Radikal waren sie schon vor der russischen Revolution

Legendäre Anfänge: Stadtluzerner Juso hofft auf Auftrieb

Wohn-Demo der JUSO im Jahr 1981 in der Stadt Luzern. (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

125 Jahre alt werden die Jungsozialist*innen der Stadt Luzern in diesem Jahr. Das ist für eine Jungpartei Rekord und darauf ist man mächtig stolz. Doch auf ihrer Geschichte sollten sich die Jusos besser nicht ausruhen.

Die Mitglieder der Juso der Stadt Luzern sind Teenager oder Anfang zwanzig, aber ihre Partei uralt: Bereits 1894 schlossen sich in Luzern einige «Jungsozialisten» zusammen, während in Basel und Zürich versuchte Parteigründungen junger Linker aus Mitgliedermangel vorerst scheiterten.

Und weil die Initiativen Junger Freisinniger, Junger Radikaler oder Junger Liberaler, die es anderswo in der Schweiz zuvor schon gegeben hatte, keine historische Kontinuität aufwiesen, kann die Stadtluzerner Juso mit einigem Recht annehmen, die älteste Jungpartei der Schweiz zu sein.

Stadtpräsident kommt zum Talk

«Wir sind zumindest stolz, die älteste Juso-Sektion zu sein», sagt Elias Balmer (20). Der Zivildienstleistende ist seit diesem Frühling Präsident und freut sich auf die Jubiläumsparty am Samstag im Treibhaus. Dabei werden die Geschichte zelebriert, Musik gehört und der Stapi Beat Züsli (SP) kommt zum Talk vorbei.

«Die Jusos regen die Gesellschaft an, sich über Vorschläge Gedanken zu machen, die häufig noch nicht mehrheitsfähig sind.»

Beat Züsli (SP), Luzerner Stadtpräsident

«Für mich sind die Juso Luzern eine wichtige politische Gruppierung, die es immer wieder schafft, zentrale Fragen zu thematisieren», sagt Züsli, der selber nie bei den Jusos war. Damit regten sie die SP, «aber auch die Gesellschaft an, sich über Vorschläge und Forderungen Gedanken zu machen, die häufig nicht oder noch nicht mehrheitsfähig sind».

Diskussion zu Stadtthemen

Züsli hätte eigentlich Grund, den Jusos gram zu sein. Denn bei der Nominationsversammlung der SP für die Stadtratswahlen 2015 unterstützten sie am 5. Dezember 2014 Züslis Widersacher, den Gewerkschafter Giorgio Pardini, als Kandidaten für den Stadtrat und das Stadtpräsidium. Züsli konnte sich damals erst im dritten Wahlgang durchsetzen, als sich der dritte Bewerber, Daniel Furrer, zu seinen Gunsten zurückzog.

Dennoch scheint der Luzerner Stapi nicht nachtragend zu sein. Er selber sei an den Ideen der Juso interessiert, sagt er. «Ich habe zum Beispiel im November auch an ihrer Nominationsversammlung für die städtischen Wahlen 2020 teilgenommen und dabei mit ihnen eine spannende Diskussion zu den Stadtthemen geführt.»

Eigene Ideen verfolgen

Die Juso spielen eine Doppelrolle. Zum einen sind sie eine eigenständige Organisation. Die Mitgliedschaft in der Juso bedeutet nicht automatisch, dass man auch bei der Mutterpartei SP mittut. Auf der anderen Seite ist es das erklärte Ziel der Juso, auch die Politik der SP ideell zu beeinflussen.

Nach ihrem bisher grösster Erfolg: Luzerner Juso jubeln 2017 über die Annahme der Inseli-Initiative. (Bild: zvg)

Nicht nur jung zu sein, sondern auch ideologisch erneuernd zu wirken, dieses Ziel teilten die Jusos in historischer Zeit mit den Jungfreisinnigen und Jungliberalen. In jüngerer Vergangenheit kommen die Jungen Grünen ihnen damit am nächsten. Im Gegensatz dazu dienen andere Gruppierungen, wie etwa die Junge CVP, traditionell eher dazu, den personellen Nachwuchs für die Mutterpartei zu rekrutieren und heranzubilden.

Als die Jusos kommunistisch wurden

Die eigenständige Rolle der Juso hat der Mutterpartei SP in den Anfangszeiten auf nationaler Ebene gewaltiges Kopfzerbrechen bereitet. Als 1919 nämlich die Kommunistische Internationale (Komintern) gegründet wurde, kehrten sich die schweizerischen Jusos von der SP ab und schlossen sich sofort der Komintern an – noch bevor es überhaupt eine Kommunistische Partei gab. Der Neuaufbau einer sozialdemokratischen Jugend-Dachorganisation nahm danach mehrere Jahre in Anspruch.

Das ständige Hin- und Hergerissensein zwischen einem reformistisch-sozialdemokratischen Kurs und radikalen sozialistischen Forderungen lässt sich bei der Juso auch später noch nachverfolgen. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor sie – wie andere Jungparteien auch – an Bedeutung.

Namenswechsel löst Unbehagen aus

Erst die 68er-Bewegung brachte neue Parteien, aber mit den aufkommenden schrilleren politischen Tönen auch die Jungparteien zurück aufs Tapet. Die Schweizer Jungsozialisten wurden 1971 als eigene Organisation neu gegründet. 

Die Luzerner Sektion firmierte damals als «Vereinigung junger Sozialdemokraten». Als sie sich Anfang der 1970er-Jahre ebenfalls in Jungsozialisten umbenannte, löste dies bei Teilen der Luzerner SP ausgesprochenes Missfallen aus.

Der Journalist und einstige Juso Herbert Fischer erinnert sich an die Debatte über den Etikettenwechsel: «Der damalige SP-Kantonalpräsident und Regierungsrat Anton Muheim erzürnte sich: ‹Wir sind Sozialdemokraten, nicht Sozialisten›. Wir entgegneten: ‹Und wir sind eine eigene Organisation und nicht deine Kinder.›»

Mehrere Jahre in Topform

Ansonsten verlief ihre Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten wie jene anderer Jungparteien – schubweise und inkonstant. Was wohl auch der begrenzten Verweildauer der Mitglieder in diesen Organisationen geschuldet ist. Und den starken Veränderungen, denen junge Menschen durch Ausbildung und Lebenserfahrungen unterworfen sind.

Die Juso lanciert den Wahlkampf mit Skandar Khan (Stadtratskandidat, oben) und Anna Gallati (Spitzenkandidatin Stadtparlament). (Bild: zvg)

Bis etwa 2017 befand sich die Stadtluzerner Juso während mehrerer Jahre in einem Allzeithoch. Im Grossen Stadtrat hält die Juso bereits seit drei Legislaturen einen Sitz. Mit Hasan Candan war es den Juso 2011 sogar gelungen, in den Kantonsrat einzuziehen.

Ziel: Im Stadtparlament zu bleiben

Candan ist immer noch Kantonsrat, aber weil er 2015 für die SP antrat, ist dieser Sitz der Jusos verloren gegangen. Bei den Wahlen ins Stadtparlament 2020 tritt der bisherige Juso-Vertreter Yannick Gauch für die SP an. Dennoch könnte die Jungpartei ihren Sitz mit der Kandidatin Anna Gallati auch bei den kommenden Kommunalwahlen verteidigen.

Eine eigene Kandidatur für die Stadtregierung in Person von Skandar Khan täuscht indes nicht darüber hinweg, dass die Juso seit einigen Jahren schwächelt. Im Vorstand gibt es eine grosse Fluktuation, die Zahl der Präsidenten, welche sich bei der Juso in jüngerer Vergangenheit die Klinke in die Hand drückten, ist beachtlich.

Zeit für neue Impulse

Der bisher grösste politische Erfolg datiert aus dem Jahr 2017, als die Stadtluzerner die Inseli-Initiative der Juso annahm. Ein ähnlicher Impetus wird seither gesucht. Vielleicht kann die Beschwörung der gloriosen Vergangenheit einen solchen auslösen?

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Analyst
    Analyst, 07.12.2019, 19:00 Uhr

    Die Juso wird den Sitz im Stadtparlament verlieren. Bei den Kantonsratswahlen fiel der Wähleranteil unter 2%. Bei 48 Sitzen bedeutet dies keinen Sitz mehr. Dafür könnten die Jungen Grünen jubeln.

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