Sozialhilfe-Motion im Zuger Kantonsrat

SVP will weniger ausgebildetes Personal

Zahlt der Kanton sogar die Bussen von Sozialhilfe-Bezügern?

(Bild: Adobe Stock)

Die SVP kämpft seit Langem gegen «steigende Kosten im Sozialwesen» – nun auch wieder in Zug. Fünf SVP-Kantonsräte wollen deshalb weniger ausgebildetes Personal in den Sozialdiensten. Fachleute protestieren.

Fehlt in den Sozialdiensten der Zuger Gemeinden der «gesunde Menschenverstand»? Und arbeiten die Sozialdienste zu wissenschaftlich? Die Zuger SVP-Kantonsräte Manuel Brandenberg, Philip C. Brunner, Beni Riedi, Rainer Suter und Thomas Werner zielen mit einer aktuellen Motion jedenfalls in diese Richtung. Sie wollen das Zuger Sozialhilfegesetz so ändern, dass die Gemeinden frei entscheiden können, welche Ausbildung das im Sozialbereich tätige Personal haben soll. Bisher heisst es im Gesetz, die Gemeinden hätten für diese Aufgabe entsprechend ausgebildetes Personal anzustellen.

Kampf gegen «Akademisierung»

Manuel Brandenberg nimmt kein Blatt vor den Mund und sagt: «Wir befinden uns im Kampf gegen die Verwissenschaftlichung der Sozialhilfe.» Er ist der Meinung, Sozialarbeiter könnten auch Personen mit kaufmännischen oder anderen Ausbildungen sein. «Dafür braucht es kein Hochschulstudium», so Brandenberg.

Die Kosten in den Sozialdiensten seien nicht zuletzt wegen der guten Löhne der angestellten Akademiker gestiegen, sagt der SVP-Fraktionschef. Aus der Sozialarbeit werde eine Wissenschaft gemacht und dadurch die Sozialdienste aufgebläht. Brandenberg ist der Meinung, es brauche mehr gesunden Menschenverstand und Lebenserfahrung.

«Wenn Sie zum Arzt gehen, wollen Sie ja auch nicht von einem Arztgehilfen behandelt werden.»

Urs Raschle, CVP-Stadt- und Kantonsrat

Die SVP-Motionäre sind überzeugt, mit der vorgeschlagenen Gesetzesänderung würden die Gemeinden flexibler und könnten je nach ihren Bedürfnissen Sozialarbeiter, Sozialpädagogen oder Personen mit einer praktischen Ausbildung anstellen.

Ein grosses Herz und helfende Hände

In der Debatte zur Motion im Zuger Kantonsrat sagte Stadt- und Kantonsrat Urs Raschle (CVP): «Die Anforderungen an die Sozialhilfe sind sehr hoch. Die Fälle werden immer komplexer, und dafür braucht es Personal mit Hochschulniveau. Die Bürger haben ein Anrecht darauf, dass sie von qualifiziertem Personal behandelt werden.» Man müsse sich das ausmalen: «Wenn Sie zum Arzt gehen, wollen Sie ja auch nicht von einem Arztgehilfen betreut werden», so Raschle.

Philip C. Brunner widersprach ihm vehement: «Das Sozialwesen in deinem Departement hat ein Budget von 13,3 Millionen Franken. Und da gehst du nach vorne und sagst, es brauchen alle Hochschulniveau.» Das stimme einfach nicht, so Brunner: «Es benötigen nur einige Hochschulniveau. Wir haben eine viel zu grosse Diplomgläubigkeit. Es braucht eigentlich vor allem ein grosses Herz und helfende Hände für diesen Job.»
 
SP-Kantonsrat Hubert Schuler ist da anderer Meinung. Er ist Leiter Sozialdienst der Gemeinde Baar. «Es braucht eben nicht nur Herz und Hand, sondern auch Geist. Die Arbeit der Sozialdienste erfordert Fachleute.» Wohin käme man mit dieser Argumentation?, fragt Schuler: «Das wäre, wie wenn Anwälte kein Patent mehr benötigten. Da könnte man ja auch behaupten, es braucht nur ein grosses Herz, um jemanden vor Gericht zu verteidigen.»

Der Rat hatte kein Gehör, er überwies die SVP-Motion mit 50 zu 18 Stimmen dem Regierungsrat. Dieser muss den Vorstoss nun bearbeiten und dem Parlament danach einen Antrag vorlegen.

«Wahlpropaganda der SVP»

Auch wenn die Motion noch nicht umgesetzt ist, finden Fachleute an der Idee keinen Gefallen. Der Vorstoss entspricht laut Markus Jans, Leiter der Sozialen Dienste der Stadt Zug, der nationalen Strategie der SVP, grundsätzlich gegen die Sozialhilfe und die Sozialarbeitenden anzutreten. Damit betreibe die SVP im Hinblick auf die Eidgenössischen Wahlen «Wahlpropaganda auf Kosten der Schwächsten». Jans kann das Anliegen der Motionäre deshalb nicht nachvollziehen.

«Die Anforderungen im Sozialwesen sind komplex und die Belastung ist hoch.»

Markus Jans, Leiter Soziale Dienste Stadt Zug

Das Argument der SVP, das Sozialwesen leide unter einer «Akademisierung», diene einzig zur Schwächung der Sozialhilfe. «In den Sozialdiensten arbeiten nicht nur Sozialarbeiter, sondern auch Personen aus anderen Fachgebieten.» Man werde aber nicht darum herum kommen, ausgebildetes Personal einzusetzen, denn die Anforderungen im Sozialwesen seien komplex und die Belastung sei hoch. Da brauche es entsprechende Ausbildungen.

Fehlentscheide können teuer werden

Walter Schmid, Professor und Direktor an der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit, ist nicht überrascht über die Motion der Zuger SVP-Kantonsräte. Er ist jedoch überzeugt: «Die 30-jährige Entwicklung in der Sozialen Arbeit hat zu mehr Fachlichkeit geführt und sich bewährt.» Die Sozialdienste funktionierten heute nicht mehr wie vor 30 Jahren, als der Gemeindeschreiber in kleinen Gemeinden noch fast alle Betroffenen persönlich gekannt habe. Gerade mit dem Trend zu regionalen Sozialdiensten habe eine Professionalisierung Einzug gehalten, so Schmid.

«Ich bin überzeugt, dass die Soziale Arbeit einen wichtigen Beitrag leistet für den professionellen Umgang mit sozial Schwächeren.» Die Kosten für Fachpersonal zahlten sich aus. «Im Sozialwesen können Fehlentscheide teuer werden», sagt er. Werde in der Sozialhilfe zum Beispiel zu spät reagiert oder falsch entschieden, könne das weitreichende Folgen haben.

Praxis und Ausbildung aufeinander abstimmen

Es sei deshalb ein trügerisches Argument, zu behaupten, mit weniger oder sogar ohne Fachpersonal könnten die Kosten tief gehalten werden. Da in vielen Gemeinden und Kantonen gespart werden müsse, seien die Sozialdienste zudem selbst angehalten, die Kosten zu reduzieren und ihre Abläufe zu optimieren.

«Im Sozialwesen gibt es im Übrigen nicht nur ausgebildete Sozialarbeiter, sondern auch einen rechten Anteil an administrativem Personal. Auf das gute Zusammenspiel dieser verschiedenen Berufsgruppen kommt es an.» Und noch einen Punkt erwähnt Schmid: Die Sozialkosten seien gebundene Ausgaben, die nur schwer reduziert werden könnten. Beim Personal gebe es mehr Steuerungspotenzial, weshalb natürlich zuerst dort gespart werde.

Schmid glaubt nicht, dass es ein Überangebot an Fachkräften im Sozialwesen gibt. «Unsere Studienabgänger finden fast immer eine Stelle, die Nachfrage ist gross.» Die Hochschule Luzern sei in engem Kontakt mit Sozialdiensten. «Wir versuchen ständig, die Praxis und die Ausbildung aufeinander abzustimmen.» In der Ausbildung werde die Praxis zudem mit Praktika sichergestellt. Alle Studierenden absolvieren mindestens halbjährige Praktika.

 

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