Transparenz in den Zuger Lebensmittelbetrieben

Zwischen Fluch und Segen: das Zuger Hygiene-Zertifikat

Matthias Foerster, Zuger Lebensmittelkontrolleur, während der Arbeit am Zuger Bahnhof.

(Bild: zentralplus/bas)

Für die einen ist es ein Zeichen an die Kunden, dass man gut arbeitet, für die anderen nur ein Pranger: das Zuger Hygiene-Zertifikat. Lebensmittelkontrolleure stellen es den Betrieben in der Lebensmittelbranche aus. Doch diese Transparenz ist nicht überall willkommen. Wir kontrollieren mit.

Wir werden erwartet. Das ist nicht normal. Denn üblicherweise finden Lebensmittelkontrollen unangemeldet statt. Doch heute ist alles etwas anders: Der Besuch beim Aperto in Zug am Bahnhof zusammen mit dem Lebensmittelkontrolleur Matthias Foerster soll veranschaulichen, was es mit den kantonalen Hygiene-Zertifikaten auf sich hat und weshalb sie fast niemand aufhängt – ausser der Aperto. 

«Lebensmitteler» in Aktion, oder «Schüelerlis» im Verkaufsladen

Evelyne Von Rotz, die Filialleiterin des Ladens, schüttelt dem Inspektor und mir die Hand. Man braucht sich nicht gross zu erklären, beide Seiten wissen, was nun kommt: Der «Lebensmitteler» dreht seine Runden durch das Geschäft, kontrolliert Ablaufdaten, Sauberkeit, Ordnung in den Regalen, Temperaturen in Kühlern. Kurz: Er schaut, ob alles so ist, wie im Gesetz verordnet. Auch Geschirrspüler werden dabei nicht ausgelassen, wie das Video zeigt.

Währenddessen scheint das Personal etwas weniger entspannt. Die Situation erinnert an Szenen in der Schule: Während der Lehrer die Arbeit kontrolliert und allfällige Fehler sucht, winden sich die Schüler und hoffen auf baldige Erlösung und die gute Note.

Pflaumen aus, ja woher denn eigentlich?

Das Geschäft macht einen ordentlichen Eindruck: Die Regale sind aufgeräumt, es ist sauber. Zu diesem Schluss kommt auch Matthias Foerster, der diesbezüglich nichts zu beanstanden hat: Note: eins – der Sechser unter den Lebensmittelkontrollen. Doch so einfach geht es dann doch wieder nicht.

Zwar scheint auch bei den Waren alles in Ordnung. Doch dann tatsächlich: Bei den Pflaumen steht auf dem handgeschriebenen Schildchen, sie kämen aus Spanien. Auf der Verpackung steht aber Italien. «Frau Von Rotz, die Pflaumen hier», ruft Foerster der Filialleiterin zu und deutet auf die Früchte. «Kommen die denn aus Italien oder Spanien?» Frau Von Rotz verschwindet im Büro, kommt mit dem Lieferschein zurück und schreibt die Pflaumen richtig an. Spanien.

«Wir können da keine Augen zudrücken – es geht darum, dass die Qualität der Produkte stimmt.»
Matthias Foerster, Zuger Lebensmittelkontrolleur

Weil dann aber auch noch ein Kühlschrank nicht richtig zu funktionieren scheint – oder zumindest zu lange offen stand und deswegen zu warm ist –, gibt es doch noch einen Abzug in der Note. Nur noch eine drei. Eigentlich ungenügend. Das Verdikt scheint hart – war doch sonst alles in Ordnung. Der Inspektor erklärt: «Beim Kühlschrank gibt es gesetzliche Vorschriften, wie gross der Abzug bei der Note je nach Temperaturüberschreitung ist.»

Alles für die Qualität und den Kunden

«Das ist hart für die Betriebe», summiert denn auch Foerster. Gerade im Sommer, wenn es draussen heiss ist, sei es manchmal sehr schwer, die geforderten Kühltemperaturen zu erreichen. «Aber wir können da keine Augen zudrücken – es geht darum, dass die Qualität der Produkte stimmt.» Und wenn ein Joghurt eine Nacht lang bei über zehn Grad gelagert werde, sei es eben nicht mehr dasselbe, wie wenn es bei fünf oder sechs Grad gelagert werde. Was also kleinlich wirkt, passiert stets mit dem Wohl des Kunden im Hinterkopf.

Matthias Foerster, Zuger Lebensmittelkontrolleur, im Gespräch mit Evelyn Von Rotz, Filialleiterin Aperto Zug.

Matthias Foerster, Zuger Lebensmittelkontrolleur, im Gespräch mit Evelyn Von Rotz, Filialleiterin Aperto Zug.

(Bild: zentralplus/bas)

Obwohl es beim Rest der Inspektion nicht mehr viel zu beanstanden gibt und Foerster immer wieder anerkennend nickt oder zufrieden Einsen im Benotungssystem anklickt, ganz so gut wie beim letzten Mal schneidet das Geschäft nicht mehr ab. Denn da gab es die Note «sehr gut». Bei unserer fiktiven Kontrolle war aber unter anderem der Kühler zu warm für ein «sehr gut». Auf dem Zertifikat würde es trotzdem noch zu einem «sehr gut» reichen, schätzt Foerster. «Denn die Beurteilung in der amtlichen Qualitätsbescheinigung ist in der Regel der Durchschnitt von drei Kontrollen», erklärt dazu Susanne Pfenninger, die Zuger Kantonschemikerin. Qualitätsschwankungen seien bekannt. Mit der Durchschnittsformel wird dem Problem die Spitze genommen, wie das Beispiel Aperto zeigt.

«Da wäre die Pflicht, das Zertifikat aufzuhängen, wie ein Pranger, an den man uns stellt.»
Barbara Schneider, Präsidentin Gastro Zug

Das Zertifikat: Pranger oder Segen?

Das Hygiene-Zertifikat

2009 hat Zug als erster Kanton die amtliche Qualitätsbescheinigung für Lebensmittelbetriebe eingeführt. Die amtliche Bescheinigung eines Betriebes, eine Art Hygienezeugnis, zeigt die Bewertung der Lebensmittelkontrolle übersichtlich und zusammengefasst. Mit diesem Instrument kann innerhalb der Branche die Bewertung verglichen werden. Ist die Bewertung nicht erwartungsgemäss, kann dies ein Anreiz zur Verbesserung sein. Zudem kann es als internes Instrument benutzt werden, um für die Mitarbeitenden den Anreiz zu schaffen, den Hygienestand zu halten. Auch zu Marketingzwecken eignet es sich. Die Ergebnisse sind nach fünf Jahren äusserst erfreulich: Die Zahl der als sehr gut bewerteten Betriebe ist gestiegen, die der schlechten gesunken.

Mit seiner Note liegt der Aperto im Durchschnitt: «Etwa 80 Prozent der Betriebe haben eine ‹sehr gute› oder ‹gute› Beurteilung», sagt Pfenninger. Trotzdem: Das Zertifikat hängen die wenigsten auf. Nicht so im Aperto: «Aufhängen würden wir das Zertifikat wieder», sagt Frau Von Rotz. Denn es zeige den Kunden, dass hier sauber und gut gearbeitet werde. «Und die Chefs sehen es auch gleich», sagt sie augenzwinkernd.

Etwas anders klingt es bei Gastro Zug. «Ich bin froh, müssen wir das Zertifikat nicht aufhängen», sagt Barbara Schneider, Präsidentin des kantonalen Branchenverbandes. Denn es sei eine Momentaufnahme eines Betriebes. «Wo Menschen arbeiten, da menschelt es eben auch.» Zudem hätten es die Gastro-Betriebe schon genug schwer, klagt sie. «Da wäre die Pflicht, das Zertifikat aufzuhängen, wie ein Pranger, an den man uns stellt.»

Zudem könne der Kunde das Zertifikat ja einfordern, wenn er es sehen wollen, nur tue das fast keiner. «Die Kunden sind intelligent genug: Wenn es sauber ist und gut geschmeckt hat, kommen sie wieder, sonst nicht», findet Schneider. Dennoch – das Zertifikat findet Schneider gut und auch, dass die Hygiene kontrolliert werde. «Das braucht es schon», gibt sie zu. Aber eben, das Zertifikat aufzuhängen sei eine andere Sache.

Rot eingekreist ist das Hygiene-Zertifikat, das im Aperto Zug am Eingang hängt.

Rot eingekreist ist das Hygiene-Zertifikat, das im Aperto Zug am Eingang hängt.

(Bild: zentralplus/bas)

Für die komplette Transparenz fehlt der Druck

«In anderen europäischen Ländern, vorwiegend in den nordischen Ländern, ist die Transparenz der amtlichen Tätigkeit viel weiter fortgeschritten», erklärt die Kantonschemikerin Pfenninger. So seien in diesem Zusammenhang Dänemark, Finnland und England zu erwähnen. «In der Schweiz tut man sich immer noch schwer.» Pfenninger weiss nicht, woran es liegt. «Das haben wir auch schon überlegt und sind auf keine Antwort gestossen. Aber sicher würde es helfen, wenn auch die Kunden mehr Transparenz fordern würden.»

Wie viel Transparenz ist erwünscht?

Zu diesem Thema hält Susanne Pfenninger am Freitag, 2. September, um 18 Uhr ein Referat in den Räumlichkeiten von Doku-zug. Sie spricht unter anderem über die gemachten Erfahrungen. Der Eintritt ist frei, Anmeldungen sind gewünscht. Weitere Informationen finden Sie hier.

 

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