Wohnungsnot: der Experte stellt sich den Fragen der Leser
:focal(475x359:476x360)/www.zentralplus.ch/wp-content/uploads/2024/12/Leonard-Fister-HSLU.jpg)
Nicht nur in der Politik rauchen die Köpfe, um eine Lösung für die momentane Wohnungsnot in der Zentralschweiz zu finden. Auch die zentralplus-Leserschaft hat Fragen zum Thema. Wir haben sie mit einem Experten besprochen.
Die Wohnungsnot spitzt sich in Luzern und Zug weiter zu. Sie ist seit geraumer Zeit ein Politikum in beiden Kantonen und in der Bevölkerung wird rege über das Thema diskutiert. Natürlich bleibt auch die Leserschaft von Zentralplus von dem Thema nicht unberührt.
Deswegen haben wir uns in der zentralplus-Community in den sozialen Medien umgehört und die brennendsten Fragen zum Thema Wohnungsnot zusammengetragen. Leonard Fister, Forscher und Dozent am Institut für Finanzdienstleistungen Zug (IFZ) der Hochschule Luzern, beantwortet die Community-Fragen im Interview.
zentralplus: Wieso herrscht in der Zentralschweiz Wohnungsnot?
Leonard Fister: Kurz gesagt, weil mehr Wohnungen nachgefragt als angeboten werden. Die Gründe dafür sind sehr vielfältig und komplex, besonders, weil viele Wechselwirkungen zwischen ihnen bestehen. Zum einen ist die Attraktivität der Region sehr gross und die Nachfrage damit hoch. Die Bevölkerung wächst in einem Gebiet von bereits hoher Bevölkerungsdichte weiterhin. Zudem ändern sich die Wohnformen hin zu mehr Klein- und Einpersonenhaushalten. Nur gibt es zu wenige auf dieses Bedürfnis zugeschnittene Wohnungen. So haben diese Haushalte – teils ungewollt – oft einen hohen Flächenverbrauch. Zum anderen ist das verfügbare Bauland begrenzt. Dies limitiert das Bauen zusätzlichen Wohnraums. Bauherrschaften kämpfen in den letzten Jahren mit stark steigenden Land- und Baukosten. Das weiterhin hoch bleibende Zinsniveau verstärkt diese wirtschaftliche Herausforderung weiter. Hinzu kommt, dass die Anforderungen an Entwicklung von Wohnraum aus regulatorischer Sicht in den letzten Jahren gestiegen sind.
zentralplus: Gibt es noch weitere Gründe?
Fister: Personen in bestehenden Wohnungen nutzen diese insgesamt häufig ineffizient. Dies liegt meist daran, dass Haushalte nicht umziehen, obwohl sich ihre Bedürfnisse geändert haben. Der Grund hierfür liegt einmal mehr im fehlenden Angebot. Zudem sind die Mieten in bestehenden Mietverhältnissen reguliert und oft tiefer als Mieten von ausgeschriebenen Wohnungen. Ein Umzug wird also aus der daraus einhergehenden finanziellen Mehrbelastung erschwert oder verunmöglicht.
«Aktuelle Prognosen deuten darauf hin, dass aufgrund einer Senkung des Referenzzinssatzes im März 2025 die Mieten leicht sinken.»
Leonard Fister, Forscher und Dozent der Hochschule Luzern
zentralplus: Wann werden die Mieten in Luzern und Zug wieder sinken?
Fister: Die angebotenen Mietpreise in Luzern und Zug würden sinken, wenn das Angebot an Wohnungen die Nachfrage übersteigen würde. Dies könnte durch die Schaffung neuen Wohnraums, etwa durch Nachverdichtung oder Neubauten auf unbebautem Land geschehen. Zudem spielen wirtschaftliche Faktoren wie Zinsentwicklungen und die regulatorischen Rahmenbedingungen und rechtliche Anpassungen eine wichtige Rolle. Kurzfristig ist jedoch nicht mit einer deutlichen Entspannung zu rechnen. Die Bautätigkeit bleibt aufgrund hoher Kosten und knapper Flächen begrenzt – so dementsprechend auch das Angebot.
zentralplus: Wie steht es um die Nachfrage?
Fister: Die Nachfrage bleibt währenddessen hoch. Ein Grund dafür liegt im Umzug von Personen aus dem Umland in die Städte. Aber auch im bereits erwähnten starken Anstieg der Einpersonenhaushalte. Weiter hängt die hohe Nachfrage mit dem allgemeinen Bevölkerungswachstum zusammen.
zentralplus: Was bedeutet das jetzt für die Mietpreise?
Fister: Derzeit geht es vor allem darum, einen weiteren Anstieg der Mietzinsen zu verhindern, bis Nachfrage und Angebot wieder im Einklang sind. Haushalte in bestehenden Mietverhältnissen sind aufgrund der Mietpreisregulierung vom Anstieg weitestgehend geschützt. Aktuelle Prognosen deuten darauf hin, dass aufgrund einer Senkung des Referenzzinssatzes im März 2025 die Mieten leicht sinken. Haushalte, die eine neue Wohnung suchen, sind jedoch den angebotenen Marktmieten ausgesetzt. Diese sind meist deutlich höher als Bestandsmieten und so steigt die finanzielle Belastung tendenziell.
zentralplus: Wie finde ich am schnellsten eine Wohnung, die meinen Vorstellungen entspricht?
Fister: Heutzutage erfolgt die Wohnungssuche, abgesehen vom persönlichen Netzwerk, fast ausschliesslich online. Deswegen sind die Zeiträume, in denen man das Inserat finden, die Wohnung besichtigen und die Bewerbung einreichen muss, sehr kurz. Man kommt nur mit einer sehr aktiven Suchpraxis zum Ziel. Konkret heisst das, sehr häufig Annoncen zu durchsuchen und Suchabos einzurichten. Wird ein interessantes Wohnobjekt verfügbar, muss man so schnell wie möglich reagieren. Nach der Besichtigung sollte man sich bei Interesse so schnell wie möglich auf das Objekt bewerben. Hierfür hilft es natürlich, die notwendigen Dossiers bereits vor der Besichtigung grossteils bereit zu haben.
zentralplus: Klingt stressig.
Fister: Ja. Die Schnelligkeit hat leider grosse Nachteile. Technikaffinität und schnelle Zusagen regieren den Markt. Gerade ältere oder vulnerable Personen sind dadurch benachteiligt. Diese müssten in diesem Prozess idealerweise unterstützt werden oder sie sollten ein für ihre Bevölkerungsgruppe speziell ausgerichtetes Angebot nutzen können. Genossenschaften können eine wichtige Rolle einnehmen, um diesen Haushalten gezielt zu helfen.
zentralplus: Welcher Luzerner oder Zuger Genossenschaft würden Sie beitreten, wenn Sie eine Wohnung suchten?
Fister: Ich habe leider keinen detaillierten Überblick über die Landschaft der Genossenschaften und deren Kriterien. Ich kann also keine generelle Empfehlung aussprechen. Die Statuten der verschiedenen Genossenschaften variieren stark. Es empfiehlt sich, diese untereinander zu vergleichen und mit der eigenen Situation abzustimmen.
zentralplus: Inwiefern verschlimmern Einfamilienhäuser die Wohnungsnot in der Zentralschweiz?
Fister: Hier muss ich etwas ausholen. Mit der Annahme des Raumplanungsgesetzes hat sich die Schweiz dafür entschieden, in Zukunft schonend mit der Ressource Boden umzugehen. Vereinfacht gesagt, soll man zukünftig nur noch Flächen bebauen, die entweder schon bebaut sind, oder bereits heute als Bauland deklariert sind. Aufgrund dieses Entscheids müssen wir in der Schweiz also besonderen Wert auf eine effiziente Nutzung des Bodens legen. Etwa indem man die Anzahl Personen betrachtet, die auf einer bestimmten Grundfläche leben.
zentralplus: Können Sie das mit einem Beispiel veranschaulichen?
Fister: Betrachten wir als Beispiel eine Fläche von 180 Quadratmetern. Lebt hier eine sechsköpfige Familie in einem Einfamilienhaus, so verbraucht jede Person im Schnitt 30 Quadratmeter Boden. Stünde auf derselben Fläche ein Mehrfamilienhaus mit vier Wohnungen, in der jeweils eine einzelne Person lebt, dann verbraucht jede Person 45 Quadratmeter. Die Nutzung des Bodens wäre demnach insgesamt ineffizienter. Es ist also nicht so, dass Einfamilienhäuser den Boden immer schlechter nutzen als Mehrfamilienhäuser. In der Gesamtbilanz der Zentralschweiz ist es aber durchaus so, dass Mehrfamilienhäuser effizienter als Einfamilienhäuser mit dem Boden umgehen.
«Von einer grossen strukturellen Änderung gehe ich nicht aus.»
Leonard Fister, Forscher und Dozent der Hochschule Luzern
zentralplus: Welche alternativen Wohnmodelle gibt es, um der Wohnungsnot entgegenzuwirken?
Fister: Ein alternatives Modell zur effizienteren Nutzung des verfügbaren Wohnraums sind zum Beispiel Wohngemeinschaften. Diese wirken dem Problem von zu wenig für Einzelpersonen gebauten Wohnungen entgegen. Singles leben aufgrund dieses Problems oft in «zu grossen» Wohnungen. «Zu gross» bezieht sich hier zum einen auf die Sicht der Mieterschaft, da sie den Platz oft nicht benötigen, sehr wohl aber bezahlen muss. Zum anderen sind diese Wohnungen oft auch aus Sicht einer effizienten Wohnraumverteilung zu gross. Es könnten mehrere Personen darin leben, ohne Platzeinschränkungen hinnehmen zu müssen. Allerdings wollen viele Personen die eigene Wohnung nicht teilen. Eine weitere – gewissermassen ähnliche Lösung – wären Clusterwohnungen. In solchen stehen Gemeinschaftsräume für alle Bewohnenden zur Verfügung, die einzelnen Wohnungen sind aber getrennt. Die erwähnten Wohnmodelle sind aber derzeit nicht stark etabliert und anteilsmässig in der Gesamtbilanz des Schweizer Wohnraums nur wenig vertreten.
zentralplus: Wie gelingt ein Wohnungstausch so unkompliziert wie möglich?
Fister: Ein Wohnungstausch lässt sich am einfachsten organisieren, wenn Mietende direkt miteinander in Austausch treten. Sei es über die eigenen Kontakte oder über spezielle Plattformen für den Wohnungstausch. Wichtig ist, dass die jeweiligen Vermietenden frühzeitig eingebunden werden. So werden administrativen Abläufe – wie etwa die Prüfung von Bonitäten und das Erstellen neuer Mietverträge – beschleunigt.
zentralplus: Wird es in Zukunft nur noch Wohnblocks geben?
Fister: Davon ist nicht auszugehen. Wohnblocks werden zwar ein zentraler Bestandteil der städtischen Bebauung bleiben, allerdings wird immer mehr Wert auf hohe Lebensqualität und ansprechende Baukultur in Quartieren mit hoher Dichte gelegt. Andere Formen der Verdichtung werden aber auch ihren Platz finden. Reihenhäuser oder Mischprojekte und auch Einfamilienhäuser werden weiterhin bestehen. Der Schlüssel wird darin liegen, eine Vielfalt an Konzepten zu entwickeln, die die unterschiedlichen Bedürfnisse und sozialen Strukturen berücksichtigt.
zentralplus: Kommt es bald zu einem Exodus der Stadtbewohner aufs Land?
Fister: Von einer grossen strukturellen Änderung gehe ich nicht aus, insbesondere nicht in ländliche Regionen. Selbst wenn die Lage in städtischen Gebieten weiter angespannt bleibt, sucht die Stadtbevölkerung wahrscheinlich zuerst Alternativen in der Agglomeration. Diese ist in der Regel gut an die Zentren angebunden und entwickelt die eigene Infrastruktur schnell weiter. Gleichzeitig sind die Bedingungen noch finanziell entspannter als in den Städten – es gibt anteilig mehr Wohnungen zu tendenziell tieferen Mietpreisen. Zudem ist das Potenzial für die Erstellung von Wohnraum grösser. Verdichtungen lassen sich oft leichter umsetzen, da das umliegende Gebiet weniger kompakt als in Stadtzentren entwickelt ist. Und auch für einen nachhaltigen Neubau sind noch mehr Ressourcen verfügbar.
zentralplus: Welche Lösungen sehen Sie, um das Wohnproblem nachhaltig zu lösen?
Fister: Man muss die Bauaktivität fördern, sodass mehr Wohnraum entsteht. Die Schwierigkeit hierbei ist, eine Balance aus Verdichtung und hoher Lebensqualität zu finden. Verdichtung ist in der Stadt wirtschaftlich herausfordernd und die geschaffenen Wohnungen daher tendenziell in höheren Preissegmenten. Daher sollte die Planung und Entwicklung in vielen Regionen auch die Agglomeration mit einbeziehen. Die Regulierung sollte für alle Beteiligten verbindliche Rahmenbedingungen setzen, die klarer sind als derzeit. So könnten diese frühzeitig in der Planung einberechnet werden. Zusätzlich könnten auch regionale Anreize helfen. Eine gewisse Entlastung könnten Subventionierungen und Genossenschaften bringen, auch wenn diese nur einen kleinen Beitrag zur Lösung bieten können.
- Schriftlicher Austausch mit Leonard Fister, Forscher und Dozent am Institut für Finanzdienstleistungen Zug (IFZ) der Hochschule Luzern
- Fragen aus der zentralplus-Community