18 Prozent der Mitarbeitenden kündigten

Im Luzerner Asyl- und Flüchtlingswesen kommt es zum Exodus

SP-Kantonsrätin Pia Engler ist überzeugt, dass das Luzerner Asylwesen ein strukturelles Problem hat.

Im Luzerner Asylwesen hält es ein grosser Teil des Personals nicht länger aus. Allein in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres haben 18 Prozent der Mitarbeitenden die zuständige Dienststelle (DAF) freiwillig verlassen. Im Jahr 2020 lag die Kündigungsquote bei 11,4 Prozent.

Ist die Dienststelle Asyl- und Flüchtlingswesen (DAF) ein attraktiver Arbeitgeber? Die hohe Nettofluktuationsrate von 18,0 Prozent in den Monaten Januar bis März 2021 spricht dagegen. Gemeint ist mit diesem Kennwert der Anteil der Mitarbeitenden, die gekündigt haben – Pensionierungen nicht eingerechnet. Zum Vergleich: In der Bundesverwaltung beispielsweise lag diese Quote letztes Jahr bei gerade mal 2,7 Prozent.

Was ist los im Luzerner Flüchtlingswesen? Das wollte SP-Kantonsrätin Pia Engler von der Luzerner Regierung mithilfe eines Vorstosses in Erfahrung bringen. In ihrer Antwort nennt die Regierung jetzt zwar eine ganze Reihe von «verschiedenen nachvollziehbaren Gründen» für die vielen Abgänge. Zwischen den Zeilen wird denn auch immer wieder betont, man habe die nötigen Massnahmen ergriffen und die Situation unter Kontrolle. Doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache.

Der Kanton wollte es besser machen – und scheitert

Generell sei die Fluktuationsrate in sozialen Bereichen höher als in der Kernverwaltung, ist da zu lesen. Ein weiterer Faktor für die höhere Fluktuationsrate bei der DAF seien die überproportional vielen jungen Mitarbeiterinnen und auch Berufseinsteiger, welche häufiger die Arbeitsstelle wechseln als ältere Mitarbeitende. Und als dritten Grund nennt die Regierung eine laufende «Umbruchphase».

«Es hat sich herumgesprochen, dass die Organisation strukturelle Probleme hat und die Dossierbelastung zu hoch ist.»

SP-Kantonsrätin Pia Engler

Dazu muss man wissen: Bis Ende 2016 war die Caritas Luzern mit ihrem etablierten Sozialdienst für die wirtschaftliche und persönliche Sozialhilfe für Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene Personen zuständig. Am 1. Januar 2017 riss der Kanton diese Aufgabe an sich, weil er sich davon mehr Effizienz versprach (zentralplus berichtete). «2019 hat die Organisationsentwicklung aufgezeigt, dass die bisherige Arbeitspraxis diverse Qualitätsaspekte nicht genügend erfüllt», so die Regierung. Man entschied sich für eine Reorganisation. Solche Veränderungsprozesse würden immer das «Risiko von Personalabgängen» bergen.

Schlechte Arbeitsbedingungen sind ein offenes Geheimnis

Pia Engler, Vizefraktionspräsidentin der SP im Kantonsrat, überzeugen diese Erklärungen nicht: «Für mich sind das Ausflüchte. Es ist kein Zufall, dass die DAF nur junge Berufsleute findet. Es hat sich herumgesprochen, dass die Organisation strukturelle Probleme hat und die Dossierbelastung zu hoch ist. Und wer Berufserfahrung hat, weiss, was das heisst», sagt Engler, die selber ausgebildete Sozialarbeiterin ist.

«Der Kanton will um jeden Preis beweisen, dass er das Asylwesen günstiger führen kann.»

SP-Kantonsrätin Pia Engler

Nach der Ausbildung seien die jungen Berufsleute auf ihre Arbeit bestens vorbereitet. «Sie sind hochmotiviert, brauchen aber die nötigen Ressourcen und eine gute Einführung, um ihren Job zu machen. Und genau da hapert es», meint Engler. «Der Kanton hat das Flüchtlingswesen aus Spargründen von der Caritas übernommen – und will jetzt um jeden Preis beweisen, dass er es günstiger führen kann. Nur funktioniert das offensichtlich nicht. Die Leidtragenden sind die Mitarbeitenden, die Flüchtlinge und letztlich die ganze Gesellschaft, wenn die berufliche und soziale Integration der Menschen nicht gelingt.»

Auf eine Vollzeitstelle kommen 200 Dossiers

Die Personalabgänge bei der DAF seien zwar ausgeglichen worden. «Die Einführung neuer Mitarbeitender bringt aber vorübergehend eine noch erhöhte Belastung der verbleibenden Mitarbeitenden mit sich. Die Situation bleibt deshalb auch in den kommenden Monaten weiter herausfordernd», räumt die Regierung ein.

Da nicht alle Personalabgänge nahtlos ersetzt werden konnten, wurde vorübergehend ein Springer-Team von drei Mitarbeitenden mit insgesamt 100 Stellenprozenten eingesetzt. Die austretenden Mitarbeitenden haben diesem Team insgesamt rund 200 Dossiers übergeben.

200 Dossiers auf eine Vollzeitstelle? Wie gut kann die Betreuung da sein? Die Regierung beschwichtigt: «Bei den übergebenen Dossiers handelt es sich um Fälle, bei denen nach Einschätzung der austretenden Mitarbeitenden während den nächsten drei Monaten keine Beratungstätigkeit anstand», schreibt sie in ihrer Antwort.

SP-Kantonsrätin Pia Engler setzt bei der Betreuungsqualität dennoch ein Fragezeichen. Erst letzte Woche wurde bekannt, dass Luzerner Gemeinden per 2025 voraussichtlich für zusätzlich 940 Flüchtlinge Sozialhilfe zahlen müssen. Dies, weil es der Kanton bis dann innert zehn Jahren nicht geschafft hat, diese Menschen beruflich zu integrieren (zentralplus berichtete).

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