1503. Vorlesung des Schweizer Bestsellerautors

Peter Stamm offenbart in Zug seine Social-Media-Vorlieben

Hält zum Glück gerne Lesungen: Bestseller-Autor Peter Stamm.

(Bild: hae)

Vor 20 Jahren hatte Peter Stamm mit «Agnes» sein Debüt. Jetzt ist der «Schweizer Hemingway» mit seinem siebten Buch auf Tour und war in der Zuger Bibliothek hautnah zu erleben. Ist der Profi-Vorleser aber auch eine Rampensau?

«Ich bin kein Intellektueller.» So weit, so sympathisch. Mit diesem Satz lancierte der Winterthurer Peter Stamm (55) einst einen Streit um die Funktion der Literaten im Lande.

Das Problem der gegenwärtigen Literatur, so Stamm, sei nicht das fehlende politische Engagement der Schriftsteller, sondern die Tatsache, dass die erfolgreichsten Autoren sich oft mehr um ihre Position in der Öffentlichkeit kümmerten als um ihr literarisches Werk. Jonas Lüscher, seit seinem Silicon-Valley-Abgesang «Kraft» wichtigste Stimme im Land, hielt dagegen.

Tja, die Selfie-Zeiten: Facebook, Twitter und Co. sind des Teufels! Alle sitzen unpolitisch vor den kleinen Kästchen und nehmen virtuelle Freunde wahr, während das Leben ungeachtet vorbeirauscht. Gegen solche Weltenflucht helfen nur Live-Anlässe: Konzerte, Besäufnisse – oder eben Lesungen.

Schweizer Meister der Lesungen

Peter Stamm aus dem Thurgau ist so was wie der Schweizer Meister der Lesungen. Mehr als 1’500 Mal hat Stamm schon aus seinen Geschichten gelesen, und nicht ungern wie so viele andere introvertierte Autoren. Er sagt: «Ich halte zum Glück gern Lesungen. Ich bin zwar keine Rampensau, aber eine Lesung ist nicht das Gleiche, wie auf einer Bühne zu stehen. Weil dabei der Text im Zentrum steht.»

Und seine Texte, die sind erste Sahne: Die Menschen bleiben sich darin gegenseitig Rätsel, es geht meist um die Unmöglichkeit der Liebe, um Trennungen. Stamms Helden sind Einsame, es herrscht Melancholie, und der Nebel verdrängt da meist die Sonne. Auch in seinem neusten Roman mit dem Titel «Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt». Es ist eine Welt der Erinnerungen, der Doppelgänger und wie sich darin Geschichte wiederholt.

«Das Scheitern ist spannender als das Gelingen.»

Peter Stamm, Autor

Und um das Scheitern von Beziehungen geht es. Stamm liebt dies und sagt: «Weil das Scheitern spannender ist als das Gelingen. Gelingt etwas, ist es nicht mehr interessant. Wenn man gewinnt, freut man sich, aber wenn man verliert, muss man ja irgendwie damit umgehen. Ausserdem gibt es viel mehr Menschen, die verlieren, als solche, die gewinnen – nicht nur im Sport.»

Zum Sport hat der Autor es sich gemacht, alles Überflüssige wegzulassen. Bei ihm gibt es keine sprachlichen Schnörkel: Glasklarer als Peter Stamm schreibt kaum ein Autor in der Schweiz. Seine Sätze erinnern an den Grossmeister der Lakonie, Ernest Hemingway, denn sie sind bis auf die Essenz ausgemeisselt. Und das seit Jahren. Schon bei seinem Debüt im Jahre 1998 übertrafen sich die Kritiker mit Lob. «Agnes», wie sein erstes dünnes Büchlein hiess, war jahrelang Matura-Pflichtlektüre an deutschen Gymnasien.

Lebendiges Interview mit dem Autor: Thomas Heimgartner von der Literarischen Gesellschaft Zug.

Lebendiges Interview mit dem Autor: Thomas Heimgartner von der Literarischen Gesellschaft Zug.

(Bild: hae)

Doch sieht man den hoch dekorierten Schreiber (Schillerpreis, Nomination für Man Booker International Prize) dann lesen und kaum einmal in sein Publikum schauen, überfällt einen Trübsal: Da passiert nichts, man könnte auch einen Roboter vorne hinstellen.

Schade, denn Stamm weiss durchaus um das Problem der Moderne: «Heute, wo auf den Lesebühnen und an Poetry-Slams junge Spoken-Word-Künstler aus dem Stegreif heraus reimen und laut fuchteln, muss man schon lesen können.»

«Ältere Herren unter den Schriftstellern machen wie Pflanzen oft Paniktriebe …»

Doch Peter Stamm ist kein Lauter, er muss nicht schreien, um Gehör zu finden. Die rund 100 in Zug Erschienenen waren ganz Ohr, aber junge Zuhörerinnen gab es nur drei. Denn es ist zu befürchten, dass Stamm sich wegliest. Wie sagte er gegen Schluss des von Veranstalter Thomas Heimgartner äusserst lebendigen Interviews: Er wolle immer leisere Texte schreiben, bis hin zum heiteren Schweigen. «Anders als die älteren Herren unter den Schriftstellern, die wie Pflanzen oft Paniktriebe machen …»

Stars und Exkursionen

Der Literarischen Gesellschaft Zug gelingt es immer wieder, grosse Autoren wie Terézia Mora, Judith Hermann oder Volker Braun einzuladen. Neue Literaturstars wie Monique Schwitter oder Jonas Lüscher wurden auch früh nach Zug geholt, bevor sie dann durchstarteten.

Die Gesellschaft organisiert aber auch Zuger Abende oder interessante Ausflüge wie etwa mit dem letztes Jahr verstorbenen Al Imfeld im Napfgebiet. Der Verein organisiert als Nächstes am 1. September eine literarische Exkursion zur James Joyce Foundation nach Zürich. Am 25. September ist eine Buchvernissage mit Max Huwyler (zentralplus berichtete) zu erleben.


Peter Stamm ist eine ruhige Person, zweifellos, einzig von seinen Glimmstängeln angetrieben. Derart zurückhaltend gar, dass er sich früher gar zu fotografieren weigerte. Heute im Social-Media-Zeitalter ist Stamm eher gleichgültig geworden: «Obwohl die Leute alles durchfotografieren, schauen sie die Bilder kaum mehr an. Das ist auch eine Möglichkeit, damit umzugehen.»

Facebook als «autistische Seite»

Instagram nutzt er nicht, aber er tummelt sich beruflich auf Facebook. Das sei seine «autistische Seite», wie er gestand: Der Weltenreisende, dessen Bücher in viele Sprachen übersetzt wurden, und der ab morgen in Deutschland auf Lesetour ist, fotografiert seine einsamen Hotelzimmer.

Dort lässt er sich dann inspirieren, vom scheinbar prallen Leben. Auch wenn er dieses nicht auf der Lesebühne verkörpert, so beschreibt er es dennoch gerne. Stamm sagt: «Ich halte nicht viel von Schreibtischrecherchen. Google Earth hat keinen Geruch und kein Wetter.»

Wir finden: Dieser Mann ist durchaus ein Intellektueller.

Kurzer Schwatz mit dem Fan: Peter Stamm beim Signieren.

Kurzer Schwatz mit dem Fan: Peter Stamm beim Signieren.

(Bild: hae)

0 Kommentare
Apple Store IconGoogle Play Store Icon