Was bedeuten all die Kunstprojekte?

Zug auf der Suche nach Tiefgang

Was sucht die Stadt da unten? Neue Werte, sagt der Stadtwanderer. (Bild: slam)

Alles perfekt aber tot. Das ist das Fazit eines Experten über die Stadt Zug. Kein Wunder will die was ändern. Sie neigt dabei zu grossangelegten Kunstaktionen. Und Jahrhundertbauwerken. Dafür gibt es einen Grund.

«Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen», lautet ein bekanntes Zitat von Helmut Schmidt. Da Ärzte mit Baukultur-Abschluss eher selten sind, behilft man sich in der Stadtentwicklung anderer sinnstiftender Berater. Beispielsweise aus der Architektur und den schönen Künsten. So auch in der kleinen Stadt Zug. Hier schmückt zum Beispiel eine riesige Licht-Installation von James Turrell den Bahnhof, hier wurde die Badi, der Landsgemeindeplatz und der Aufstieg zum Kunsthaus vom nicht weniger bekannten Künstler Tadashi Kawamata kunstvoll zugebrettert.

Das neueste Werk, welches Touristen und Ortsansässigen gleichermassen eine neue Sicht auf See und die sich daran anschmiegende Kleinstadt und ihre Ambitionen schenken soll, ist eine begehbare Wasserskulptur des Schweizer Künstlers Roman Signer (zentral+ berichtete). Ab den Mittagsstunden eilen Passanten herbei, um in der Tiefe dieses Schachts Fischschwärme zu bestaunen, die ihnen durch eine Panzerglasscheibe nicht minder verdutzt entgegenblicken. Zu Roman Signers Skulptur meint der Stadtpräsident Dolfi Müller: «Es ist Kunst, die breite Akzeptanz hat.» Und beschreibt seinen Eindruck vom Inneren des Kunstwerks mit: «Es ist so eine veränderliche Welt.»

«Das ist doch keine Kunst»

Vielleicht ist gerade diese veränderliche Welt das Dilemma, in dem die Stadt steckt. «Im Herz sind wir Kleinstädter, im Kopf aber Weltstädter», fasst der Stadtpräsident zusammen. Und das passt nicht recht zusammen. Deshalb steckt die Stadt in einem Neuerfindungsprozess, sucht den Sinn, mit Kunstaktionen und Jahrhundertbauwerken, und sucht ihn offenbar auch in der Tiefe. «Das ist doch keine Kunst!», hört man ein junges Mädchen beim Eingang der «Seesichten», in der Nähe der Katastrophenbucht, leicht enttäuscht rufen.

«Kunst muss irritieren, aber nicht nur», sagt Stadtpräsident Dolfi Müller, so auch im Fall der 14 Tonnen schweren und 6 Meter in die Tiefe ragenden Skulptur. «Wie bei ‹Herrliche Zeiten›», sagt Müller, und meint damit die Ausstellung queerbeet durch die Stadt unter Beteiligung junger Künstlertalente aus Zug (zentral+ berichtete), «müssen wir den Leuten weiterhin Irritierendes zumuten.»

Gemeinsamer Nenner: Viel Geld

Zentral ist für Müller, «was Kunst bei den Leuten bewirkt.» Auf die Frage, ob auch der von ihm befürwortete Stadttunnel ein Kunstgriff für die Stadtentwicklung wäre, meint der Stadtpräsident auch hier: «Eine sachliche Diskussion über den Stadttunnel ist manchmal schwierig. Das deutet darauf hin, dass der Stadttunnel manche auch irritiert.» Ist nun alles was irritiert gut für das moderne Bewusstsein der Kleinstädtler? Oder «wie geht etwas Kleines mit einem grossen Wurf um?» formuliert Dolfi Müller selbst das Problem mit dem Grossbauprojekt, welcher die Altstadt und das Zentrum von Stau und Emissionen befreien soll.

«Das ist typisch schweizerisch: Wenn man ein Problem nicht lösen kann, wird es vergraben.»

Benedikt Loderer, Stadtwanderer.

«Nur wenn man wirklich viel Geld hat, kommt man auf die Idee einen Stadttunnel zu bauen» findet Benedikt Loderer, der 1988 ursprünglich als Architekt die erfolgreiche Architektur- und Design-Fachzeitschrift «Hochparterre» gründete und seine Erfahrungen später im «Stadtwanderer» für die Öffentlichkeit zu verarbeiten begann. Nicht nur ökonomisch und historisch ist Zug ein Sonderfall. Auch geographisch sieht Loderer Zug «eingeklemmt zwischen Hang und See» schwierig gelegen.

Zu Tode geputzt

Der Verkehr wird damit zum Symptom. Der Stadttunnel könnte in dieser verzwickten Lage ein Kunstgriff und visionärer Balsam für die von Verkehr geplagte Kleinstädter-Seele sein. Für Loderer eine Utopie: «Das ist typisch schweizerisch: Wenn man ein Problem nicht lösen kann, wird es vergraben.»

Dabei gäbe es auch andere Symptome für die Probleme der Stadt, solche die man nicht mit einem Tunnel bekämpfen kann. «Gehen Sie mal um 10 Uhr abends in die Altstadt. Alles ist perfekt – und absolut tot.» Es gäbe keine Altstadt, die «so sorgfältig rausgeputzt und mit soviel kunsthistorischem Verstand zu Tode renoviert worden sei», verhängt Loderer sein Verdikt über die relativ kleine Altstadt.

Die Ursache dafür? Die gleiche wie bei der Tunnel-Idee weiss Loderer: «Zu viel Geld» fürs Bauen und Renovieren. Die Stadt brauche in einer globalisierten Welt zeitgemässere und mehr Werte für die Kultivierung des hier geschaffenen Milliarden-Mehrwerts.

Einfachheit durch Kleinheit, Gemeinschaft, Bescheidenheit, Vielfalt und Vorreiter mit Machermentalität. Dies könnten solche gemeinsamen identitätsstiftenden Werte sein, fand kürzlich der internationale Think Tank W.I.R.E. in einer Studie heraus, die er für die Stadt Zug durchgeführt hat (zentral+ berichtete). Mit zahlreichen von der Stadt geförderten Projekten zeigt Zug zumal, dass es künstlerische, bauliche aber auch gesellschaftliche Konfrontationen mit divergierenden Realitäten nicht scheut.

Ganz im Gegenteil: Auf der Suche nach Identität und Meinungsaustausch versucht die Stadt, widersprechende Ansichten aufeinander prallen zu lassen und sich Visionen auch von lokalen Künstlern zunutze zu machen. Auch wenn sie dies manchmal in einem für eine Kleinstadt mundgerechteren Portionen und langsam tun sollte. Denn «Das Schneckentempo ist das normale Tempo jeder Demokratie» befand Helmut Schmidt und das findet auch der Stadtwanderer, wenn er auf die Strassen Zugs blickt.

 

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