Zu Besuch bei einem Eigenthaler Paar

Wie es ist, wenn sich der Partner als trans outet

Pius Janda mit seiner Partnerin Andrea Gisler vor deren Blockhaus. (Bild: wia)

Pius Janda wollte sein Leben nicht mehr als Frau weiterführen. Vor vier Jahren outete er sich als Mann. Selbst für seine Frau kam die Offenbarung unerwartet. Dennoch hält das Paar zusammen.

Ein Herbstabend im Luzerner Eigenthal. Die Sonne ist hinter dem Wald verschwunden, fast zeitgleich tauchen die Rehe auf, die direkt vor der ans Naturschutzgebiet angrenzenden Häuserzeile zu äsen beginnen. Der Fuchs schleicht regelmässig um die Häuser, wünscht den Hasen, die ein Anwohner im Garten hält, eine gute Nacht. Man muss nicht Sherlock heissen, um zu wissen, weshalb die Langohren immer weniger werden.

In einem Blockhaus, das perfekt in die kanadisch anmutende Kulisse passt, leben Pius Janda und Andrea Gisler. In diesem hellen, gemütlichen Haus führt das pensionierte Paar seit einigen Jahren ein Bed & Breakfast. Die Gäste kommen gerne und immer wieder. Mal reisen sie aus Russland an, um sich eine Auszeit zu nehmen, mal aus Kriens.

«Das Outing war für Andrea ziemlich heftig, sie wusste vorgängig nämlich nichts davon.»

Pius Janda über sein Outing als Mann

Ein pensioniertes Ehepaar, das mit seiner Katze Emma im verschlafenen Dorf lebt, Übernachtungsgäste empfängt und diese morgens mit hausgemachtem Brot, Joghurt und eigens gekochter Beerenkonfitüre beglückt. Abends geniessen die beiden gern ein Glas Wein oder ein Weissbier auf der Terrasse, im Radio hören sie sich Spiele der Bundesliga an. Das klingt bodenständig, heimelig und ziemlich unspektakulär. Janda und Gisler sind jedoch alles andere als ein 08/15-Paar. «Tatsächlich ist es so, dass ich als Transmann mit einer lesbischen Frau zusammen bin», bringt es Pius Janda auf den Punkt.

Bodenständig, unspektakulär, transgender

Pius hiess bis vor wenigen Jahren Karo. «Bis es eines Tages nicht mehr ging», sagt er und blickt seine Partnerin an. Das schlechte Gewissen ist ihm anzusehen. «Vor vier Jahren waren wir mit Freunden für ein paar Tage im Schwarzwald», erklärt Janda. «Ich hob mein Bierglas, prostete allen zu und sagte, dass ich per sofort Pius genannt werden möchte. Das war für Andrea ziemlich heftig, sie wusste vorgängig nämlich nichts von diesem Outing.»

«Ich habe meine Mutter mit vier Jahren gefragt, wann ich endlich ein Junge werde.»

Pius Janda

Dass sich Pius als damalige Karo eher als Mann fühle, sei zwar nie ein Geheimnis gewesen. Janda sagt: «Ich habe meine Mutter mit vier Jahren gefragt, wann ich endlich ein Junge werde.» Seine Partnerin ergänzt: «Doch in den Jahren vor Pius’ Outing kam das Thema kaum mehr zur Sprache. Mein letzter Stand war deshalb, dass sich Karo mit ihrer Situation arrangiert hatte.»

Ein gar plötzliches Outing

Selbst für Pius kam das Outing unverhofft. «Bis zwei Minuten vorher wusste ich selbst nicht, dass ich das machen würde. Aber es musste sein. Das klingt zwar blöd, aber es fühlte sich an wie ein Pups, der vor sich hin gärt und der irgendwann einfach rausmuss», sagt er und schmunzelt.

«Mir machte die Situation Angst. Denn durch das Outing von Pius musste ich mich erneut outen.»

Andrea Gisler, Partnerin von Pius

Während im Umfeld der beiden alle mit Begeisterung reagierten, kam die unverhoffte Offenbarung für Andrea Gisler als Schock. «Ich war ja auf einer anderen Ebene als alle anderen. Mir machte die Situation Angst. Denn durch das Outing von Pius musste ich mich erneut outen. Denn plötzlich war ich, eine lesbische Frau, wieder mit einem Mann zusammen. Für Pius war es der Abschluss eines langen Prozesses, für mich aber erst der Anfang.»

Janda ist in Deutschland eine Frau und in der Schweiz ein Mann

In der Schweiz ist die offizielle Änderung des Geschlechtereintrags mittlerweile ziemlich einfach. Dies dank einer Gesetzesänderung, die anfangs 2022 in Kraft trat (zentralplus berichtete). «In Deutschland, wo ich ursprünglich herkomme, ist das viel komplizierter. Dort ist nach wie vor das sogenannte Transsexuellengesetz in Kraft. Dieses zu Recht stark kritisierte Gesetz erschwert es ungemein, sich mit einem anderen Geschlecht eintragen zu lassen. Ich bin also derzeit sowohl Schweizer als auch Deutsche», erzählt der Doppelbürger.

«Ich befinde mich quasi mitten in der Pubertät, und damit auch im Stimmbruch.»

Pius Janda

Vor zwei Jahren unterzog sich der heute 58-Jährige einer Mastektomie sowie einer Hysterektomie, liess sich also Brüste und Gebärmutter entfernen. «Besonders die Entfernung der Brüste war mir sehr wichtig.» Daneben begann er mit der Einnahme von Testosteron. Janda freut sich über die körperlichen Veränderungen, die damit einhergehen. «Auch wenn ich längst nicht den üppigen Bartwuchs erreiche, den mein Vater hatte», sagt er lachend. Auch seine Stimme wurde tiefer. «Ich befinde mich quasi mitten in der Pubertät, und damit auch im Stimmbruch.»

Ungünstig sei das bloss beim Singen. Pius Janda ist passionierter Hobbysänger und Mitglied bei zwei Chören in Schwarzenberg und Kriens. «Im Chor im Schwarzenberg sind wir nur wenige Mitglieder. Da ich derzeit stimmlich nicht mithalten kann, habe ich dort eine Pause eingelegt.»

Nach wie vor nah am Wasser gebaut

Die Frage, ob er sich weiteren Operationen zur Geschlechtsanpassung unterziehen lässt, lässt Janda bewusst offen. «Für die grosse Operation, also eine Phalloplastik, bin ich zu alt. Nicht zuletzt, weil es sich dabei um mehrere Eingriffe handelt.»

Nahe am Wasser gebaut ist Janda noch immer, trotz hormoneller Umstellung. «Wenn die Kühe mit ihren Glocken von der Alp kommen, habe ich nach wie vor Tränen in den Augen. Gott sei Dank! Auch wenn ich das Gefühl habe, dass meine Stimmung grundsätzlich etwas weniger schwankt und alles etwas dumpfer ist, seit ich Hormone nehme.» Seine Frau ergänzt: «Na ja, ab und zu merkt man es schon. Deine Stimme ist beispielsweise lauter geworden.»

«Als lesbische Frau wäre ich natürlich am liebsten mit einer Frau zusammen.»

Andrea Gisler

Veränderungen gab es auch für Andrea Gisler: «Mir war es wichtig, meinem Umfeld mitzuteilen, dass ich nun mit Pius zusammen sei und dass das dieselbe Person sei wie vorher.» Zu ihm gewandt sagt sie: «Ich wollte, dass du deinen Platz offen einnehmen kannst, so wie du als Mensch ja auch bei mir deinen Platz einnehmen kannst.»

Auch, wenn das für sie nicht immer gleich einfach zu akzeptieren ist: «Es gibt Zeiten, in denen ist alles wunderbar, und dann wiederum gibt es Zeiten, in denen ich hadere. Als lesbische Frau wäre ich natürlich am liebsten mit einer Frau zusammen.»

Eine Herausforderung für das liebevolle Paar

Viele Gespräche hat das Paar miteinander geführt, Unsicherheiten und Ängste werden offen thematisiert. Die Nähe, die das Paar während seiner 15-jährigen Beziehung aufgebaut hat, ist offenkundig: «Trotzdem wusste ich nach Pius’ Outing nicht, ob ich mit all diesen Veränderungen klarkommen würde.» Er ergänzt: «Und das wiederum war meine grösste Angst: dass mich Andrea deswegen verlassen könnte.»

Abgelegene Gegenden wie das Luzerner Eigenthal stehen nicht im Ruf, besonders weltoffen zu sein. Es handle sich jedoch um ein Vorurteil, das überhaupt nicht zutreffe, sagt Pius Janda. «Wir haben es gut hier und wurden von Anfang an sehr gut akzeptiert.» Das Paar ist bestens integriert. Janda engagiert sich beim Verein Pro Eigenthal und sorgt etwa an sonnigen, schneereichen Wintertagen für Ordnung auf dem Parkplatz.

«Ich habe mich überall offen als Mann geoutet, und nirgends habe ich negative Rückmeldungen erhalten. Was hinter meinem Rücken passiert, weiss ich natürlich nicht, aber das ist mir auch egal.» Lachend ergänzt er: «Dass ich Deutscher bin, scheint die Leute stärker zu beschäftigen. Darüber macht man sich gerne lustig.» Kümmern tuts Pius Janda nicht.

Verwendete Quellen
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