Pssst! … Nichts anfassen!

Wirklich willkommen im Museum?

Still sein und nichts anfassen. Das scheint die Devise im Museum. (Bild: Kunstmuseum Luzern/ Izzy Park unsplash – Montage: jav)

Im Kunstmuseum Luzern knallen derzeit die Farben, die Bilder von David Hockney sind spielerisch und fröhlich. Die Atmosphäre jedoch erinnert an eine Mischung aus hochoffiziellem Empfang und Trauerfeier. Und Kinder scheinen nicht unbedingt gern gesehen.

Der Künstler David Hockney raucht leidenschaftlich gerne, kifft auch mal gelegentlich. Beim Malen sitzt er oft draussen oder auch im Auto, das Essen steht mal neben der Staffelei. Ein exzentrischer, farbenfroher Typ.

Auch seine Bilder, vom intimen und so sensiblen Porträt seine Eltern über grossformatige Landschaften bis zu farbenfrohen Stillleben, zeugen von Experimentierlust und Offenheit. Und dann steht man vor seinen Bildern in einem sterilen, weissen Raum, Stille herrscht. Selbst in einer katholischen Kirche ist die Stimmung lockerer. Es ist so ruhig, man hat Angst, der eigene Bauch könnte ein Grummeln von sich geben. Turnschuhe rollen leise auf dem grauen Boden ab, kaum hörbar flüstern zwei Frauen. Da, nach Minuten trifft man auf ein amerikanisches Touristenpaar, das sich erdreistet, in einer beinahe normalen Lautstärke zu sprechen.

Mobiliar und Personal im Fokus

Grosse, kahle Räume, auf deren Böden sich lediglich Markierungen finden für den Abstand, den man von den Bildern einhalten soll. Und im grössten Raum zwei schmale Bänke in der Mitte. Dort in der Ecke stehen zwei Aufseherinnen mit poppigen Halstüchern und unterhalten sich hinter vorgehaltener Hand – bis sich die eine, gemessenen Schrittes, wieder in den letzten Raum zurückzieht.

Auf drei Bildschirmen lassen sich in der Ausstellung die neusten iPad-Malereien Hockneys im Entstehen beobachten. Ein idealer Ort eigentlich, um sich in einen Sessel oder auf ein Kissen zu fläzen, sich in der Kunst und dem Setzen der einzelnen Striche zu verlieren. Aber nichts da.

Auf den Bildern sitzt man. Vor ihnen tritt man zurück – hinter die weisse Linie. (Bild: jav)

Es wirkt so, als hätte das Museum nicht wirklich Interesse daran, dass die Leute sich wohlfühlen und verweilen oder sich sogar unterhalten.

Zugegeben, dass man bei einem Besuch des Kunstmuseums derart auf die Stimmung und das Personal achtet – anstatt auf die Kunst – hat einen Grund. Und dieser Grund liegt in den Berichten mehrerer Familien gegenüber von zentralplus, die im Luzerner Kunstmuseum in der aktuellen Sonderausstellung wenig erfreuliche Erlebnisse hatten.

«Wir waren mit Kind offenbar nicht erwünscht.»

Eine Mutter nach dem Besuch im Kunstmuseum Luzern

Es sei besser, wenn man den Wagen draussen lasse, wurde der Mutter eines bald zweijährigen Kindes gesagt. Drinnen jedoch wies man sie mehrfach daraufhin, sie müsse das Kind an der Hand halten. Als das Kind eine Wand berührte – weit entfernt von einem Bild – habe die Aufsichtsperson sie recht harsch zurechtgewiesen. Die Wand dürfe nicht angefasst werden. Nicht berührt. Die Wände dürfen nicht berührt werden!

Sie seien darauf hingewiesen worden, man könne mit dem Kind doch in den Malraum gehen, der sich am anderen Ende des Museums befinde. «Aber malen können wir auch zu Hause. Wir wollten uns als Familie die Ausstellung ansehen», so die Luzernerin. Sie hätten ihren Besuch deshalb nach wenigen Räumen abgebrochen und das Geld zurückverlangt. «Wir waren mit Kind offenbar nicht erwünscht und konnten uns die Ausstellung deshalb nicht anschauen», sagt die Mutter.

Unterschiedliche Wahrnehmung?

Auch bei einer anderen Familie hiess es, man sehe Kinderwagen nicht gerne im Museum – obwohl es sich bloss um einen kleinen Reise-Buggy handelte. «Die Aufseherinnen schauten dann auch ständig kritisch.» Jedes Sprechen mit dem Kind, jedes Tapsen sei beäugt worden.

Man habe sie auch mehrfach darauf hingewiesen, dass sie auf ihr Kind achten solle und dass Kinder schnell seien. Dass sie selbst den Radius ihre Kindes einschätzen könne und das Kind keine Kunst anfassen lasse, sei ihr offenbar nicht zugetraut worden. Sie habe das Fazit gezogen: «Kinder sind nicht unbedingt erwünscht.» Oder wenn, dann vielleicht bei den Familienführungen oder im Kinderclub, die alle paar Monate stattfinden.

Im Kunstmuseum geht man von einem Missverständnis aus. Eveline Suter, Kommunikationsverantwortliche, betont, dass es auf keinen Fall das Ziel sei, Familien ein schlechtes Gefühl zu geben. Kinder seien sehr willkommen. «Doch die Perspektiven von Eltern und Aufsichtspersonen unterscheiden sich wahrscheinlich auch.» Man habe jedoch bereits über die Feedbacks der Familien gesprochen und werde es auch im Team nochmals aufgreifen.

«Es ist eine Gratwanderung zwischen Willkommenskultur und dem Schutz der Werke.»

Eveline Suter, Kommunikationsverantwortliche des Kunstmuseums Luzern

Dass es durch Einrichtung und Stille steril und ungemütlich wirke im Haus, habe sie persönlich nicht das Gefühl, so Suter. «Aber es ist tatsächlich eine Gratwanderung, dass eine Ausstellung einfach zugänglich wirkt und trotzdem die teilweise extrem strengen Vorgaben im internationalen Kunst-Leihverkehr einhält. Eine Gratwanderung zwischen Willkommenskultur – der man gerne uneingeschränkt frönen würde – und dem Schutz der Werke», sagt Suter.

Es waren die 1990er-Jahre

Zudem sei die Architektur des Kunstmuseums von Jean Nouvel – typisch für die 1990er-Jahre – in der Tradition des White Cube angelegt. Gross, hell, viel Weiss, kein Schnickschnack. «Das bietet viele Möglichkeiten, kann aber für Leute auch ein Gefühl von Verlorenheit ausstrahlen.» In neueren Museen sei man davon wieder etwas abgerückt und versuche beispielsweise mit Holzböden, Nischen oder Sitzmöglichkeiten etwas mehr Wärme und Atmosphäre zu schaffen.

Dass man froh sei, wenn die Wände nicht angefasst würden, sei tatsächlich so – besonders die Wände, die zur Hockney-Ausstellung violett gemalt wurden, seien heikel.

Antworten, die einerseits verständlich sind, andererseits weitere Fragen aufwerfen. Weshalb man in einem öffentlichen Raum die Wände mit Farben streicht, die so empfindlich sind, beispielsweise.

Oder ob man sich von Fantasie-Preisen auf dem wahnsinnig gewordenen Kunstmarkt den Umgang mit Kunst und miteinander diktieren lassen will. Natürlich schaffen Millionen eine übertriebene Distanz und Ehrfurcht vor einem Bild, das man ganz anders betrachten würde, hätte man es im Studio neben Essen stehen sehen.

Bei den Bildern keine Frage. Bei den Wänden etwas ungewöhnlich. (Bild: jav)

Weshalb man nicht trotzdem mehr Sitzmöglichkeiten bietet – was ältere und gehbehinderte Menschen bestimmt schätzen würden. Oder wer entschieden hat, dass man in einem Museum nicht in normaler Lautstärke sprechen darf.

Park-Gefühle im Kunstmuseum

Die Leiterin des Hauses Fanny Fetzer lässt sich gerne zitieren (auch bei zentralplus), dass sich das Kunstmuseum Luzern als offenes Haus verstehe. Es solle sein wie ein Park.

Das Museum von heute soll ein lebendiger, gemeinschaftlicher und wandelbarer Ort sein. «Ein Ort der Multifunktionalität, Multikulturalität und des Miteinanders», schrieb die Architektin Barbara Holzer in einem Essay. Soweit das Ideal.

Inwiefern jedoch eine Ausstellung mit der Grundhaltung «Flüstern» und Personal in jedem Raum dies erfüllt, ist fraglich. Eher scheint es, man könne jeden Moment einen Fehltritt machen und dafür öffentlich getadelt werden.

Bitte nicht anlehnen und akustisch nicht stören

Nimmt man sich die Anleitung des Kunstmuseums Luzern für den Museumsbesuch vor, werden da einige Punkte genannt, die das «Park-Gefühl» keinesfalls stützen. Ein Sicherheitsabstand von mindestens einem Meter muss zu den Kunstwerken eingehalten werden – während es in anderen Museen meist die Hälfte ist. Grosse elektrische Mobilitätshilfen seien für die Ausstellungsräume ungeeignet, das Gleiche gelte für grosse Kinderwagen. Und das in diesen riesigen Räumen – ohne Mobiliar oder Teppiche.

«Bitte lehnen Sie sich nicht an die Wände», heisst es da. Und Trinken ist weder im Museum noch im Empfangsbereich erlaubt. Menschen, die anderen etwas erklären, würden toleriert, «solange die übrigen Museumsbesucher insbesondere akustisch nicht gestört werden.»

Doch fühlen sich die Leute im Kunstmuseum von anderen Menschen und deren Geräuschen tatsächlich gestört? Braucht die Rezeption von Kunst in öffentlichen Räumen Stille und verfälschen Sitzmöbel derart die Wirkung der Kunst?

So viele Sitzmöglichkeiten auf dem Bild. Kein Sessel für die Betrachterin. Dabei würde der doch perfekt passen. (Bild: jav)

«Museen sind als öffentliche Häuser ein sperriger Ort», sagte der Schwyzer Künstler Ugo Rondinone in einem Interview mit der «Süddeutschen Zeitung». Die Künstlerin Natalie Jeremijenko nannte es «das rituelle Schweigen».

Akademische Stille

Wie man sich in Museen verhält, was als angemessen gilt, ist kulturell geprägt. Genauso wie im Theater. Während man das Theater-Publikum in der Schweiz durch die Aufforderung zum Mitmachen nachhaltig in Schockstarre versetzen kann, mischen sich in den Kleintheatern Kanadas Zuschauer gerne auch mal proaktiv ins Bühnengeschehen ein. So ist auch das Verhalten im Luzerner Kunstmuseum definitiv steifer als es in anderen europäischen Städten erlebbar ist.

Im Museum staunen wir. Lassen uns inspirieren. Lassen die Werke auf uns wirken. Doch das muss nicht in Denkerpose und akademischer Stille passieren. Sich Kunst anzuschauen kann einfach Spass machen. Zum Denken anregen. Zum Austauschen. Man könnte Leuten, die Ruhe dafür brauchen auch einfach einen Gehörschutz mitgeben – oder Ruhezeiten bestimmen.

Denn wahrscheinlich haben sich kaum je Künstler gedacht: «Hoffentlich treten die Leute vor meinem Bild mal in leeren Räumen still von einem müden Bein aufs andere.»


Verwendete Quellen
  • Persönliche Gespräche mit Museumsbesucherinnen
  • Telefonisches Gespräch mit Eveline Suter
  • Recherche zu David Hockney
  • Website des Kunstmuseums Luzern
  • Recherche zu Konsumästhetik

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