Luzern

«Er hat aus dem Museum etwas Lebendiges gemacht»

Heinz Horat vermittelt Geschichte auch auf Wanderungen. (Bild: Julia Müller)

Seit zwölf Jahren ist Heinz Horat Direktor des Historischen Museums Luzern. Der langjährige Denkmalpfleger im Kanton Zug hat das ehemalige Zeughaus gründlich entstaubt und mit einem neuartigen Vermittlungskonzept Aufsehen erregt. Im Sommer geht er nun in Pension. Noch offen ist, wer seine Nachfolge antritt.

Seit dem 12. März läuft im Historischen Museum Luzern eine neue Sonderausstellung zum Thema Sagen. Im Rahmenprogramm sind auch zwei Wanderungen mit Heinz Horat aufgeführt: Der Museumsdirektor führt sein Publikum ins Eigenthal und zum Pilatussee und erzählt ihnen von den Erdmännchen, Züslern und Drachen, die hier einst gehaust haben sollen – oder vielleicht noch immer hausen. Schlusspunkt des Tagesprogramms ist ein gemeinsames Znacht mit Älplermagronen.

Ausstellung und Wanderung zählen zu Horats letzten Projekten im Historischen Museum Luzern: Nachdem er den Betrieb zwölf Jahre lang geleitet hat, geht er im Sommer in Pension. Dass Heinz Horat auch mal in Wanderschuhen unterwegs ist und Geschichte da vermittelt, wo sie sich zugetragen hat, kann man sich gut vorstellen. Der Direktor tritt schlicht auf und setzt eigenwillige Akzente: Zu dunkelblauen Jeans trägt er einen dunkelblauen Rollkragenpullover, im Kontrast dazu steht die Lesebrille mit einem Gestell in orange und türkisblau.

Ihm sei die direkte Begegnung mit den Museumsbesuchern wichtig, erklärt Horat. Und die Wanderungen kämen sehr gut an: «Die Leute schätzen das, beim Gehen kommt man ins Gespräch.» Wandern ist aber auch etwas, dass dem Museumsleiter persönlich viel bedeutet: Wenn sich Heinz Horat Gedanken zu einer neuen Ausstellung oder einem Vortrag macht, dann sitzt er nicht im Büro. «Mir kommen mit Abstand am meisten Ideen, wenn ich in Bewegung bin», sagt er.

Kunsthistoriker und Quereinsteiger

Heinz Horat hat seinen eigenen Stil. Das gilt auch für die Art, wie er das Museum führt. Dass er ein Quereinsteiger ist, mag dafür ein Grund sein: Horat ist in Schwyz aufgewachsen und lebt seit mehr als 20 Jahren in Weggis. Studiert hat er Kunstgeschichte, englische Literatur und Philologie. Neun Jahre lang war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Denkmalpflege Luzern tätig, ehe er 1987 die Leitung des Amts für Denkmalpflege und Archäologie im Kanton Zug übernahm.

2001 wurde er zum neuen Direktor des Historischen Museums Luzern gewählt. Gesucht worden war jemand, der das Museum neu konzipierte. Horat reizte diese Herausforderung: «Ich habe gerne solche Projekte, bei denen man in der ganzen Breite der Kreativität etwas machen kann.»

Er hatte schon bei verschiedenen Ausstellungsprojekten mitgearbeitet, verfügte jedoch nicht über eigentliche Museumserfahrung. Als langjähriger Denkmalpfleger im Kanton Zug habe er aber wichtige Kenntnisse in den Bereichen Projektmanagement und Budgetplanung erworben, sagt Horat. Auch sei er es gewohnt gewesen, mit historischen Objekten zu arbeiten.

Das Museum als Depot

Wie geht man vor, wenn es gilt, ein historisches Museum neu zu erfinden? Horat schrieb einen Gestaltungswettbewerb aus, fünf Teams von Ausstellungsmachern reichten ihren Vorschlag ein. Für den neuen Direktor war ein Projekt klar Favorit: Aus dem Museum sollte wieder ein Zeughaus werden, ein modernes Lager. Das vierstöckige Gebäude mit insgesamt 1200 Quadratmetern Fläche wurde in drei Bereiche unterteilt: Schaudepot, Lager und Zwischenlager.

Im Zwischenlager zeigt das Museum zweimal jährlich eine selbst erarbeitete Wechselausstellung. Das Schaudepot ist der frei zugängliche Teil der Museumssammlung: Hier lagern rund 70 Prozent der museumseigenen Bestände auf grauen Gestellen. Die Exponate sind mit einem Strichcode versehen. Mit einem Scanner können die Besucher diese Codes einlesen und so Informationen zu den Objekten abrufen.

Das Konzept ist ungewöhnlich: Normalerweise zeigen historische Museen nur ausgewählte Stücke aus ihrer Sammlung. Hier können die Besucher selbst entscheiden, welche Objekte sie sich genauer anschauen möchten. Auch in Sachen Vermittlung entschied sich Horat für eine neuartige Methode: Den Lagerbereich betreten die Besucher in Begleitung von professionellen Schauspielerin. Täglich bietet das Museum Theatertouren zu verschiedenen Themen an. Geschichte wird spielerisch inszeniert und so anschaulich gemacht.

Das Neue überzeugte nicht alle

Nicht allen gefiel, was Heinz Horat sich da ausgedacht hatte: Als das Historische Museum Luzern im November 2003 nach nur dreimonatiger Schliessung seine Neueröffnung feierte, entbrannte unter Historikern und Museumsexperten eine heftige Kontroverse. Kritisiert wurde, dass nicht Fachleute Geschichte vermitteln, sondern Schauspieler, die Fakten und Fiktion vermischten. Auch das Prinzip des Depots überzeugte nicht alle: Die unüberschaubare Fülle von Objekten und fehlende Anleitungen überforderten die Besucher, so der Einwand.

Es habe viele rote Köpfe gegeben, sagt Horat rückblickend. Mittlerweile hätten sich die Wogen aber geglättet. Nach zehn Jahren könne man darüber lachen: «Wir haben immerhin einige Leute dazu bewegt, sich Gedanken zu machen, wie denn überhaupt ein Museum funktionieren könnte.» Heute dürfe er behaupten: «Die Neukonzeption des Museums war erfolgreich.»

Erfolgreiche Bilanz

Dafür sprechen die Besucherzahlen: Als Horat die Stelle als Museumsleiter antrat, verzeichnete das Haus im Durchschnitt 25’000 Besucher pro Jahr. 2012 waren es derer 34’000, im Spitzenjahr 2011 gar 37’000. Besonders attraktiv sei das Museum für Familien und Schulklassen. Und: Grosser Beliebtheit erfreuen sich gerade die aus Fachkreisen kritisierten Theatertouren.

Auch seine Mitarbeitenden sprechen Horat ein gutes Zeugnis aus: Walti Mathis ist im Historischen Museum seit neun Jahren für die Vermittlung zuständig und spricht von einer Erfolgsgeschichte. Voll des Lobes ist auch Christoph Stooss, seit 2003 Präsident des Vereins Freunde des Historischen Museums Luzern. Heinz Horat verfüge über einen unglaublichen Ideenreichtum: «Er hat aus dem Museum etwas Lebendiges gemacht.» Typisch sei halt auch seine Eigenwilligkeit, fügt Stooss an. «Wenn er ein Ziel hatte, dann setzte er alles daran, es zu erreichen.» Damit sei Horat auch angeeckt. «Aber diese Eigenwilligkeit, die hat es gebraucht», meint Stooss.

Leidige Sparmassnahmen

Nebst einem gut laufenden Betrieb übergibt Horat seinem Nachfolger oder seiner Nachfolgerin auch ein stark zusammengekürztes Budget. Während der letzten zehn Jahre seien praktisch jährlich Sparübungen angestanden. «Wir haben ein so geringes Betriebskapital, dass alle meine Kollegen in der Schweiz nur den Kopf schütteln und sagen: Mit dem Geld kann man keine Ausstellungen machen.»

Gemäss Auftrag der Regierung ist es die Aufgabe des Historischen Museums, das kantonale Kulturgut zu sammeln, zu dokumentieren, zu vermitteln und zu erforschen. Diese Aufgabe könne man natürlich mehr oder weniger gut erfüllen, erklärt Horat. Aber: Die Erhaltung des kulturellen Erbes und die Förderung des historischen Bewusstseins gehörten zum Grundauftrag des Staates. «Immer nur Sparen, das ist keine Vision.»

Offene Nachfolge

Nicht glücklich ist Heinz Horat auch darüber, wie seine Nachfolge geregelt ist: nämlich noch gar nicht. Die Stelle der Museumsleitung ist noch nicht mal ausgeschrieben. Dabei sei schon lange klar, dass er im Sommer in Pension gehen werde. «Das ist natürlich für mich und den Betrieb sehr unangenehm.»

«Immer nur Sparen, das ist keine Vision.»

Heinz Horat

Zu Verzögerungen führt ein hängiges Postulat, das von der Regierung verlangt, eine gemeinsame administrative Leitung von Natur-Museum und Historischem Museum zu prüfen. Wie die Dienststelle Hochschulbildung und Kultur des Luzerner Bildungs- und Kulturdepartements in einer kürzlich veröffentlichten Medienmitteilung verlauten liess, läuft zurzeit eine entsprechende Machbarkeitsstudie. Resultate liegen noch keine vor. Im Hinblick darauf, wie die Stelle der Museumsleitung zukünftig besetzt wird, könnten sie aber entscheidend sein. Mit der Ausschreibung wird deshalb zugewartet, im Falle einer Verzögerung soll eine nicht näher definierte Übergangsregelung in Kraft treten.

Auf zu neuen Horizonten

Für Heinz Horat kommt der Abschied vom Museum dennoch zur rechten Zeit: In seiner Karriere habe sich ein Rhythmus von neun bis zwölf Jahren eingespielt und bewährt. Am 10. Juli feiert Horat seinen 65. Geburtstag, per Ende Juli wird er offiziell pensioniert. Wann genau der letzte Arbeitstag sein wird, ist aber noch unklar. Das hänge nicht zuletzt davon ab, ob seine Nachfolge auf den Sommer hin geklärt werden könne. In dem Fall wäre er natürlich an einer guten und geregelten Übergabe interessiert, erklärt Horat.

Die privaten Pläne sind da schon etwas konkreter. Horat denkt gar nicht daran, den Ruhestand wörtlich zu nehmen. In Zukunft werde er wieder mehr als Kunsthistoriker arbeiten und sich den Themen widmen, für die er die letzten Jahre keine Zeit fand. Im Sommer stehen aber erst einmal Ferien an: Mit seiner Frau reist Horat zwei Monate lang durch Russland und Ostasien. Dieser Teil der Welt sei für ihn völlig neu: «Wir möchten gerne einmal in eine Gegend eintauchen, wo man sich nicht einfach so zurecht findet.» Auf Heinz Horat wartet also schon die nächste Herausforderung.

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