Beat Wicki: Langjähriger Leiter des Mieterverbands

Wohnungsnot: «Luzern hat Zürich fast eingeholt»

Für die Mieter da: Beat Wicki, abtretender Geschäftsleiter des Innerschweizer Mieterverbands. (Bild: jwy)

Er weiss, was Mieter beschäftigt: Beat Wicki war 16 Jahre lang Geschäftsleiter der Innerschweizer Sektion des Mieterverbands. zentral+ hat ihn zum Interview getroffen. Er verrät, wer’s auf dem Wohnungsmarkt am Schwersten hat – und wieso der Mieterschutz immer noch ungenügend ist.

Beat Wicki empfängt uns in seinem Büro mitten in der Luzerner Altstadt. Er ist ein Mann mit einem angenehmen Temperament, er strahlt eine tiefe Ruhe aus. Wicki formuliert klare, wohlüberlegte Sätze. Von der Erscheinung her passt er besser in einen Yogaraum als hinter die Lektüre des Mietrechts. Und nun, da Beat Wicki in Pension geht, wird er tatsächlich mehr Zeit haben, um Yoga zu unterrichten.

zentral+: Muss man als Geschäftsleiter des Mieterverbands eigentlich selbst Mieter sein?

Beat Wicki: Nicht zwingend, ich bin selber Hauseigentümer. Es geht uns ja darum, dass das Mietrecht korrekt angewendet wird, mehr wollen wir gar nicht. Es darf nicht verwässert werden, wie das vielfach passiert. Die Hauseigentümer wollen auch nichts anderes – sagen sie zumindest. Aber sie handeln anders (lacht).

zentral+: Sie verfolgten die Wohnungssituation in Luzern über eine lange Zeit. Was ist das augenfälligste?

Beat Wicki: Das auffälligste war die Mietzinsexplosion. Vor allem in Luzern und Umgebung, aber auch in den anderen urbanen Gebieten der Innerschweiz sind die Mieten in den letzten Jahren massiv gestiegen. Wir hatten diese Entwicklung vorausgesagt und darauf aufmerksam gemacht, dass mit der Wohnungsknappheit die Situation spekulativ ausgenutzt wird. Der freie Markt ist stärker als das Recht der Mieter.

Beat Wicki: Sozialarbeiter, Hausexperte, Yogalehrer

Der ausgebildete Sozialarbeiter Beat Wicki war 16 Jahre lang Geschäftsleiter der Innerschweizer Sektion des Mieterinnen- und Mieterverbands Luzern. Auf Anfang dieses Jahres hat Cyrill Studer seine Nachfolge angetreten. Nach einer Übergangsphase geht Beat Wicki im Juni in Frühpension. Doch er bleibt den Mieterinnen und Mietern erhalten: Er stellt sein Wissen und seine Erfahrung weiter zur Verfügung, etwa für Hausinspektionen. Er ist Experte für Fragen rund um Schimmel, aber auch für Fragen wie Elektrosmog oder Strahlung. Und Beat Wicki wird sein zweites Standbein ausbauen: Er ist Yogalehrer und Yogatherapeut.

zentral+: Ist die Preisentwicklung die grösste Herausforderung für den Mieterverband?

Wicki: Das ist die wohnpolitische Komponente, in der sich der Mieterverband einsetzt. Die andere ist das Mietrecht, das läuft natürlich ständig auf dem politischen Parkett, aber eher national. Es gibt immer wieder Politiker, die das Mietrecht aufweichen wollen, dagegen müssen wir ankämpfen.

zentral+: Im Idealfall bräuchte es eigentlich keinen Mieterverband. Wird das einmal der Fall sein?

Wicki: Vermieter oder Eigentümer sind immer in der stärkeren Position, ohne Mietrecht könnten sie jede Situation ausnützen. Im Mietrecht geht es darum, das Gefälle zwischen Mieter und Eigentümer abzuschwächen. In der Schweiz hat der Mieter eine sehr schwache Position, wenn man mit den umliegenden Ländern vergleicht. Wir setzen uns dafür ein, dass der Kündigungsschutz noch weiter verstärkt wird.

zentral+: Man hört aber auch, der Mieterschutz sei zu hoch – dass es fast unmöglich sei, jemanden aus der Wohnung zu werfen?

Wicki: Vor 20 Jahren hiess es, das Mietrecht sei ein Stolperstein für Investoren. Ohne Mietrecht gäbe es mehr Wohnungen, das war immer die klassische Antwort. Die Realität zeigt aber etwas ganz anderes. Immobilien sind sehr attraktiv, das Mietrecht ist überhaupt keine Behinderung. Ich glaube, inzwischen hat man das eingesehen, diese Kritik kommt nicht mehr.

zentral+: Wie ist die Zusammenarbeit mit dem Hauseigentümerverband, Ihrem Gegenüber?

Wicki: Im Kanton Luzern ist die Zusammenarbeit sehr gut, wir treffen uns zweimal im Jahr für einen Austausch. Da gibt es zwar keine Annäherung, sie vertreten ihre Position, wir unsere. Aber sie wissen, wo wir stehen und umgekehrt. Und es gibt durchaus Gemeinsamkeiten: etwa die Lebensdauertabelle oder der Luzerner Mietvertrag, den wir gemeinsam erarbeitet haben.

«Viele Mieter haben Angst, Forderungen zu stellen. Also zahlen sie zu viel.»

zentral+: Wer hat’s auf dem Wohnungsmarkt am härtesten: Menschen mit ausländischem Namen, Rentner, Hundebesitzer …?

Wicki: Wenn ich zurückschaue, waren es vor allem Ausländer, jene aus dem Balkanraum. Mit einem «ic» im Namen, war es fast unmöglich, eine Wohnung zu finden. Aber dieses Thema ist verschwunden.

zentral+: Und heute?

Wicki: Das Problem liegt heute mehr bei der älteren Generation. Das ist momentan und in Zukunft jene Klientel, die es schwierig haben wird, eine Wohnung zu finden. Vielfach waren sie langjährige Mieter. Und dann wurde die Liegenschaft, in der lange Zeit nichts gemacht wurde, leergeräumt und saniert. Diese Mieter finden kaum mehr zahlbare Wohnungen. Und in der Stadt Luzern ist es auch für Familien mit Kindern immer schwieriger, wenn nicht beide Elternteile einen vollen Lohn haben.

zentral+: Werden denn zu wenige kleine Wohnungen für Rentner gebaut?

Wicki: Ja. Es gibt natürlich ein Wohnsegment für reiche Rentner. Das ist ein grosser Markt, da ist mehr herauszuholen. Doch der einfache Rentner, der nur die AHV hat, kann sich das nicht leisten. Es kommen vermehrt Rentner zu uns.

zentral+: Eigentlich müssten die Mieten in Luzern ja sinken, weil der Referenzzinssatz sinkt. Doch die Mieten steigen, was läuft falsch?

Wicki: Wenn man das Mietrecht richtig anwenden würde, würden die Mieten sinken. Die Vermieter hätten die Senkungen von sich aus weitergeben müssen, was sie aber leider nicht machen, also muss es der Mieter einfordern, doch nur ein kleiner Teil tut das, alle anderen zahlen zu viel. Viele Mieter haben Angst, Forderungen zu stellen.

Hinter seiner «Bibel»: Beat Wicki an seinem Nocharbeitsplatz.

Hinter seiner «Bibel»: Beat Wicki an seinem Nocharbeitsplatz.

(Bild: jwy)

zentral+: Ist die Wohnsituation in Luzern inzwischen ähnlich wie in Zürich oder Zug: Eine günstige, zentrale Wohnung ist ein Ding der Unmöglichkeit?

Wicki: Zürich war immer der Hotspot der Wohnungsnot, in Luzern kam das jeweils etwas verzögert, und nie im gleichen Ausmass. Aber inzwischen haben wir Zürich fast eingeholt. Das hat man vor allem gemerkt, als 2010 die durchgehende Autobahn eröffnet wurde, es gab einen deutlichen Preisanstieg.

«Jaja, die Konflikte sind immer noch die gleichen.»

zentral+: Reden wir über klassische Konfliktgründe zwischen Mietern und Vermietern: ausserterminliche Kündigung, Haustiere, Reinigung, Kinder- oder Partylärm, Grillqualm – sind das die gleichen wie vor 15 Jahren?

Wicki: Jaja, die Konflikte sind immer noch die gleichen, das hat sich nicht verändert. Am häufigsten geht’s um Mängel in der Wohnung, wenn dem Unterhalt nicht Rechnung getragen wird. Doch der Vermieter ist per Gesetz verpflichtet, die Wohnung auch während der Miete in einem tauglichen Zustand zu erhalten. Das wird sehr oft vernachlässigt. Das ist das Thema Nummer eins in der Beratung – das war damals so und ist heute immer noch so.

zentral+: Sind nicht auch die Leute einfach heikler geworden: Man erträgt heute nicht mehr, was früher selbstverständlich war?

Wicki: Ja, einerseits ist man heikler geworden, weil man mehr zahlt. Dementsprechend will man auch mehr Komfort und Ruhe.

zentral+: Kann ein Vermieter das Rauchen verbieten?

Wicki: Nein, eigentlich nicht. Ausser der Vermieter hat die Wohnung als Nichtraucherwohnung ausgeschrieben. Wenn nicht, hat der Mieter das Recht, in der Wohnung oder auf dem Balkon zu rauchen. Er muss einfach für die Schäden aufkommen. Es gilt hier der Grundsatz der gegenseitigen Rücksichtnahme. Wenn also jemand auf dem Balkon raucht und oberhalb hat jemand das Schlafzimmer, dann ist die Rücksichtnahme eventuell stärker zu gewichten.

«Für den Mieter ist es besser, wenn die Kündigungsfristen möglichst lange sind.»

zentral+: Kann ein Vermieter wegen einem Kind eine Wohnung verwehren oder sogar kündigen?

Wicki: Kündigen sicher nicht. Aber der Vermieter ist frei, wem er die Wohnung anbietet. Heute wird ja kaum mehr normal gekündigt, also mit Einhalten der Fristen und Termine, sondern es läuft alles viel schnelllebiger. Man zieht also vorzeitig aus und stellt einen Nachmieter. Wenn das jemand mit Hund oder Kind ist, werden die eher abgelehnt. Dann beginnt die Auseinandersetzung.

zentral+: Wie sieht es rechtlich aus?

Wicki: Der Vermieter muss begründen können, wieso er jemanden abgelehnt hat. Und diese Gründe müssen nachvollziehbar sein, persönliche Gründe reichen nicht.

zentral+: Sind die offiziellen Kündigungsfristen nicht ein Relikt aus alten Zeiten?

Wicki: Die Kündigungstermine und Fristen sind ja ein Schutz für den Mieter, wenn ihm gekündigt wird. Für ihn ist es besser, wenn die Fristen möglichst lange sind. Aber der Mieter selber hat ja die Möglichkeit vorzeitig, auszuziehen, wenn er einen Nachmieter stellt, was ja mit der heutigen Marktsituation kein Problem ist. Das kann auch wieder ändern, aber im Moment wird relativ viel gewechselt.

Mieterinnen- und Mieterverband Luzern

Die Sektion Innerschweiz des MV (Kantone Luzern, Ob- und Nidwalden sowie Uri) zählte 2014 gut 12’000 Mitglieder – so viele wie noch nie in den vorangehenden Jahren.

Wichtige Meilensteine sind: 2003 lancierte der MV die schweizweite Initiative «Ja zu fairen Mieten» – scheiterte aber am Stimmvolk. 2007 lancierte der MV im Kanton Luzern die Volksinitiative «Für zahlbares und attraktives Wohnen». Sie wurde 2009 vom Volk abgelehnt – löste jedoch eine breite Diskussion zum Thema aus. Die Initiative forderte, dass die Staatsverfassung mit dem Zusatz «Kanton und Gemeinden treffen Massnahmen für die Erhaltung preisgünstiger Wohnungen, tragen zur Verbesserung der Wohnverhältnisse bei und fördern den sozialen Wohnungsbau» ergänzt wird. 2012 folgte die erfolgreiche Wohnraum-Initiative in der Stadt Luzern, die der MV gemeinsam mit den linken Parteien einreichte (zentral+ berichtete). Die Initiative wurde vom Stimmvolk angenommen und fordert, den Anteil an gemeinnützigen Wohnungen innert 25 Jahren von 14 auf 16 Prozent zu erhöhen. Zudem muss der Stadtrat alle fünf Jahre Bilanz über Massnahmen und Ergebnisse vorlegen, spätestens also 2017. Das Parlament hat einen Bericht und Antrag zur Umsetzung angenommen.

 

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