Thomas Baggenstos kritisiert Denkmalschutzgesetz

Zuger Architekt: «Auch Betonkisten sind schützenswert»

Beton-Legende in Zug: Fritz Stucky und Rudolf Meuli bauten die ersten Terrassenhäuser in der Schweiz. Sie sind nicht unbedingt schön, aber einzigartig.

(Bild: woz)

Wie viel Denkmalschutz braucht Zug? Eine Frage, welche die Gemüter immer wieder erregt. Nun muss der Kantonsrat über eine Gesetzesnovelle abstimmen, die Unterschutzstellungen noch erschwert. Das findet Thomas Baggenstos vom Bauforum Zug skandalös.

Der Denkmalschutz hat es im Boomkanton Zug traditionell schwer. Seit die Steueroase Investoren aus aller Welt anzieht, sind die Immobilien- und Bodenpreise in fantastische Sphären gestiegen. Viele, die ein Haus besitzen, versuchen, ihre Immobilie zu vergolden. Am besten mit einem Abriss und einem Neubau – um eine maximale Rendite herauszuschlagen.

Dementsprechend «modernisiert» sieht der Kanton Zug inzwischen aus – um die vielerorts gesichtslose Monokultur an Wohnblöcken und Hochhäusern noch einigermassen freundlich zu beschreiben. Der Denkmalschutz ist vielen Zuger Hausbesitzern grundsätzlich ein Dorn im Auge.

Nur 540 von 24’998 Häusern sind in Zug geschützt

Wie das kantonale Zuger Amt für Denkmalschutz und Archäologie ausweist, stehen derzeit 540 Gebäude von insgesamt 24’998 Häusern im Kanton Zug unter Denkmalschutz (Stand: 16. Mai 2018). Das entspricht nur 2,2 Prozent aller Gebäude.

Als schützenswert erachtet die Behörde insgesamt 5,9 Prozent aller Gebäude im Kanton Zug – das sind 1478 Objekte. Mit diesen Zahlen liegt Zug zwar offenbar schweizweit im Schnitt. Trotzdem erscheinen diese Zahlen mehr als beklagenswert für einen so wirtschaftsstarken Kanton in einem Land, das seine Traditionen sonst so hochhält (zentralplus berichtete).

«Das heisst, wenn ein Haus jünger ist als 70 Jahre, kann es gegen den Willen des Eigentümers nicht mehr unter Schutz gestellt werden.»

Thomas Baggenstos, Präsident Bauforum Zug

Nun soll der Denkmalschutz im Kanton Zug noch mehr geschwächt werden. Unter anderem durch die Abschaffung der unabhängigen Denkmalschutzkommission, die bislang im Vorfeld schon wichtige Fragen zwischen Behörde und Hausbesitzer abklärte. Aber auch durch einige neue Passi im Denkmalschutzgesetz selbst. Diese stossen bei Experten nach der ersten Lesung im Kantonsrat auf grossen Unmut.

Der Orris-Wohnblock in Zug: von aussen nicht unbedingt schön, aber …

Der Orris-Wohnblock in Zug: von aussen nicht unbedingt schön, aber …

(Bild: woz)

«Da ist zum einen die 70-Jahre-Regelung», sagt Thomas Baggenstos, Präsident des Bauforums Zug und Chamer Architekt mit einem Büro in Baar. «Das heisst, wenn ein Haus jünger als 70 Jahre ist, kann es gegen den Willen des Eigentümers nicht mehr unter Schutz gestellt werden.» Das komme quasi einem freiwilligen Denkmalschutz gleich.

Künftig nur noch Alter vor Qualität?

Das ist für den engagierten Architekten mit dem geschulten Blick für historisch wertvolle Bausubstanz in Zug ein absolutes No-Go. «Wenn das bei der zweiten Lesung des Denkmalschutzgesetzes durchkommt, bedeutet dies, dass der Denkmalschutz auf diese Weise zur Altersfrage eines Gebäudes verkümmert – und nicht dessen architektonische Qualität zählt.»

Zum anderen kritisiert Baggenstos die generelle Verschärfung der Kriterien für die Unterschutzstellung eines historischen Gebäudes. «Bis heute war eines der drei Kriterien – wissenschaftlich wertvoll, kulturell wertvoll und heimatkundlich wertvoll – ausreichend für ein Verfahren zur Unterschutzstellung», erklärt der Präsident der Zuger Architektenvereinigung. Nun wären zwei Kriterien erforderlich.

 

Zudem soll im novellierten Denkmalschutzgesetz das erforderliche Relevanzlevel jedes Kriteriums von «sehr hoch» seit 2012 nun auf «äusserst hoch» gesteigert werden. «Das sind absurde Wortspielereien, die der Sache nicht dienen», so Baggenstos.

«Das sind die ersten Betonterrassenhäuser in der Schweiz.»

Thomas Baggenstos, Chamer Architekt

Baggenstos sorgt sich vor allem um zahlreiche denkmalschützenswerte Gebäude im Kanton Zug, die aus den 50er- und 60er-Jahren stammen. Er fürchtet beispielsweise um den Erhalt der Terrassenhäuser von Fritz Stucky und Rudolf Meuli, die in der Stadt zwischen 1957 und 1960 in der Stadt Zug am Terrassenweg gebaut wurden.

«Das sind die ersten Betonterrassenhäuser, die in der Schweiz gebaut wurden», sagt er. Die müsse man nicht unbedingt schön finden im klassischen Sinne. «Aber sie sind eben baugeschichtlich von Bedeutung.» Das Gleiche gelte etwa für das Mehrfamilienhaus mit Werkstatt in der Zuger Grienbachstrasse 27 – ebenfalls von Stucky und Meuli.

Mit Corbusier-Schick im Erdgeschoss: Eines der Scheibenhäuser in Inwil. Beton mit architektonischer Qualität.

Mit Corbusier-Schick im Erdgeschoss: Eines der Scheibenhäuser in Inwil. Beton mit architektonischer Qualität.

(Bild: woz)

Der Betonblock anno 1966 ähnelt einem klassischen Plattenbau aus dem Osten. «Aber man erkennt eben an dem Haus die Bauweise mit Betonmodulen, die Stucky in der Schweiz als Erster entwickelt hat und in einer grossen Fabrik in Brasilien für die ganze Welt produzieren liess», erläutert Baggenstos. «Man sieht – auch Betonkisten sind durchaus schutzwürdig im Sinnen des Denkmalschutzes und nicht nur alte Bauernhäuser und Kirchen.» (siehe Video)

Erster länglicher Wohnblock dieser Art

Andere schützenswürdige Betonbauten erkennt der Architekt etwa in dem riesigen quaderförmigen Wohn- und Bürohaus von Arrigo Adorni anno 1958 an der Baarerstrasse. «Das war der erste längliche Wohnblock dieser Art in Zug», sagt er. Oder auch die Scheibenhäuser in Inwil an der Rigistrasse 163–165, ehemalige Arbeiterhochhäuser der Verzinkerei Zug und später der Landis&Gyr, mit dynamischem Corbusier-Schick und atemberaubenden Aussichten (zentralplus berichtete).

Wobei der Betonblock in der Baarerstrasse 115–117a in der Tat schützenswert wirkt, hat ihn der Eigentümer doch in all den Jahren in Sachen Fassadenanmutung an das Aussehen lateinamerikanischer Mietskasernen angenähert (zentralplus berichtete).

Auch andere Architektur im Kanton Zug – die nicht 70-jährig ist – findet Baggenstos durchaus erhaltenswert. Zum Beispiel die Reformierte Kirche in Rotkreuz (Baujahr 1969–71). Oder das ökumenische Kirchen- und Begegnungszentrum Chilematt in Steinhausen (Baujahr 1979–81).

«Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurden Sakralneubauten so konzipiert, dass der Pfarrer nicht mehr auf Latein und direkt zum Volk redete – eine völlige Neuheit. Dies kommt auch in der Architektur zum Ausdruck.» Baggenstos meint damit die neuen grossen Kirchensäle und Sakralräume, in denen der Pfarrer nicht mehr mit dem Rücken zum Kirchenvolk steht, sondern die eine neue Atmosphäre von Öffentlichkeit und Gemeinschaft erzeugen.

Das Haus Alpenblick 8 ist eigentlich ein «Stummelbau» im Verhältnis zu seinen viel grösseren Nachbarn – der Besitzer will es abreissen lassen anstatt zu sanieren.

Das Haus Alpenblick 8 ist eigentlich ein «Stummelbau» im Verhältnis zu seinen viel grösseren Nachbarn – der Besitzer will es abreissen lassen anstatt zu sanieren.

(Bild: woz)

Auch Schulbauten, wie das Schulhaus Städtli Cham (1958/59), seien schützenswert. Dieses Schulgebäude sei aufgrund seiner Pavillonbauweise durchaus etwas Besonderes. «Nicht zu vergessen natürlich die Chamer Hochhaussiedlung Alpenblick, die zwischen 1963 und 1968 von Josef Stöckli gebaut wurde. Hier will bekanntlich ein Eigentümer einen Wohnblock abreissen statt sanieren lassen, so Baggenstos (zentralplus berichtete).

Weibeln um neue Mehrheiten im neuen Kantonsrat

«Wir vom Bauforum Zug und mit uns auch sämtliche andere Architektenvereinigungen der Zentralschweiz wollen bis Ende Januar 2019, wenn über das Denkmalschutzgesetz in zweiter Lesung abgestimmt wird, erreichen, dass dieses durch Zusatzanträge wenigstens noch verbessert werden kann», sagt Baggenstos. «Wir hoffen dabei stark auf die Vernunft des neu zusammengesetzten Kantonsrats.»

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1 Kommentar
  • Profilfoto von igarulo
    igarulo, 28.11.2018, 18:41 Uhr

    Ich kenne die Stadtentwicklung Zugs seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts. Und leider ist sie eine totale Katastrophe. Ausser für die Immobilienindustrie. Sie konnte sich prächtig entwickeln. Die Denkmalpflege ist ein Zwerg gegenüber den wirtschaftlichen Mächten im Kanton. Sie hat kaum Wirkung und kostet nur. Also abschaffen und das Geld in die Volksschulen investieren und den Lehrerinnen anständige Löhne bezahlen! In Sachen Zuger Architektur und Rauplanung gibt’s nichts mehr zu schützen. Selbst die Altstadt als Zuger Ballenberg ist reines Alibi. Abreissen und in die Höhe verdichten, wie das Parlament an andern Orten auch die Bevölkerung zusammendrückt.

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