Balkanische Festhütte im KKL Luzern

Zum Schluss versetzt Goran der Grosse seine Oma für eine Kalashnikov

Chef ganz in Weiss: Goran Bregovic, Taktgeber und Entertainer von grossen Gnaden.

(Bild: hae)

«Wenn du jetzt nicht verrückt wirst, dann bist du nicht normal.» Goran Bregović schrie es, fuchtelte dazu wild herum und verwandelte am Dienstagabend den heiligen KKL-Saal in eine balkanische Festhütte. Ein herrlicher Abend zwischen Leben und Tod, zum Lachen und Weinen, zum Tanzen und Mitsingen.

Sein weisser Anzug ist Legende, und auch sonst gilt Goran Bregović auf dem Balkan als eine Art Heilsbringer: Säulenheiliger der Zigeunermusik, Vermittler zwischen Ethnien und Religionen. Anfangs des Konzertes versprach er: «Wir werden durch viele Kulturen reiten, und wir werden viele Sprachen singen: auch Hebräisch und Arabisch.»

Und los ging’s mit seiner bewährten Wedding & Funeral Band, die eine wunderbar betörende Balkanmusik spielt. Animiert, skandiert und auch mal provoziert. Da wird klar, dass Bregović, mittlerweile 68-jährig und immer noch umwerfend schlank und rank einherschreitend, obendrein ein äusserst talentierter Musiker ist.

Der Dirigent und Meister sass im weissen Anzug den ganzen Abend hinter seiner Gitarre und liess seinen Paukenspieler und Sänger, zwei bulgarische Sängerinnen, fünf Bläser die Gefühlsregister bedienen, wie man es selten erlebt.

Musik zwischen Leben und Tod

Dramaturgisch voller Überraschungen gab Bregovićs Band Weisen und Gassenhauer zwischen Slibovicz und Champagner, zwischen Wehmut und Euphorie und eben, zwischen Beerdigung und Hochzeit.

Seine Musik umklammert Leben und Tod, es ist ein mitreissender Sound der grossen Gefühle, bei der die Band oftmals bewusst die Bremse ziehen musste, weil sonst im KKL die Energie förmlich zu explodieren schien. Denn schon nach einer guten halben Stunde verliessen die ersten Fans ihre Sitze, um in den Gängen des weissen Saales zu tanzen.

Sorgten für Melancholie: die bulgarischen Sängerinnen in der Wedding & Funeral Band.

Sorgten für Melancholie: die bulgarischen Sängerinnen in der Wedding & Funeral Band.

(Bild: hae)

Er sagt: «Die hellen Kleider zeichnen den Chef des Zigeunerorchesters aus.» Und Bregović ist Chef: Wölfe der Wüste wimmern, tanzende Zigeuner umarmen sich zur Polka, die Tuba bläst zum Gewitter. Marschmusik klingt an, und religiöse Weisen schweben im Hintergrund.

Goran Bregović inszeniert eine gigantische musikalische Mixtur aus bulgarischer Vokalakrobatik, bosnischen Kirchenchorälen, polnischem Polkasound. Das kommt weltweit an: Jane Birkin, Ofra Haza, Cesaria Evora oder Iggy Pop sangen seine Songs. Weil sie sinnestrunken sind.

«Wenn ich auftrete, trinke ich Whiskey, das lockert und beruhigt.»

Goran Bregović, nervöser Entertainer

«Wenn ich auftrete, trinke ich Whiskey, das lockert und beruhigt», sagte er uns einmal bei einer Begegnung. Aber nicht, dass er sich auf der Bühne volllaufen lassen würde. Nein, der Musiker ist diesbezüglich die Besonnenheit in Person. Er formulierte bedächtig: «Ich mag Zügellosigkeiten nicht. Mein Vater war Colonel in der Armee und trank viel. Das ist nichts für mich.» Recht zügellos geht es dann aber in den KKL-Rängen ab.

Auf ein reiches und mitunter auch zügelloses Leben blickt auch Bregović zurück: Vater Kroate, Mutter Serbin, Frau Bosniakin. Einst spielte er in der wilden und sehr einflussreichen Balkan-Rockband Bjelo Dugme, was «Weisser Knopf» bedeutet, dann mischte er slawische Tradition mit Klängen der Moderne, arbeitete mit Synthesizer oder Sampling.

Bald brachte ihn der Kultregisseur Emir Kustirica zur Filmmusik: Ab 1988 komponierte er Sounds zu Filmen wie «Time Of The Gypsies», «Underworld», «Arizona Dream» oder «La Reine Margot»­. Alles temperamentvolle Sittenporträts, die durch Bregovićs Musik noch mehr Tempo und Atmosphäre erhielten.

Stephan Eicher des Balkan

Einst war er auf «Alkohol»-Tour, heute tourt er unter dem Motto seiner letzten CD «Three Letters From Sarajevo» im gut gefüllten Luzerner KKL. Er ist der Stephan Eicher des Balkan, gut aussehend, weltgewandt, leidenschaftlich und dennoch leicht schüchtern. Man könnte ganz schön neidisch werden: Wer hätte nicht gerne eine Volksmusik, bei der einem die Tränen kommen («Ederlezi»), und man fünf Minuten später lachenden Auges freizügig in der Menge tanzt («Balkaneros»).

Im Video gibt’s in 102 Sekunden Goran Bregovic gerafft:

Und dann der krönende Abschluss, wie stets bei seinen zweieinhalbstündigen Soundorgien: «Kalashnikov», dieser militärische Stampfer, der davon erzählt, wie einer seine Oma für eine dieser unsäglich gefährlichen Knarren eintauscht.

Die Band ist mächtig im Schuss, die Menge tanzt, als gäbe es kein Morgen. Und man ist froh, kann man nach diesem leidenschaftlichen Konzert in eine friedliche Frühlingsnacht hinaustreten.

Kann auch trommeln: Goran Bregovic mit einem seiner fünf Bläser.

Kann auch trommeln: Goran Bregovic mit einem seiner fünf Bläser.

(Bild: hae)

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