Bewährte Rezepte der ungepflegten Debattierkunst

Zuger Polit-Kultur: War früher alles besser?

Boxhandschuhe als Symbole roher Männlichkeit. Doch Boxer lächeln nicht. Links Stadtpräsident Dolfi Müller (SP), rechts Stadtrat André Wicki (SVP), in der Mitte der Moderator Beat Holdener. (Bild: doku-zug.ch)

Aggressive Töne, Beleidigungen, Schmierereien auf Plakaten: Verroht die Polit-Kultur in der Stadt Zug allmählich? Neue politische Vorstösse vermitteln diesen Eindruck. Wir fragten uns: War es früher besser? Oder schlimmer? Und haben deshalb Schlagzeilen aus den letzten 20 Jahren ausgegraben.

Die Stadtzuger Gemeinderätin Monika Mathers (CSP) kritisierte kürzlich in einem Vorstoss Falschinformationen vor Abstimmungen. Sie verlangte, dass der Stadtrat eingreift und korrigiert. Und sie ist nicht die Einzige. Gemeinderat Gregor Bruhin (SVP) stört sich an verunstalteten Plakaten.

Aber ist das alles neu? Wurde früher mit weicheren Bandagen gekämpft? Wir haben das Archiv von doku-zug.ch durchforscht, in dem fein säuberlich Tausende von Zeitungsartikeln zur städtischen Politik abgelegt sind. Der erste Eindruck bestätigt unsere Annahme: Es ging auch früher heftig und emotional zu und her in Zug.

Werfen wir einen Blick in eine lange zurückliegende Stadtratswahl: Anno 1994. Damals wollte die SP mit Othmar Romer das Stadtpräsidium erobern. Romer trat gegen FDP-Mann Christoph Luchsinger an. Ein Leserbriefschreiber fragt sich, ob ein Linker denn die (bürgerliche) Mehrheit im Stadtrat nach aussen vertreten könne.

(Bild: mbe.)

Ins Auge gestochen wegen seinem originellen Titel ist uns ein Inserat von damals. «Romer-City oder Luchsinger-City?» laute die Frage. «Zug, Eldorado der neureichen Wirtschaftswunderkinder – oder Zug, Provinzstadt mit Charme, bewohnt von ganz normalen Menschen.» Romer stehe für die Menschen, die das Herz und die Seele dieser Stadt ausmachten, Luchsinger verkörpere smart das coole Business, schreibt der Inserent. Unterschrieben ist das Inserat mit – Dolfi Müller, Zug, damals Gemeinderat.

Stadtratswahlkampf 1994.

Stadtratswahlkampf 1994.

(Bild: doku-zug.ch)

Othmar Romer gewann. Zum ersten Mal in der Geschichte stellte die SP das Stadtpräsidium, vier Jahre lang. 1998 wurde sein Konkurrent Christoph Luchsinger dennoch gewählt. Der Stadtrat setzte sich künftig aus zwei SP-, zwei FDP- und einem CVP-Politiker zusammen und war ein «Männerkränzchen», wie die «Zuger Zeitung» damals titelte.

Auch früher schon verunstaltete Plakate

Und auch das Thema der verunstalteten Plakate ist nicht neu in Zug. In einem Artikel der Zuger Presse von anno 1990 werden die ärgsten Bekritzelungen gezeigt. Die Wahlplakate seien «ausnehmend langweilig» gewesen und hätten «automatisch zu Veränderungen aufgerufen», schrieb ein Journalist. Manche seien eher phantasievoll-modifizierend, andere «dummdreist-verunstaltend». Wie zum Beispiel das «RAF»-Zeichen auf der Stirn einer linken Kandidatin, schreibt die ZP.

Schon früher wurden Wahlplakate von Kandidaten verschmiert, wie dieses Foto von 1990 zeigt.

Schon früher wurden Wahlplakate von Kandidaten verschmiert, wie dieses Foto von 1990 zeigt.

(Bild: mbe.)

Ein Gump nach vorne um zwölf Jahre: 2002 war ein seitenverkehrtes Bild der Berge auf einer SVP-Werbung ein ungewollt komisches Wahlkampfthema. Ebenfalls unterlief der Zuger Stadtkanzlei ein Schnitzer: Auf den Wahlzetteln sind die Kandidierenden von CVP und FDP nicht wie von den Parteien eingereicht, sondern in alphabetischer Reihenfolge aufgelistet.

(Bild: mbe.)

Ein beliebtes Mittel sind auch damals Leserbriefe in der lokalen Tages- und Wochenpresse. Damals nur Print. Da wird über Sachthemen geschrieben, aber auch über Personen hergezogen. Eine beliebte Reizfigur für bürgerliche eingestellte Zuger war Jo Lang. Er «predigt Wasser und trinke Wein», schreibt Peter Brändli aus Zug 2011 in einem Leserbrief. Der Grund: Lang sei für die Annahme der 2000-Watt-Initiative. Lang habe als Parlamentarier ein Erstklass-GA, das ihm ermögliche, als fleissiger Pendler im klimatisierten Intercity herumzureisen. Er reise auch im Flugzeug ins Ausland in seiner Funktion als Parlamentarier. Lang sei einer der Menschen, die das Ziel der 2000-Watt-Initiative deshalb nie und nimmer erreichen könnten, so Brändli.

(Bild: mbe.)

In der gleichen Ausgabe wirft die damalige GLP-Gemeinderätin Michèle Kottelat einer «Gruppe mehrheitlich älterer Herren» vor, die 2000-Watt-Initiative zu verteufeln. Sie seien alle Mitglieder der AVES (Aktion für vernünftige Energiepolitik Schweiz). «Sie ist die Lobby der Atomenergie», schreibt Kottelat und diese sei schuld daran, dass die Schweiz bei alternativen Energien ins Hintertreffen geraten sei.

Voll auf die Person gezielt

Manchmal schiessen auch (ehemalige) Magistraten auf Personen. Das ist aber eher selten. Ein Beispiel: «Auch ich alt Stadträtin freue mich für Vroni Straub, dass nun das Trauerspiel um Jürg Kraft endlich ein Ende gefunden hat», schreibt alt Stadträtin Andrea Sidler Weiss im März 2011 in einem Leserbrief, der tief blicken lässt. Das «Ei in Form von Rektor Kraft» habe für Vroni Straub endlich entfernt werden können. Dann schiesst die Exstadträtin auch noch auf einen Journalisten, Wolfgang Holz. «Mich hat Holz in der Vergangenheit nämlich diskreditiert und angeschwärzt, ohne mir die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben». Grobes Geschütz in einem Leserbrief, und er wurde abgedruckt.

(Bild: mbe.)

«Früher haben die Leute oft die Faust im Sack gemacht. Heute ist man nicht mehr bereit, Entscheide einfach so zu schlucken», sagt Stadtpräsident Dolfi Müller in einem Artikel mit dem Titel «Zuger zeigen sich kampflustig». Politische Autoritäten hätten nicht mehr die gleiche Wirkung. Und er fügt hinzu: «Die Leute haben mehr Mut, gegen den Staat anzutreten.»

Seit 2001 respektvoller?

In einem weiteren Dokument von 2014 haben wir eine interessante Aussage zur Tonalität von Wahlkämpfen gefunden. Journalisten und auch gewisse aktive oder ehemalige Politiker stellen regelmässig bedauernd fest, dass ein eigentlicher «Kampf» gar nicht mehr stattfinde. Sie vermissen das Salz in der Suppe, die direkten Auseinandersetzungen in Streitgesprächen. Sie schärfen das Profil der Kandidaten. Wahlplakate hingegen sind stumm.

(Bild: mbe.)

Der Zentralschweizer Politexperte Iwan Rickenbacher findet die Wahlkämpfe ebenfalls «sehr gemässigt». Er sieht aber einen wichtigen Grund dafür: das Attentat 2001. «Die Wende der Tonalität im Kanton Zug trat mit dem schrecklichen Ereignis des Attentats ein. Seither bemühen sich die politischen Gegner im Kanton um viel Respekt im Umgang.» Und das Internet, das damals noch jung war, sollte eine immer wichtigere Rolle spielen. Die etablierten Medien erhielten neue Konkurrenz.

(Bild: mbe.)

Und noch einige Beispiele aus jüngster Zeit: Einzelne Sachabstimmungen waren hoch emotional. Allen voran das Milliardenprojekt des Stadttunnels im vergangenen Jahr. Aber auch Themen wie der umstrittene Abriss des Schwerzmann-Hauses neben der Hauptpost weckten grosse Emotionen.

«BS14 wie Politbüro der Kommunistischen Partei»

In den städtischen Wahlen 2014 war vor allem das bürgerliche Komitee BS14 ein grosses Thema. Doch, abgesehen vom üblichen Links-Rechts-Hickhack, gab es auch manch überraschende Sichtweisen. So schreibt Henry Bachmann zum Beispiel: «Die Zuger Stimmbürger brauchen kein Politbüro.» Er meinte aber nicht die Linken, wie man annehmen könnte, sondern die Art, wie BS14 seine Kandidaten auswählte. «So nominierte früher das Politbüro der KPdSU ihre Kandidaten, und die Versammlung hatte sie abzusegnen», schrieb Bachmann.

(Bild: mbe.)

Ein weiterer Leserbrief zum Thema ist uns ins Auge gestochen: Martin Stuber, ALG, kritisierte Urs Raschle, weil er sich dazu bekannt habe, einen reinen BS14-Stadtrat mit fünf Männern anzustreben, und von einem «Dreamteam» gesprochen habe. Es kam dann nicht so.

Die Stimmbürger entschieden sich dann bekanntlich für den Weg der Mitte und «das Bewährte»; sie wählten CVP-Kandidat Urs Raschle neu in den Rat und bestätigten die Bisherigen, so auch SP-Stadtpräsident Dolfi Müller und CSP-Stadträtin Vroni Straub-Müller. Die Bürgerlichen Stefan Moos (FDP) und Jürg Messmer (SVP) blieben draussen.

(Bild: mbe.)

«Putschversuch misslungen», schrieb Michèle Kottelat im Namen «weitsichtiger bürgerlicher Wähler». Der Zuger Stadtrat habe wieder eine bürgerliche Mehrheit, BS14 sei es aber nicht gelungen, «die totale Macht» zu übernehmen.

Ein Thema war auch die polemische anonyme Homepage, auf welcher der Verein BS14 ins Lächerliche gezogen wurde. Auf der Webseite wurde zum Beispiel Fernseh-Bachelor Vujo Gavric Aussagen in den Mund gelegt, die bürgerlichen Stadtratskandidaten seien «ein trauriger Altherrenhaufen». Der Verein nahm’s gelassen, und Gavric selbst meinte, er habe für solchen Schwachsinn keine Zeit. «Wenn Leute so was machen müssen, haben sie Minderwertigkeitskomplexe», sagte er der Neuen Zuger Zeitung. Die Seite wurde schliesslich vom anonymen Betreiber vom Netz genommen.

Unten finden Sie noch einige andere Trouvaillen aus dem Zuger Politleben:

(Bild: mbe.)

(Bild: mbe.)

(Bild: mbe.)

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