Solidarität mit Menschen in Not

«Zuger Waffen Zuger Geld, morden mit in aller Welt»

Demonstrieren kann auch schön aussehen: Der Umzug im Sonnenuntergang vor der Rössliwiese. (Bild: fam)

Sind 200 Menschen viel oder wenig? In der kleinen Stadt Zug sieht die Menge gut aus. Und es gibt wohl keinen schöneren Ort zum Demonstrieren als vor dem Zuger Sonnenuntergang. Auch wenn einem das Lächeln im Hals stecken bleibt. Denn hier geht es um Flüchtlinge, die im Mittelmeer zu Tausenden sterben.

«200 Leute sollten es schon werden», sagt Andreas Lustenberger optimistisch. Noch stehen den drei Polizisten auf dem Bundesplatz etwas verloren einer Handvoll Demonstrierenden gegenüber, aber das wird sich dann plötzlich ändern. Denn es sind rund 30 Organisationen, die zur Demonstration «Hinstehen und Herz zeigen: Solidarität mit Menschen in Not» aufgerufen haben. Parteifahnen sind trotz Wahlkampf keine auszumachen. Stattdessen selbstgemachte Transparente, teilweise frisch gebügelt, wie gewisse Teilnehmer stolz auf Facebook posten. Den Erlös aus dem Verkauf von Solidaritätsbuttons geht an die Glückskette.

«Der Auslöser für die Demo war schon der Lastwagen mit den Leichen der Flüchtlinge», sagt Lustenberger, «und die Demonstrationen in anderen Städten. Wir wussten, wir müssen auch so etwas machen. Es kommen jeden Tag so viele Leute auf die Hilfswerke zu und fragen, wie sie helfen können. Da mussten wir irgendwie etwas bieten, an dem man sich beteiligen kann.» Die Demonstration wurde von Teilen der jungen Grünen und der Juso organisiert. Aber da sind auch viele andere junge Leute in gelben Westen dabei, den Zug zu lenken, die zu keiner Partei gehören. Und ältere Menschen, Familien mit Kindern.

Anders als bei ähnlichen Demos in Zürich geht in Zug das Demonstrieren fröhlich und gemütlich zu und her: Die Polizei regelt für die Demonstranten gratis den Verkehr und lässt sie ungestört zum Landsgemeindeplatz und dann zur Rössliwiese pilgern.

«Macht viele Bilder heute Abend»

Sind 200 Demonstrierende viel für Zug? Oder doch eher wenig, angesichts der 3000 Demonstranten, die in Aarau auf den Strassen waren? Man ist sich nicht ganz einig in den Reihen der Mitläufer. Immerhin ist es ein Zeichen. Für richtig lautstarke Demo-Chöre sind die Megaphone aber zu leise eingestellt, dafür werden die Teilnehmer kreativ und machen aus dem Schweizer prompt ein Zuger Problem: «Zuger Waffen Zuger Geld, morden mit in aller Welt» skandiert ein Teil des Zugs, «das ist viel besser», sagt jemand begeistert, viel besser als «Schweizer Waffen Schweizer Geld».

Und dann geht ein bisschen die Post ab. Aber sehr gemütlich.

Und dann geht ein bisschen die Post ab. Aber sehr gemütlich.

(Bild: fam)

Die Menge zieht durch den Zuger Sonnenuntergang, vorbei an den Cafés am Landsgemeindeplatz, bricht in spontane Gespräche mit den Café-Gästen aus, marschiert vorbei an den Pärchen auf der Rössliwiese, da werden Smartphones gezückt und Filme gemacht. «Bilder haben eine grosse Wirkung», sagt Lustenberger, sobald wir beim Podium eingetroffen sind, «darum macht viele Bilder heute Abend und schickt sie um die ganze Welt, damit die Leute auf der Flucht sehen, sie sind bei uns willkommen, und wir unterstützen sie, wenn sie hierherkommen.» Jubel bei den Demonstranten. Yannick Ringger und die Co-Präsidentin der Juso Zug, Sophia Moczko, singen den Toten Hosen Song «Europa», singen «sag mir, dass das ein Märchen ist, mit Happy End für alle Leute, aber wenn sie nicht gestorben sind, dann sterben sie noch heute.» Und dahinter löst sich der preisgekrönte Zuger Sonnenuntergang zwischen zwei Segeljachten in seine ganze goldene Pracht auf.

«Was sollen sie anderes tun?»

«Diese unsägliche Unterscheidung zwischen echten und falschen Flüchtlingen», sagt Lustenberger dessen ungeachtet zur Versammlung, «die finde ich untragbar. Was sollen denn diese Menschen anderes tun, wenn wir ihre Wälder abholzen, ihre Meere leerfischen, ihre Ressourcen zu menschenverachtenden Bedingungen ausbeuten und schlussendlich unseren Dreck bei ihnen entsorgen?» Die Menge jubelt.

«Solidarität ist nichts anderes als die Übersetzung von Liebe.»

Pfarrer Alfredo Sacchi

Auch die Kirchen machen mit beim Umzug, vielleicht mit ein Grund, dass der Name in «Hinstehen und Herz zeigen» umgewandelt wurde, eigentlich hätte das ganze «Aufstand der Anständigen» heissen sollen, man hat sich dann der Allgemeinverträglichkeit halber auf etwas Versöhnlicheres geeinigt. «Kein Problem für mich», sagt Lustenberger und grinst, «finde ich gut.» Pfarrer und Domherr Alfredo Sacchi ergreift das Wort am Podium. «Solidarität ist nichts anderes als die Übersetzung für Liebe. Liebe in einem sozialen und politischen Kontext. Und es ist Liebe, die es braucht.»

Die Kirchen hätten es nicht geschafft, ihre Kernbotschaften ins Leben zu bringen. «Wir haben viel Schuld auf uns geladen.» Ihre Kernbotschaft sei dennoch heute wichtiger denn je: «Alle Menschen sind gleich. Sie sind nach Gottes Ebenbild geschaffen, als Männer und Frauen. Sie haben alle die gleiche Würde.»

Narzisstisch genialer Gutmensch

Und dann taucht Knackeboul auf. Der Beatboxer erklärt zuerst mal der Versammlung, warum man ihn kennen sollte, verblüfft alle mit einer kurzen Runde Beatboxen und sagt dann: «Ich bin nicht bescheiden. Ich bin kein Gutmensch. Aber ich finde, man muss sich zu diesem Thema äussern können ohne gleich als Gutmensch und als naiv bezeichnet zu werden.» Die spontane Rede kriegt er auf recht narzisstisch geniale Weise mit einem guten Twist auf die Reihe: «Man sagt mir dann immer, ich sei naiv weil ich mich zu politischen Themen äussere. Es darf aber nicht sein, dass man sich nur zur Flüchtlingsthematik äussern kann, wenn man selber zuhause eine Flüchtlingsfamilie durchfüttert.»

Denn es sei ein Thema, das uns alle angeht, sagt Knackeboul. «Wenn jeder hier sich nur kurz vorstellt, was er tun würde, wenn in seinem Land Elend herrschen würde. Dann kann jeder die Flüchtlinge verstehen. Dann spricht niemand mehr von Wirtschaftsflüchtlingen. Denn dieses Märchen von den Wirtschaftsflüchtlingen, das ist schlicht nicht wahr.»

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