Datenschutz oder Sicherheit?

Überwachung: Luzerner Polizei will mehr Freiheiten

Ein automatisches Überwachungssystem soll es der Luzerner Polizei ermöglichen, die Strassen nach Autos mit bestimmten Kennzeichen zu scannen. (Bild: Adobe Stock)

Die Luzerner Regierung will der Polizei mehr Möglichkeiten zur Überwachung und Fahndung geben – und dazu das Polizeigesetz anpassen. Die Parteien sind mehrheitlich dafür. Was hältst du davon?

In China überwachen Millionen von Kameras den öffentlichen Raum. Fällt jemand negativ auf, ist er innerhalb von sieben Minuten gefasst. Das hat 2018 ein BBC-Journalist eindrücklich demonstriert.

In jedem Bezirk gibt es eine Überwachungszentrale, die automatisch Alarm schlägt, wenn sich jemand nicht an die Regeln hält. Mithilfe von Algorithmen werden die gefilmten Inhalte verarbeitet. So erkennt das System sogar, wenn auf einer Baustelle ein Bauarbeiter keinen Helm trägt, wie die ARD kürzlich berichtete.

Die Bildschirme in den Überwachungszentralen zeigen Karten, auf denen alle Informationen gesammelt sind, die für die Beurteilung der Sicherheitssituation relevant sein könnten. Es ist die totale Überwachung.

Immer mehr Unschuldige gelten als «gefährlich»

Wie sieht das in der Schweiz aus? Klar ist: Von einer derart detaillierten Überwachung sind wir noch weit entfernt. Doch auch hier hat sich die Arbeit der Polizei in den letzten Jahren stark verändert. Der Fokus wechselt von der Verbrechensbekämpfung zur Prävention. «Bedrohungsmanagement» lautet das Stichwort.

Angetrieben wird diese Entwicklung gemäss einer Studie der Uni St. Gallen von digitalen Tools (zentralplus berichtete). Sie sollen Verbrechen vorhersagen, bevor sie passieren. Das Resultat: Immer mehr unschuldige Menschen landen auf dem Radar der Behörden.

Die Grafik zeigt die Anzahl der Personen, welche die Luzerner Polizei als Gefährder einstuft.

Schwerer Eingriff in die Grundrechte – also braucht es ein neues Gesetz

Jetzt will die Luzerner Regierung die rechtlichen Grundlagen schaffen, damit die erwähnten Tools noch besser eingesetzt werden können. Konkret soll die Luzerner Polizei ein automatisches Fahrzeugfahndungs- und Verkehrsüberwachungssystem (AFV) einsetzen können (zentralplus berichtete).

Fahndet die Polizei nach einem Fahrzeug – und dieses fährt an einer der Kameras vorbei – wird der Standort automatisch der Einsatzleitzentrale gemeldet. Die Aufnahmen sind so hoch aufgelöst, dass das Gesicht der Fahrerin erkennbar ist.

Das Bundesgericht hat dies als «schweren» Eingriff in die Grundrechte bezeichnet. Ein solcher ist zwar möglich. Aber nur wenn es dafür eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage gibt, die definiert, wo die Grenzen sind. Und diese will die Luzerner Regierung nun schaffen.

Konkret soll das System beispielweise nur bei schweren Straftaten zum Einsatz kommen dürfen. Also nicht, wenn du einfach nur ein bisschen zu rassig unterwegs bist auf der Autobahn. Ausserdem will der Kanton öffentlich bekannt geben, wo sich die stationären Geräte befinden.

Überwachung: Luzerner Polizei soll Straftaten verhindern statt ahnden

Die zweite grosse Neuerung sind Tools, die anhand von Informationen zu Tatort, Tathergang und Tatwerkzeug Muster erkennen – und so dazu beitragen, dass Deliktserien entdeckt werden. Dieses kantonsübergreifende System wird künftig mit allerhand Personendaten gefüttert, beispielsweise zu Verdächtigen. Zum Einsatz kommt es beispielsweise bei Einbrüchen oder Sexualdelikten im öffentlichen Raum.

Heikler Punkt: Um Verbrechen zu verhindern, werden teils auch Daten von kleinen Delikten in das Analysesystem eingetragen. So könnte beispielsweise eine Tätlichkeit wie eine Ohrfeige oder eine sexuelle Belästigung dazu führen, dass jemand in der Datenbank landet. «In der Praxis führen denn auch regelmässig erst Hinweise zu Übertretungen zu Tätergruppierungen, die serienmässig Verbrechen und Vergehen begehen», begründet dies die Regierung.

Prognosen von Tools, die kaum evaluiert werden

Die Systeme berechnen auch, wo die Wahrscheinlichkeit für das Vorkommen von Straftaten in Zukunft am höchsten ist. «Somit können präventive und repressive Massnahmen gezielt eingesetzt werden», so die Hoffnung der Luzerner Regierung.

Weiter können mit den Tools Lagebilder erstellt werden, die kürzlich begangene Delikte, Umwelteinflüsse, Verkehrsprobleme und die verfügbaren Ressourcen auf einer Karte darstellen. «Sie ermöglichen auch eine Prognose für die Entwicklung dieser Umstände in nächster Zukunft», so die Regierung.

Nicht erwähnt wird, dass die Tools die Gefahren systematisch überschätzen, wie die «Republik» vor einiger Zeit ans Licht brachte. Zudem ist oft nicht klar, auf welchen Annahmen und Fakten die Prognosen basieren.

SVP wehrt sich gegen den Generalverdacht

In der Vernehmlassung hat sich gezeigt, dass die meisten Parteien die Änderungen am Polizeigesetz dennoch gutheissen. Ausnahme: Die Grünen lehnen den Einsatz der automatisierten Fahndungssysteme ab, weil diese in die Persönlichkeitsrechte eingreifen.

Die SVP wiederum hat Vorbehalte gegenüber den Analysesystemen. Es müsse verhindert werden, dass alle Personen unter Generalverdacht gestellt würden, schrieb sie in der Vernehmlassung. Deshalb müsse klarer definitiert werden, was als Seriendelikt gelte. Also in welchen Fällen die Tools zum Einsatz kommen. Die Regierung lehnt dies ab, weil es die Arbeit der Polizei zu sehr einschränke.

Als Nächstes kommt die Botschaft der Regierung in den Kantonsrat, der über die Änderungen im Polizeigesetz debattieren wird. Die SP kündigte bereits in einer Medienmitteilung an, sich in der Beratung «vehement für eine sichere und angemessene Datenverwendung» einzusetzen.

Verwendete Quellen
  • Studie: Smart Criminal Justice
  • BBC-Bericht: In Your Face: China’s all-seeing state
  • Artikel Republik: Die Polizei weiss, was Sie morgen vielleicht tun werden
  • Leitentscheid Bundesgericht
  • Botschaft zur Änderung des Polizeigesetzes der Luzerner Regierung
  • Medienmitteilung SP
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