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Wie die Tiefsteuerpolitik begann

So wurde Zug vor 100 Jahren zum Steuerparadies

Zugs Verwaltungsgebäude und Bank für Handel und Industrie um 1916. (Bild: Bibliothek Zug)

Zug trat Anfang der 1920er-Jahren mit der Privilegierung von Briefkastenfirmen in den Steuerwettbewerb ein. Vorerst ein Misserfolg, denn es gelangte kaum neues Kapital in den Zentralschweizer Kanton. Erst ein neues neues Gesetz legte etwas später den Grundstein zu damals ungeahntem Reichtum. Das Volk debattierte jedoch lieber über Viehbestand.

Kaum Debatten im Kantonsrat, spärlich Resonanz in den Lokalzeitungen, nur sehr wenige Diskussion in der Kommission: Das erste Steuerprivileg für Holdinggesellschaften (Volksmund: «Briefkastenfirmen») der Zuger Geschichte hielt nahezu geräuschlos Einzug in die kantonale Gesetzgebung.

Über die Installierung eines Steuerprivilegs für Holdings – deren Zweck damals wie heute nicht in der Produktion von Waren, sondern in der Optimierung von Unternehmenskapital besteht – stimmten die Zuger Stimmbürger im Winter 1922 im Rahmen einer Steuergesetzrevision ab. Nicht das Holdingprivileg, sondern die erstmalige Besteuerung des Viehbestands sorgte im Vorfeld für Diskussionen in der Bevölkerung.

Hoffnung in Zeiten der Wirtschaftskrise

So paradox es klingen mag: Mit der Installierung des Holdingprivilegs beabsichtigte die Zuger Regierung, die Staatseinnahmen zu erhöhen. Steigende Staatseinnahmen sollten in Zeiten der Wirtschaftskrise samt grassierender Arbeitslosigkeit, die den Kanton in den frühen 1920er-Jahren mit voller Wucht traf, den sozialpolitischen Handlungsspielraum erweitern und damit präventiv wirken.

Das Weibeln der Regierung für das neue Gesetz war ein Erfolg: Die Stimmbevölkerung nahm die Steuergesetzrevision im Januar 1922 an der Urne deutlich an. Einzig in bäuerlich geprägten Gemeinden wie Menzingen oder Risch wurde die Vorlage verworfen.

Ein Misserfolg in der Praxis

Der Kanton Zug trat damit verspätet in den Schweizer Steuerwettbewerb ein. In Glarus und St. Gallen gewährte man der Textilindustrie schon seit 1903 Steuerprivilegien, auch in Zürich und Schaffhausen waren bereits Gesetze zu Holdinggesellschaften installiert.

Eine Erfolgsgeschichte war der erste Versuch des Steuerdumpings aus der Sicht des Zuger Fiskus nicht, es liessen sich kaum neue Gesellschaften im Kanton nieder. Stattdessen erpressten einheimische Unternehmen wie die Metallwarenfabrik AG oder die Landis & Gyr AG die Behörden («Entweder gewährt ihr uns Steuererleichterungen – oder wir wandeln uns in Holdings um»).

Eine Revision unter Zugzwang

Der Zuger Regierungsrat reflektierte das Scheitern und begann schon kurz nach Inkrafttreten der Steuerrevision mit der Arbeit an einem neuen Holdinggesetz. Dieser Handlungseifer kam nicht überraschend, der Kanton stand unter Zugzwang: Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg markiert den Take-off des Schweizer Finanzplatzes.

Aufgrund der angespannten Lage in vielen Ländern Europas floss das Kapital zunehmend in den neutralen und von Kriegsverwüstungen verschonten Kleinstaat. Der Steuerwettbewerb nahm Fahrt auf, 1928 lockten bereits 16 Kantone das Kapital mit Privilegien.

Bedenken und kritische Stimmen

Bei der Gesetzarbeit rund um das Holdingprivileg im Kantonsrat und deren Begleitung durch die Lokalzeitungen zeigte sich ein ähnliches Bild wie Jahre zuvor: Leidenschaftlich debattiert wurde nicht, die Gesetzesparagrafen stiessen grosso modo auf Desinteresse. Nur vereinzelt meldeten sich kritische Stimmen.

Philipp Etter, der damalige katholisch-konservative Regierungsrat und spätere Bundesrat, befürchtete, dass mit dem Gesetz Firmen angelockt würden, die dem Kanton «mehr Sorge als Freude» bereiten könnten. Der sozialdemokratische Kantonsrat Fritz Fischer wiederum liess verlauten, dass die «organisierte Steuerflucht» mit dem Gesetz angekurbelt werde und Zug «das Judengeschäft anderer Kantone nicht mitmachen» solle. Dieser antisemitische Ausfall Fischers blieb folgenlos, das Steuergesetz trat 1930 in Kraft.

Direkt abstimmen über das neue Gesetz – welches Holdings von der Gewinnsteuer befreite – konnten die Zuger nicht. Die Referendumsfrist verstrich ungenutzt. Das Gesetz entfaltete alsbald seine Wirkung, das Kapital begann zu fliessen.

Zwei Männer, eine Strategie

Ungestört von der Öffentlichkeit war es ein gegensätzliches Duo der Finanzexpertise, welches das Zuger Gesetz entscheidend prägte: Der grossbürgerlich-mondäne Zürcher Wirtschaftsanwalt Eugen Keller-Huguenin und der Zeit seines Lebens im Ägerital verwurzelte Regierungsrat Otto Henggeler.

Keller-Huguenin eröffnete nach Aufenthalten in London, Leipzig und Paris um die Jahrhundertwende eine Wirtschaftskanzlei an der Zürcher Bahnhofstrasse. Die Kanzlei, deren Klientel mitunter im Zürcher Nobelhotel Baur au lac empfangen wurde, etablierte sich schnell als Knotenpunkt der nationalen und internationalen Wirtschaftswelt: Keller-Huguenin sass zeitweise in 22 Verwaltungsräten und war ab 1910 für die formelle Verwaltung einer Plantagengesellschaft verantwortlich, die auf der niederländischen Kolonie Sumatra Kaffee, Tabak und Gambir anbaute.

Bestens vernetzt und direkt verbunden mit den Profiteuren, drängte Keller-Huguenin die Zuger Regierung in persönlichen Treffen und Briefen immer wieder zu Anpassungen in der Steuergesetzgebung und stellte dabei die Ansiedlung von kapitalkräftigen Unternehmen in Aussicht.

In der Grauzone

Hauptadressat von Keller-Huguenins Bemühungen war Regierungsrat Otto Henggeler. Henggeler stand neuartigen Steuergesetzen als Wirtschaftsliberaler und ehemaliger Bankdirektor aufgeschlossen gegenüber. Als Vorsteher des Finanzdepartements trieb er die unternehmensfreundliche Steuerpolitik in der kantonalen Exekutive und Legislative über Jahrzehnte voran.

Henggeler war es auch, den Keller-Huguenin 1922 mit einem buchhalterischen Kniff von einer verfrühten steuerlichen Sonderbehandlung seiner Klientel überzeugen konnte.

Zugs Standortvorteile

Der direkte Draht zur Regierung war ganz nach dem Gusto von Keller-Huguenin. Sein Sturm und Drang von Zürich nach Zug begründete er in einem Brief an Henggeler damit, dass in Zug das «über den Parteien stehende wirtschaftliche Solidaritätsgefühl» noch viel stärker sei als im «sozial entzweiten» Zürich. Das Fehlen eines obligatorischen Referendums erachtete er als Zuger Standortvorteil im Steuerwettbewerb. Eine öffentliche Politisierung der Steuerthematik wollte Keller-Huguenin also vermeiden.  

Wie die Geschichte der ersten Steuerprivilegien des Kantons Zug zeigt, war Keller-Huguenin auch in dieser Hinsicht erfolgreich. 

Verwendete Quellen
  • Michael van Orsouw: Das vermeintliche Paradies. Zürich 1995
  • Jakob Tanner: Geschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert. München 2015
  • Eugen Keller-Huguenin: Erinnerungen und Aufzeichnungen aus meinem Leben. Zürich 1944.
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Ob Hintergründe zu alten Gebäuden, Geschichten zu Plätzen, stadtbekannte Personen, bedeutende Ereignisse oder der Wandel von Stadtteilen – im «Damals»-Blog werden historische Veränderungen und Gegebenheiten thematisiert.
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