Kommt doch ein Obligatorium?

Zuger Pendler meiden die Schutzmasken

Am Bahnhof Zug sieht man kaum Pendler, die eine Schutzmaske tragen. (Bild: Archivbild Emanuel Ammon/Aura)

Wäre ein Maskenobligatorium im ÖV nicht doch sinnvoll? Ein Entscheid des Bundesrates steht unmittelbar bevor. Aktuell trägt auch im Raum Zug nur eine Minderheit der Passagiere im öffentlichen Verkehr eine Schutzmaske.

Die Bahnhofunterführung in Rotkreuz ist nichts für Leute mit Platzangst. Jedenfalls nicht zu Stosszeiten. Der Durchgang ist eng und lang, ein eigentlicher Schlund. Und es hat – zu den einschlägigen Zeiten und im Normalbetrieb – sehr viele Leute dort.

Wenn etwa abends um 19.10 Uhr der IR von Zug her in Rotkreuz eintrifft, zwängt sich wenige Sekunden später eine dichte Menschenmenge durch die Passage. Es wird pressiert und auch schon mal gedrängelt. Auf dem gegenüberliegenden Perron warten die Verbindungszüge; der Anschluss Richtung Süden ist knapp bemessen.

Das grösste Gedränge vermeiden

Ist das gefährlich? «Bei einem kurzen Kontakt – zum Beispiel, wenn Personen aneinander vorbeigehen – besteht an der frischen Luft nur ein sehr kleines Ansteckungsrisiko», beruhigt der Zuger Kantonsarzt Rudolf Hauri auf Anfrage. Nebst der Kontaktdauer sei auch der Luftzug von Bedeutung.

Dennoch sei auch an solchen Stellen das grösste Gedränge zu vermeiden. «Bei einer Kontaktdauer von unter 15 Minuten ist man aber auch in einer bevölkerten Unterführung nicht besonders stark ansteckungsgefährdet.»

Zuger Gesundheitsdirektion warnt vergeblich

Für Bahnreisende steht das Ansteckungsrisiko während der Zugfahrten selber im Vordergrund. Dort sitzen die Passagiere oftmals auf engem Raum längere Zeit einander gegenüber. Den gebotenen Abstand einzuhalten ist oft schwierig oder gar unmöglich.

Die reelle Gefahr einer Ansteckung besteht aber auch aktuell noch immer. «Die Pandemie ist nicht überstanden, weitere Ausbrüche sind nach wie vor möglich. Gerade nach den beschlossenen Lockerungen sind die Abstands- und Hygieneregeln wieder umso wichtiger», warnte die Zuger Gesundheitsdirektion am Mittwoch in einer Medienmitteilung.

Die Sache mit der Eigenverantwortung

Im ÖV könnte eine dieser Schutzmassnahmen das Tragen einer Maske sein. Das BAG und die Bahnunternehmungen hatten bisher an die Eigenverantwortung appelliert.

Das scheint nicht so richtig zu klappen. Wer sich tagsüber etwa im Bahnhof Rotkreuz umsieht, trifft auf relativ wenig Reisende, die eine Schutzmaske tragen. Vielleicht ein halbes oder auch ein ganzes Dutzend  – Bahnpersonal inklusive – mag es jeweils sein.

Ein ähnliches Bild zeigt sich auch im Bahnhof Zug. Diese Einschätzung deckt sich in etwa mit einer Analyse des «Tagesanzeigers». Dieser Erhebung nach sind in den Bahnhöfen Bern, Lausanne und Zürich nur sechs Prozent der Reisenden mit einer Maske unterwegs. Entsprechend würden die Fallzahlen wieder steigen.

Appell an die Solidarität

Das mit der Eigenverantwortung ist im vorliegenden Zusammenhang also so eine Sache: Wer eine Hygienemaske trägt, schützt nämlich ganz entscheidend sein Gegenüber.

«Die üblichen Hygienemasken schützen tatsächlich vor allem die Umgebung vor einer Ansteckung, obwohl auch für die Maskentragenden von einer eingeschränkten Schutzwirkung – zum Beispiel vor Spritzern – ausgegangen werden kann», erklärt der Zuger Kantonsarzt Rudolf Hauri.

Um eine gute Schutzwirkung zu erzielen, wäre es deshalb insgesamt nötig, dass mehr ÖV-Passagiere eine Schutzmaske tragen würden, als dies bisher der Fall gewesen sei. «Weder der Bund noch die Transportunternehmen haben aber eine Maskenpflicht ausgerufen, weshalb hier nach wie vor nur an die Solidarität appelliert werden kann.»

Vorschriften lösen Gegenreaktionen aus

In den Zügen gebe es sehr unterschiedliche Situationen und diesen werde man mit einem Obligatorium nicht unbedingt gerecht. «Wir müssen wohl auch aufpassen, dass wir mit Vorschriften, die nicht zu bestimmten Situationen passen, nicht kontraproduktiv werden.

Massnahmen, die nicht verstanden werden, lösen schnell Gegenreaktionen aus.» Hauri verweist dabei auf die Covid-Demonstrationen. Er ergänzt allerdings auch: «Aber natürlich ist das eine Gratwanderung.»

Das «Herumdrücken» der Verantwortlichen

Ganz klar die Position von Heinz Vögeli von der Denkfabrik Mobilität. Vögeli schreibt auf Anfrage: «Ohne langes Hin und Her: Es ist völlig klar, Maskenpflicht im ÖV auch in der Schweiz. Zu lange drücken sich die Verantwortlichen schon um diese Frage herum.»

Für ein Maskenobligatorium hat sich schon vor einiger Zeit auch der Verband des Zugspersonals ausgesprochen. Das Personal fürchtet um die eigene Sicherheit, weil aktuell im ÖV nur ein kleiner Teil der Reisenden mit einer Schutzmaske unterwegs ist.

In Zürich machte es der Stadtrat vor

In der Stadt Zürich macht sich auch der Stadtrat für das Tragen von Schutzmasken im ÖV stark. So wies die Stadtregierung mit einer Aktion auf die Bedeutung des Themas hin: Die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) hatten im Mai rund 50'000 Schutzmasken verteilt.

Der zuständige Stadtrat, Michael Baumer (FDP), sagt, die Aktion habe dem Stadtrat und den VBZ viele Sympathien eingebracht. «Die Bevölkerung nimmt wahr, dass Stadtrat, Stadtverwaltung und VBZ alles tun, um das Reisen im öffentlichen Verkehr sicherer zu machen. Und das ist wichtig.»

Die Wirkung sei allerdings noch überschaubar. «Nach Wahrnehmung der VBZ tragen unter 5 Prozent der Fahrgäste eine Maske.» Der positive Effekt der Sensibilisierung sei aber, dass Menschen, die eine Maske tragen wollen, sich nun eher getrauten, dies auch zu tun.

Zug bleibt vorerst bei der «starken Empfehlung»

Wäre eine solche Aktion auch für Zug denkbar? Der Zuger Stadtpräsident Karl Kobelt erklärt, dass die Sicherheit gewährleistet ist, wenn die Hygiene- und Abstandsvorschriften eingehalten werden. Er verweist auf die Empfehlungen der Zugerland Verkehrsbetriebe (ZVB).

Der Einhaltung dieser Vorschriften komme nach wie vor höchste Priorität zu. «Eine Wiederholung dieser Vorschriften durch den Zuger Stadtrat ist nicht notwendig», findet er.

Karin Fröhlich von der ZVB verweist auf Anfrage auf das nationale Schutzkonzept ÖV und ergänzt: «Im öffentlichen Verkehr können die zwei Meter Abstand nicht immer eingehalten werden. Für diesen Fall gilt schweizweit die starke Empfehlung, eine Maske zu tragen.»

Entscheid eventuell schon diesen Freitag

Laut BAG-Sprecher Daniel Dauwalder diskutieren das BAG und der Bundesrat derzeit die Frage der Maskenpflicht. Auf Anfrage teilt Dauwalder mit, der entsprechende Entscheid des Bundesrates werde «in den kommenden Tagen» kommuniziert. Noch sei nicht klar, ob dies bereits am Freitag sein werde.

Der Zuger Kantonsarzt Rudolf Hauri wagt keine Prognose, sagt aber: «Politisch scheint ein Obligatorium derzeit wenig wahrscheinlich.» Es ist wohl tatsächlich eher nicht davon auszugehen, dass sich der Bundesrat momentan für ein Obligatorium entscheiden wird.

Dies obwohl sich Stefan Kuster, der neue Leiter der BAG-Abteilung Übertragbare Krankheiten, im Gegensatz zu seinem Vorgänger Daniel Koch schon öffentlich für eine Maskenpflicht ausgesprochen hat.

Vor diesem Hintergrund ist aber denkbar, dass der Bundesrat kommuniziert, er werde die Maskenpflicht dann einführen, wenn die Fallzahlen wieder eine bestimmte Höhe erreichen sollten. So oder anders: Man darf auf den Entscheid des Bundesrates gespannt sein.

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Petra Moor
    Petra Moor, 21.06.2020, 17:15 Uhr

    Die Gesundheitspolitiker schliefen bei Beginn der Pandemie; dann als es nicht mehr anders ging, wurde alles geschlossen und jetzt sind sie betört von den niedrigen Ansteckungsraten der letzten Wochen. Sie können sich leider kaum vorstellen, dass man auch präventiv handeln könnte. Und: Masken tragen schadet der Wirtschaft nicht.

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  • Profilfoto von mebinger
    mebinger, 19.06.2020, 15:56 Uhr

    Dann werde ich halt gebüsst , aber diese verfassungswidrige Busse ziehe ich bis vor Bundesgericht, den eine Maskenpflicht ist völlig unverhältnismässig

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