Mit Georges T. Roos in der Ebikoner Mall

Zukunftsforscher: «Kleiderbranche ist ein grosses Risiko für die Malls»

Die Mall und ihr Tester: Georges T. Roos lässt sich im Shopping-Center nicht stressen.

(Bild: hae)

Beim Rundgang durch die Mall of Switzerland sucht der Luzerner Zukunftsforscher Georges T. Roos nach Neuem und Trendigem. Er findet: Das Shopping-Center ist zwar «nice to have», aber kein «must see». Interessant findet Roos den Adidas-Shop, die Spielkiste und einige Pop-up-Stores. Beeindruckt ist er einzig von den Garderoben. Ob das zum Überleben des Centers reicht?

10.15 Uhr morgens, nach einer 12-minütigen S-Bahn-Fahrt von der Stadt, biegen wir über die helle Passerelle in die Mall ein. Helles Licht, viel Raum, noch wenig Menschen. Ein Drink-Shop sticht als Erstes ins Auge. «Was für ein Start!», lacht Georges T. Roos über den hochprozentigen Empfang. Aber Bier und Whiskey als zweites Frühstück? Augen zu und weiter!

Es folgt ein Reisebüro, das gähnend leer ausschaut. Zwei Tui-Mitarbeitende brüten vor Palmenstrand-Postern über ihren PCs. Georges T. Roos hat auch hier gleich eine Interpretation zur Hand, wie fast bei allen Läden in der Mall. Denn das Einkaufsverhalten interessiert den Luzerner Zukunftsforscher und Dozenten genauso wie der Wertewandel oder andere gesellschaftliche Entwicklungen (siehe Box).

Revival der Tourismusbranche

Der 54-jährige Roos zum Laden von Tui: «Die Reisebüros gehörten zu den ersten Verlierern des Internets.» Aber derzeit gebe es ein Revival, weil sich die Leute wieder gerne den Urlaub von Profis organisieren lassen – denn immer mehr Menschen verlieren sich zusehends im Dschungel des Internets. Aber alle Umsätze werden sie niemals zurückholen. Deshalb ist Roos gespannt, wie sich dieser Reiseveranstalter in der Mall halten wird.

Nespresso mit seinen gepflegten Boutiquen ist eine Marketing-Erfolgsgeschichte sondergleichen. Auch hier läuft ein Grossteil des Verkaufs über das Internet. Nespresso gehört mit Amazon, Zalando, der Migros-Tochter Digitec und Brack laut dem Marktforschungsunternehmen GFK zu den fünf Onlinehändlern, die 2016 mehr als die fünf grössten Shoppingcenter der Schweiz zusammen umgesetzt haben.

Mann der Zukunft: Georges T. Roos

Georges T. Roos, 54, in Basel geboren und in der Zentralschweiz aufgewachsen, studierte in Zürich Pädagogik, Publizistik und Psychologie. Roos lebt seit 30 Jahren in Luzern, war Journalist und ist Gründer eines privat finanzierten Zukunftsforschungsinstituts und der European Futurists Conference Lucerne. Heute ist er einer der führenden Zukunftsforscher der Schweiz. Seit 1997 analysiert er die treibenden Kräfte des gesellschaftlichen Wandels. Roos ist Vater von zwei Kindern.

Hier geht’s zu Roos’ Website.

«Die Kombination von Online-Handel und stationärem Laden wird sich wohl weiterentwickeln», ist Roos überzeugt. Und zwar mit Vorteilen für Netz statt Mall. Deshalb war er im Vorfeld neugierig, welche Firmen sich in Ebikon einmieten und auch wie sich die einzelnen Läden präsentieren.

Weil das Internet immer dominanter wird, findet Roos die physische Präsenz von Telekommunikationsläden wichtig: «Viele Ältere und Alte haben immer mehr Fragen, weil sie von Apps und der Bedienung ihrer Smartphones heraus- und meist gar überfordert werden.» Hier könnten die grossen Telekommunikationsfirmen viel Goodwill leisten. Weshalb auch die Präsenz in der Mall eine gute Sache ist.

«Ich finde hier zu 90 Prozent das, was ich auch in der Altstadt bekomme.»

Georges T. Roos, Luzerner Zukunftsforscher

Goodwill für die Mall ist bei Roos aber fehl am Platz: Schon nach dem Rundgang durch den ersten Stock zieht der Mann mit dem sicheren Blick für die Zukunft eine erste Bilanz: «Ich finde hier zu 90 Prozent das, was ich auch in der Altstadt bekomme: fast ausnahmslos dieselben Kleider- und Schuhläden, Optiker, Drogerie und Apotheke sowie ein paar Take-away-Buden.»

Ein weiteres Problem: Die Kleiderbranche wächst stark online, «und das macht das Risiko der Zukunft gross für alle Malls, die mehr als 70 Prozent auf Bekleidung setzen», so Roos. Die Umsätze werden in dieser Branche sicherlich früher oder später massiv wegbrechen. In Ebikon sind derzeit 40 von 82 Läden aus dem Bekleidungssektor, das sind nicht ganz 50 Prozent.

Architektonisch freundliche Atmosphäre

Wir bummeln durch die drei Stockwerke, und zumindest architektonisch kann Roos dem neuen Center, dem zweitgrössten der Schweiz, einiges abgewinnen: «Die freundliche Atmosphäre gefällt mir durchaus, die Mall erinnert mich an eine Ladengasse, alles ist übersichtlich strukturiert.»

Gelungene Architektur: Nichts zu bemängeln hat der Zukunftsforscher Georges T. Roos beim Schein.

Gelungene Architektur: Nichts zu bemängeln hat der Zukunftsforscher Georges T. Roos beim Schein.

(Bild: hae)

Nicht lange hält es Roos im Drogerie-Discounter Müller, der in Deutschland und Österreich bereits ganz gross ist. Auf diesen Laden freuten sich viele Konsumenten, die gerne für den Einkauf von Gesundheitsartikeln ins Ausland reisen. Roos findet bei Müller zwar seine geliebten Produkte für die Zahnhygiene, stellt aber schnell fest, dass die Preise hier nicht billiger sind als anderswo. Roos staunt: «Hier gibt es Vollversorgung: von Gummibärchen bis Zahncreme.»

Tatsache ist, dass der grosse Müller-Laden bereits morgens am meisten Kundschaft hat. Auch die Bäckerei Bachmann ist sehr gut besucht, es findet sich kein leerer Tisch. Hingegen bleiben viele der kleineren Läden unbesucht, vor den Beauty-Salons versuchen junge Hostessen, Kundinnen hereinzulocken.

Shoe-Corner mit fünf Geschäften

Georges T. Roos macht auf einen regelrechten Shoe-Corner mit gleich fünf Geschäften Tür an Tür aufmerksam: Bata, Dosenbach, Ochsner Shoes, Foot Locker und Snipes. Die können Roos allerdings kaum über die Türschwelle locken, denn hier findet er nur das Ewiggleiche und Altbekannte.

Pretty in Pink und gut besucht: Die Bäckerei Bachmann sorgt auch hier für den Break beim Shopping.

Pretty in Pink und gut besucht: Die Bäckerei Bachmann sorgt auch hier für den Break beim Shopping.

(Bild: hae)

Sehr interessiert hingegen ist der Zukunftsforscher beim Adidas-Store. Roos sagt: «Adidas baut in Deutschland eine Speedfactory – praktisch vollständig automatisiert unter anderem mit additiven Fertigungsmethoden. Das ist Industrie 4.0.» Der Kunde kann sich online Schuhe in Farbe, Form und Ausstattung individuell selber zusammenstellen, diese werden dann vollautomatisch in der Fabrik produziert – «und wohl bald mal am selben Tag per Drohne geliefert». Zukunftsmusik also in der Mall.

Interessant sei in diesem Zusammenhang auch, dass die Produktionsstätten aus den Billiglohnländern im Osten zurück in den Westen und im Falle von Adidas nach Deutschland kommen, weil man mittlerweile dank Robotern noch mit zehn Prozent des einstigen Produktionspersonals auskomme.

Einziger Adidas-Shop der Schweiz

Im Adidas-Shop erfahren wir, dass dies der einzige in der Schweiz ist. Sobald dann die ausgestellte Ware nicht mehr der letzte Schrei ist, wandert sie in die Outlets, von denen es ein halbes Dutzend in der Schweiz gibt und der nächste sich in Cham befindet.

Etwas blass findet Roos allerdings die Präsentation, wo sich Ständer an Ständer an Regal reiht: «Ich kenne Nike-Shops in London und New York, die sich als regelrechte Erlebnistempel präsentieren; man kann dort etwa Basketball spielen.» Insofern freut sich Roos auf die Welle. Doch das Indoor-Surfparadies in der Mall kommt erst im Frühling.

Ob er dann nochmals wiederkehrt, beispielsweise mit einem Göttibub? Roos: «Die Welle ist noch kein triftiger Grund für mich.» Und wohl auch das Wandpiano kaum, das ihn immerhin eine Minute lang fasziniert: Roos spielt «Alle meine Entchen», ein paar Kids bleiben stehen.

«Alle meine Entchen»: Georges T. Roos lässt sich zum Spiel am Wandklavier hinreissen.

«Alle meine Entchen»: Georges T. Roos lässt sich zum Spiel am Wandklavier hinreissen.

(Bild: hae)

Spontan geht Roos dann in die kleine Lederboutique Colomo. Wir erfahren, dass das der erste Shop für Schuhe, Taschen, Gürtel und Accessoires aus kolumbianischem Leder in der Schweiz ist. Inhaberin Susanne Schubert sagt: «Uns gibt es bislang online, und es lief so gut, dass ich den Schritt wagte, mich als Pop-up-Store ein Jahr einzumieten. Wie es hier in der Mall auch Tesla oder Indian Motorcycles machen.»

«Pop-up-Shops sind ein interessantes Konzept für die Mall-Betreiber, denn so gibt es immer mal wieder Neues für den Kunden zu entdecken.»

Georges T. Roos, Trendforscher

Diese Pop-up-Shops gefallen Roos: «Ein interessantes Konzept für die Mall-Betreiber, denn so gibt es immer mal wieder Neues für den Kunden zu entdecken.» Zudem findet es der Zukunftsforscher bemerkenswert, dass Schubert mit dem Colomo-Laden als bisher reinem Online-Händler in die Mall gekommen ist: Ob das die Zukunft ist?

Gerne betritt Roos als Götti und Vater den «Spielkiste»-Ableger aus Luzern, wo er zielstrebig die Plastikpferdchen sucht, die sein Göttimeitschi sammelt. Er dürfte nicht der einzige sein. «In der heutigen Zeit von Patchworkfamilien und Überalterung gibt es immer mehr Bezugserwachsene pro Kind: Eltern, Stiefeltern, Grosseltern – alle wollen Gutes tun für immer rarer werdende Kinder. Da ist man sehr ausgabefreudig und viele sind bereit, für teure Geschenke ins Fachgeschäft zu gehen.»

Alternativen zum Migrosladen

Gespannt ist Roos auch auf die Migros, wo er regelmässig und gerne einkauft, allerdings in der Stadt, wo er auch wohnt. «Muss ich in Zukunft auch in die Mall-Migros?», fragte er sich schon bei der Anfahrt im Zug.

Tomatentest: Georges T. Roos hält das Gemüse zwar für schön bunt – aber leider wenig geschmackvoll.

Tomatentest: Georges T. Roos hält das Gemüse zwar für schön bunt – aber leider wenig geschmackvoll.

(Bild: hae)

Die Frischwaren sehen auch in der Mall-Migros erwartungsgemäss bunt und verlockend aus, doch den Tomatentest besteht auch diese Filiale nicht: «Ich rieche nur die Äste der Rispentomaten, wie leider überall in Schweiz.»

Highlight: SwissPass erleichtert Garderobe

Zwei Stunden später schlendert Roos relaxed zur Garderobe, stressig war der Rundgang nicht. Aber auch nicht wahnsinnig aufregend. Ausser: Dass Georges T. Roos seinen Mantel mit dem SwissPass der SBB einschliessen konnte, anstatt mühsam einen Code einzugeben, das hat ihm imponiert. Doch das ist ein magerer Grund für einen Zukunftsforscher wie Georges T. Roos, in Bälde mal wieder in die Mall of Switzerland zu kommen.

Das Highlight: Georges T. Roos schliesst mit dem SwissPass seinen Mantel in die Garderobe ein.

Das Highlight: Georges T. Roos schliesst mit dem SwissPass seinen Mantel in die Garderobe ein.

(Bild: hae)

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