die Krienser in fast allen Einkommens- und Vermögensklassen im Durchschnitt, nur bei den Vermögenden nicht. Stellt sich die Frage: Ist Kriens für sie ein attraktiver Wohnort?

«Es sinken die Steuereinnahmen und die Aufwände in den Sozialversicherungen steigen an.»

Michael Portmann, Fraktionschef SP

Der zuständige Stadtrat Marco Frauenknecht (SVP) sieht in den Einsparungen keine Bedrohung des Images von Kriens: «Kriens ist weiterhin attraktiv und soll dies bleiben. Bei den Betreuungsgutscheinen handelt es sich um ein freiwilliges Angebot, welches längst nicht allen Luzerner Gemeinden angeboten wird. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf soll auch künftig im Rahmen des Möglichen gefördert werden.»

Günstiger Wohnraum zieht untere Einkommen an

Die SP hat aufgrund der teureren Tagesbetreuung bereits die Initiative ergriffen und im März begonnen, für ihre «Tagesstruktur»-Initiative Unterschriften zu sammeln (zentralplus berichtete). Darin fordert sie von der Stadt, eine Strategie zu erarbeiten, um die Qualität und die Finanzierung der Kinderbetreuung sicherzustellen.

Aus Sicht der SP Kriens ist durch die Kürzung der Unterstützung für Vorschulkinder ein Imageschaden vorprogrammiert. «Gut verdienende Eltern, die Familien- und Erwerbsarbeit teilen, ziehen nach Luzern oder Horw», erklärt Michael Portmann. Der Fraktionschef und Co-Präsident der SP warnt: «Wer dagegen wegen tieferen Einkommen auf eine der in Kriens noch bezahlbaren Mietwohnungen angewiesen ist, zieht noch nach Kriens und löst die Kinderbetreuung auf andere Weise.»

Das habe drastische Konsequenzen für die Finanzlage: «Es sinken die Steuereinnahmen und die Aufwände in den Sozialversicherungen steigen an.» Portmann kritisiert die kurzfristige Perspektive der Stadtregierung: «Der Stadtrat muss sich langfristig wieder auf die Wirkung der Ausgaben auf die Menschen in Kriens besinnen. Wer die Vereinbarkeit von Familie und Beruf echt fördern will, muss auch bereit sein, in Betreuungsgutscheine und Tagesstrukturen zu investieren», fordert der Einwohnerrat aus Kriens.

Kaum vermögende Familien in Kriens

Der Anteil der Haushalte mit einem Reineinkommen von mehr als 200’000 Franken liegt in Kriens bei 1,7 Prozent (Kanton: 2,2 Prozent). Und Steuerpflichtige mit einem Reinvermögen von 1 Million Franken und mehr machen in Kriens 5,5 Prozent der Bevölkerung aus, kantonsweit sind es 6,2 Prozent. Diese wenigen Prozentpunkte machen in den Haushaltskassen in Kriens einen grossen Unterschied aus. Es fehlt Geld und es gibt zu viele anspruchsberechtigte Eltern mit Kinder, die Unterstützung bei der familienergänzenden Kinderbetreuung brauchen.

Verwendete Quellen
  • Jahresbericht der Stadt Kriens (Medienmitteilung hier, Bericht selber nicht mehr online)
  • «Stadtfinanzen im Gleichgewicht», Finanzpolitische Gesamtstrategie des Stadtrates Kriens
  • Informationen zur «Tagesstruktur»-Initiative der SP Kriens
  • Angebot an Kindertagesstätten in Kriens
  • Schriftlicher Austausch mit dem Departementssekretariat von Marco Frauenknecht (Familien-, Freizeit- und Kulturdienste)
  • Schriftlicher Austausch mit Edith Lang, Leiterin der Dienststelle Soziales und Gesellschaft des Kantons Luzern
  • Artikel der «Luzerner Zeitung»

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